Christine Lieberknecht:"Der Kalte Krieg kannte keine Mitte"

Die Ministerpräsidentin von Thüringen, Christine Lieberknecht, bilanziert zwanzig Jahre Einheit und erklärt, warum die Wessis noch bis 2019 für ein erfolgreiches Ostland zahlen sollen.

Thorsten Denkler und Christiane Kohl

Christine Lieberknecht empfängt in ihrem eher nüchternen Amtszimmer im thüringischen Landtag in Erfurt. Die schweren Sitze hat noch Bernhard Vogel zu verantworten - sie lassen sich kaum von der Stelle bewegen. An der Wand hängt Lieberknecht in Öl. Der Maler hat sie porträtiert, als sie noch Landtagspräsidentin war: ernste Miene, stolze Haltung - und ganz in schwarz-rot. Als hätte er geahnt, dass sie eine Tages ein große Koalition in Thüringen anführen würde. Bis dahin aber hat sie einige Gegner aus dem Weg räumen müssen.

Ministerpraesidentin Christine Lieberknecht CDU Thueringen

Neben Hannelore Kraft aus Nordrhein-Westfalen ist sie die einzige Ministerpräsidentin in Deutschland: Christine Lieberknecht aus Thüringen.

(Foto: seyboldtpress.de)

sueddeutsche.de: Frau Lieberknecht, wir wollen mal aufräumen mit einem Vorurteil über Sie. Manche halten Sie ja für ein schüchternes Mädchen - aber in Wahrheit sind Sie wohl eher eine Feldherrin. Dreimal haben Sie schon die Königsmörderin gegeben.

Christine Lieberknecht: So ein Unsinn. Legendenbildung feiert da fröhliche Urstände.

sueddeutsche.de: Sie haben kurz vor der Wende den damaligen Chef der DDR-CDU erst mit einem offen Brief in Bedrängnis gebracht und ihn dann in dessen Dienstzimmer zum Rücktritt aufgefordert, was er dann auch tat. Einige Jahre später haben Sie mit ihrem Rücktritt als Landesministerin den Anstoß gegeben zum Sturz des Ministerpräsidenten Josef Duchač. Und vergangenes Jahr waren Sie es, die mit dem Satz "Die Ära Althaus ist vorbei" die politische Karriere ihres Vorgängers ein für allemal beendet haben. Werden Sie gerne unterschätzt?

Lieberknecht: Ob ich unterschätzt werde, da müssen Sie andere fragen. Aber es gibt Situationen, da muss man handeln. Nämlich dann, wenn Situationen auf einen Punkt zulaufen, an dem Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht. Das sind Momente, in denen ich nichts anderes kann, als Klartext zu reden.

sueddeutsche.de: Dann reden wir mal Klartext über die Bundesregierung: Haben Sie noch Hoffnung, dass die ständigen Streitereien in der Berliner Koalition mal beendet sein werden?

Lieberknecht: Es wäre schon viel gewonnen, wenn der Streit nicht immer öffentlich ausgetragen würde. Dafür gibt es Gremien.

sueddeutsche.de: Es verfestigt sich ja der Eindruck, das Verhältnis der Koalitionspartner sei zerrüttet.

Lieberknecht: Wir haben doch die absurde Situation, dass die Bundesregierung an Zustimmung verliert - wir aber nach diesem Krisenjahr 2009 eine wirtschaftliche Entwicklung haben, die uns kaum jemand zugetraut hätte.

sueddeutsche.de: Dank der Entscheidungen der großen Koalition?

Lieberknecht: Ja, die Konjunkturpakete, die Kurzarbeiterregelug und auch die viel gescholtene Abwrackprämie haben gut gegriffen. Aber es sind auch jüngste Entscheidungen der neuen Regierung. Nehmen Sie nur die Bewältigung der Euro- und der Griechenlandkrise.

sueddeutsche.de: Die Deutschland ganz offensichtlich nicht alleine gestemmt hat - und auch der Aufschwung ist ja vor allem dem Export zu verdanken, nicht der Politik.

