Naher Osten:Vom Tahrir-Platz bis zum Militärputsch

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Rot, Weiß, Schwarz - das sind die Landesfarben. Und es sind die Farben, die den Tahrir-Platz bestimmen. (Foto: dpa)

Vor fünf Jahren begann der Arabische Frühling in Ägypten.

Chronik von Gianna Niewel

Beginn der Proteste

25. Januar 2011: Rot, Weiß, Schwarz - das sind die Farben auf den Flaggen und den Stirnbändern. Es sind die Farben Ägyptens und auch die des Tahrir-Platzes. Vor fünf Jahren, am 25. Januar 2011, beginnen die Proteste in Ägyptens Hauptstadt. Es sind erst einige Studenten, die junge Mittelschicht, Arbeiter; schnell werden es Millionen Männer und Frauen, die sich über die sozialen Netzwerke zusammenfinden. Aus dem ganzen Land reisen sie nach Kairo, sie fordern Jobs und bezahlbaren Wohnraum. Sie demonstrieren auch für ihre demokratischen Ideale und gegen die Diktatur von Hosni Mubarak. Es sind die Tage des Zorns.

Auch nach Sonnenuntergang harren die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz. (Foto: dpa)

30 Jahre lang hat Mubarak die Politik des bevölkerungsreichsten arabischen Landes bestimmt. Weil er im Nahost-Konflikt vermittelte, war er dem Westen ein verlässlicher Partner. Dass während seiner Regentschaft Menschenrechte verletzt und Wahlen manipuliert wurden, war für seine außenpolitischen Verbündeten deshalb kaum ein Thema.

Mubarak tritt zurück

Februar 2011: Noch immer strömen die Menschen aus dem ganzen Land auf die Straßen, allein in Kairo sollen es zwei Millionen gewesen sein - an nur einem Tag. Viele kommen zum Freitagsgebet, sie kommen mit ihren Kindern, sie zelten auf zentralen Plätzen. Ihr Ziel bleibt unverändert: Mubarak muss weg und sein Sohn darf nicht, wie vom Vater geplant, die Macht übernehmen. Immer häufiger begleiten Krawalle die Demonstrationen, die ägyptische Regierung schaltet zeitweise Internet und Handynetze ab. Die internationale Gemeinschaft zeigt sich besorgt, die US-Regierung fordert einen Dialog zwischen Regime und Demonstranten. Vergebens.

Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den Demonstranten und dem Militär in der ägyptischen Hauptstadt. (Foto: dpa)

11. Februar: Mubarak hält dem Protest nicht mehr stand. Er tritt zurück. Die Armee räumt daraufhin den Tahrir-Platz, hier rollt nun wieder der Verkehr. Der Ausnahmezustand ist vorläufig beendet. Es gelten Notstandsgesetze. Doch statt eines zivilen Präsidialrats übernimmt ein Militärrat aus hochrangigen Offizieren die Kontrolle im Land.

März 2011: Etwa 45 Millionen Ägypter stimmen per Volksentscheid über eine Verfassungsänderung ab. Den Protestierenden werden unter anderem freie demokratische Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zugesichert. Die Bildung neuer Parteien wird zugelassen; zur stärksten Partei entwickelt sich die von der ägyptischen Muslimbruderschaft gegründete "Partei für Freiheit und Gerechtigkeit".

Doch die weitreichenden Befugnisse des Präsidenten bleiben unangetastet. Auch grundlegende Veränderungen der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse gibt es keine. Die Opposition tobt, wieder wird der Tahrir-Platz zum Symbol des Widerstands gegen verkrustete Politik, Korruption und Machtmissbrauch. Menschen sterben bei gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften, es kommt zu Ausschreitungen im ganzen Land.

Mursi gewinnt die Wahl

November 2011: Die erste Parlamentswahl in dieser neuen Epoche beginnt. Islamistische Parteien können insgesamt mehr als 70 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Stärkste politische Kraft sind die Muslimbrüder mit 45,7 Prozent. Zum Zeitpunkt der Wahl galten sie als vergleichsweise moderat.

Mehr als ein halbes Jahr später, am 14. Juni 2012, erklärt das Verfassungsgericht die Wahl für ungültig: Weil ein Drittel der Sitze nicht verfassungsgemäß gewählt worden seien, habe das Unterhaus des Parlaments seine Legalität verloren. Das Parlament wird nur wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl aufgelöst.

Mohammed Mursi in einem Käfig im Gerichtssaal - er war etwa ein Jahr lang Präsident, ehe er durch einen Militärputsch entmachtet wurde. (Foto: dpa)

16./17. Juni: Stichwahl zum Präsidenten

24. Juni 2012: Die Wahlkommission erklärt Mohammed Mursi, den Kandidaten der Muslimbruderschaft, zum Sieger der Präsidentschaftswahl. Er ist der erste demokratisch gewählte Staatspräsident. Um seinen Anspruch, Präsident aller Ägypter zu sein, zu untermauern, tritt er aus den Muslimbrüderschaft aus.