Lieberknecht: Ich bleibe dabei: Wir haben eine Bilanz, die hervorragend ist. Es gehört aber schon eine ganze Menge dazu, in Umfragen völlig gegenteilig wahrgenommen zu werden.

sueddeutsche.de: Ist es sachlich geboten, die Laufzeiten für Atomkraftwerke an den Ländern vorbei zu verlängern?

Lieberknecht: Ich bin für klare Regeln. Wenn die Bundesregierung zur Auffassung kommt, dass die Laufzeiten verlängert werden sollen, dann wird es eine Toleranzschwelle geben, bis zu der sie das ohne Länderzustimmung tun kann.

sueddeutsche.de: Wo liegt diese Toleranzschwelle, im einstelligen oder eher im zweistelligen Bereich?

Lieberknecht: Bundesumweltminister Norbert Röttgen dürfte mit den acht Jahren, die er einmal genannt hat, eher auf der sicheren Seite sein, als andere, die erheblich längere Laufzeiten fordern.

sueddeutsche.de: Mittlerweile wird ja auch über die Frage gestritten, wie viel Abgaben die Atomindustrie für die Laufzeitverlängerung leisten muss. Sind Sie für die reine Steuervariante zur Haushaltsaufbesserung oder für eine Umweltabgabe?

Lieberknecht: Wichtig ist, dass bei einer Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke die Atomindustrie nicht nur den vorgesehenen jährlichen Beitrag von 2,3 Milliarden Euro leistet, der in den Haushalt einfließt. Darüber hinaus sollte ein Beitrag zum Ausbau der regenerativen Energien erbracht werden. In welcher Form diese Beiträge geleistet werden, muss im Rahmen der Gespräche um das Energiekonzept geklärt werden.

sueddeutsche.de: Mit Hannelore Kraft und Ihnen amtieren zum ersten Mal zwei Ministerpräsidentinnen gleichzeitig. Bei allen politischen Differenzen: Kann sich daraus eine neue Achse Thüringen/Nordrhein-Westfalen entwickeln?

Lieberknecht: Wir werden sicher gut zusammenarbeiten in der Ministerpräsidentenkonferenz. Aber ich habe bisher nicht gespürt, dass es eine Rolle spielt, dass ich eine Frau bin.

sueddeutsche.de: Also keine neue Frauenallianz?

Lieberknecht: Warum? Allianzen entstehen entlang von politischen Inhalten. Die Opel-Frage etwa hat die vier Länder mit Opel-Standorten an einen Tisch gebracht. Andere Allianzen gibt es, wenn es um Länder mit Atomkraftwerken geht oder, wie bei uns, um die Solarindustrie. Das hat nichts mit dem Geschlecht der Amtsinhaber, wenig mit der Parteifarbe, aber viel mit den Interessen des jeweiligen Bundeslandes zu tun. Entscheidend ist die Sache.

sueddeutsche.de: Ihr Brandenburger SPD-Kollege Matthias Platzeck wirft den Westdeutschen vor, 20 Jahre nach der deutschen Einheit kein Verständnis für die Situation in Ostdeutschland zu haben. Und das alles nur, weil dort angeblich die Straßen besser seien. Wie sehen Sie das?

Lieberknecht: Ich bin da ganz entspannt. Wir sind ein föderaler Staat mit unterschiedlichsten landsmannschaftlichen Zugehörigkeiten. Das empfinde ich als großen Reichtum.

sueddeutsche.de: Die Westdeutschen scheinen mit dem Reichtum nicht viel anfangen zu können. Für die gibt es die Bayern, die Westfalen, die Hessen und eben die Ostdeutschen.

Lieberknecht: Das ist eine Sicht von gestern. Es gibt keine innerdeutsche Grenze mehr. Was es gibt, sind einzelne Themen, die ost- und mitteldeutsche Länder gemeinsam haben. Das Auslaufen des Solidarpaktes 2019, den Bevölkerungsschwund, Altlastenfragen der Treuhand - solche Themen. Das sind aber nur Restbestände der teilungsbedingten Lasten.

Blühendes Thüringen, armes Bochum

sueddeutsche.de: Wo verorten Sie Thüringen?