Der neue Präsident setzt die Volksversammlung wieder ein und beschränkt die Rechte des Militärs. Dennoch kommt es wieder zu blutigen Protesten von linken, liberalen und säkularen Kräften - diesmal gegen Mursi. Der Vorwurf: Auch er wolle letztlich nur eine neue Autokratie aufbauen.

Das Militär putscht

Juli 2013: Ein Jahr nach der Präsidentschaftswahl ist der Tahrir-Platz wieder voller Menschen. Sie fordern Mursis Rücktritt. Das Militär stellt dem Präsidenten ein Ultimatum, um die Konflikte zu befrieden. Mursi lehnt ab, das Ultimatum verstreicht.

3. Juli: Das Militär putscht, Mursi wird abgesetzt und unter Arrest gestellt.

4. Juli: Die Opposition feiert das Ende der Präsidentschaft Mursis als Sieg über die Muslimbrüder. Der Präsident des Verfassungsgerichts, Adli Mansur, wird Übergangspräsident. Hochrangige Mitglieder der Muslimbruderschaft werden verhaftet. Gegen Ex-Präsident Mursi erlässt die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl wegen Mordes und seiner Verbindung zur Hamas. Seine Anhänger protestieren.

Ein Mursi-Anhänger mit einem Plakat des ehemaligen Präsidenten - und mit Mundschutz gegen das Tränengas der Polizei. (Foto: REUTERS)

August 2013: Sicherheitskräfte räumen mit brutaler Gewalt zwei Protestlager von Mursi-Anhängern; 421 Menschen sterben dabei. Ägyptens Ministerpräsident Hasem el-Beblawi rechtfertigt die Gewalt in einer Fernsehansprache: Die Regierung habe keine andere Wahl gehabt, um eine Ausbreitung von Anarchie zu verhindern.

Abdel Fattah al-Sisi wird Präsident

März 2014: Bei einem Massenprozess werden nach Angaben aus Justizkreisen 529 Anhänger des gestürzten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi zum Tode verurteilt. Die Muslimbruderschaft war zuvor offiziell zur Terrororganisation erklärt und verboten worden. "Es widerspricht jeder Logik, dass mehr als 529 Angeklagte innerhalb von zwei Tagen nach internationalem Standard verurteilt werden können", sagt eine Sprecherin des US-Außenministeriums in Washington zu den Urteilen.

Mai 2014: Ägypten wählt einen neuen Präsidenten. Der ehemalige Armeechef Abdel Fattah al-Sisi gewinnt klar mit 96,9 Prozent gegen den einzigen Konkurrenten - den linken Politiker Hamdien Sabahi.

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi im Juni 2015 bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Merkel im Bundeskanzleramt in Berlin. (Foto: dpa)

Juni 2014: Al-Sisi wird vereidigt. Als neuer Machthaber greift er hart gegen alles durch, was die Stabilität am Nil gefährden könnte - oder seine eigene Position. Und trotz schlechter Wirtschaftslage und anhaltender Korruption ist er bei vielen Ägyptern vergleichsweis populär. Seine autokratische Herrschaft sehen sie als Faustpfand für die vordergründige Ruhe im Land.

Und heute?

Der Westen setzt im Kampf gegen den internationalen Terror auch auf Ägypten, das im "Syrien-Quartett" gemeinsam mit Saudi-Arabien, der Türkei und Iran im Krieg zwischen dem Assad-Regime und den Aufständischen vermitteln soll. Und so wird Präsident Abdel Fattah al-Sisi im Bundeskanzleramt und in die Londoner Downing Street eingeladen, obwohl seine Regierung in Kairo Menschenrechte verletzt.

Das Land kommt nicht zur Ruhe: Bei einer Bombenexplosion in Giseh starben vergangene Woche mindestens zehn Menschen. (Foto: dpa)

Denn auch fünf Jahre nach dem Beginn der Proteste in Kairo ist das Land auf einem antidemokratischen Weg: Zehntausende Regime-Gegner wurden ägyptischen Menschenrechtlern zufolge seit 2013 weggesperrt, teils ohne Prozess. Oppositionelle werden unterdrückt, Journalisten können nicht frei arbeiten, bei regimekritischen Berichten drohen ihnen Strafen und Haft. Zwar gibt es in Kairo nach Jahren wieder ein neues Parlament - Politiker und Experten aber werfen der Regierung Einmischung bei der Wahl vor. Zuletzt ist auch die Sicherheitslange im Land fragil. Das Auswärtige Amt warnt landesweit vor einem erhöhten Terrorrisiko und der Gefahr von Entführungen.

Zu den Entwicklungen seines Landes sagte der amtierende Präsident al-Sisi am Sonntag in einer Fernsehansprache, Demokratie reife nicht über Nacht. "Es ist vielmehr ein sich steigernder und fortlaufender Prozess."

Mit Material von dpa.

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