Lieberknecht: Ganz klar in Mitteldeutschland. Der Kalte Krieg kannte ja keine Mitte. Er kannte nur Ost- und Westdeutschland. Schon deshalb sollten wir uns von dieser Aufteilung verabschieden.

sueddeutsche.de: Haben Sie Verständnis dafür, dass in Bochum, wo das Geld fehlt, um die Schlaglöcher auszubessern, neidvoll auf den Osten geschaut wird mit seinen vielen neuen Straßen und den schmucken Innenstädten?

Lieberknecht: Natürlich habe ich Verständnis dafür. Wenn Menschen aus den alten Bundesländern herkommen, dann sehen sie ja, wie blühend Weimar, Jena und Erfurt sind. Helmut Kohl hat recht behalten: Thüringen jedenfalls ist heute eine blühende Landschaft, sowohl wirtschaftlich, als auch kulturell.

sueddeutsche.de: Blüht es wirklich? Platzeck sagt, was die Wessis vor lauter schmucken Fassaden eben nicht sehen, seien die vielen Arbeitslosen, die fehlende Industrie, die fehlende Wirtschaftskraft.

Lieberknecht: Auch da gibt es Unterschiede in der Entwicklung der jungen Länder. Ich komme gerade von meiner Sommertour, die mich durchs ganze Land geführt hat. Ich wollte wissen, was los ist hinter den Fassaden in Thüringen.

sueddeutsche.de: Und? Was ist da los?

Lieberknecht: Ich kann nur sagen: In Thüringen hat sich unter dem Druck eines enormen Wettbewerbs, unter dem Druck der Globalisierung auch nach dem Krisenjahr 2009 eine starke, hochtechnologisierte Wirtschaft aufgestellt. Wir haben vielleicht noch nicht die Masse an Arbeitsplätzen. Aber sie finden überall Unternehmen, die Weltmarktführer sind. Ich gebrauche nicht gerne Superlative: Aber 81 Industriebetriebe auf 100.000 Einwohner, zehn Handwerksbetriebe auf 1000 Einwohner - das finden Sie in keinem anderen der deutschen Länder.

sueddeutsche.de: Jetzt treiben Sie gerade den Leuten in den strukturschwachen westdeutschen Regionen die Tränen in die Augen. Die zahlen nämlich seit 20 Jahren dafür, dass Sie hier so auftrumpfen können.

Lieberknecht: Das Beispiel Thüringen zeigt doch, dass es sich gelohnt hat. Mir ist es so herum lieber, als sagen zu müssen, die Anstrengungen fruchten nicht.

sueddeutsche.de: Fassen wir zusammen: Sie haben tolle Straßen, tolle Innenstädte, der Wirtschaft geht es gut. Ihr Landeshaushalt aber besteht zu 50 Prozent aus Transferleistungen. Jetzt erklären Sie bitte einem Westdeutschen, warum er noch bis 2019 sein Geld für Thüringen hergeben soll.

Lieberknecht: Weil unser eigenes Steueraufkommen eben nicht mal zur Hälfte die notwendigen Landesausgaben deckt. Das sind Ausgaben, zu denen wir zum überwiegenden Teil verpflichtet sind. Wir sind auch immer noch im Aufbau, wenn auch vielleicht erfolgreicher als andere. Aber wir sind auf dem besten Weg, eines Tages Geberland im Länderfinanzausgleich zu sein.

sueddeutsche.de: Wann wird es soweit sein?

Lieberknecht: Ich werde mich jetzt nicht mit unbelastbaren Zeitschätzungen aus dem Fenster lehnen. Was ich sagen kann ist, dass wir bis 2020 ohne Solidarzuschlag und ohne neue Schulden auskommen werden. Dafür werden wir uns hart anstrengen müssen. Das müssen wir erreichen.

sueddeutsche.de: Ihre Minister streiten über ein verbliebenes Sparvolumen von 500 Millionen Euro. Peanuts im Vergleich zu dem, was auf das Land zukommt.

Lieberknecht: Das sind die altbekannten Rituale, wenn es ums Geld geht. Ich halte sie für töricht. Wir müssen sparen. Das wird von allen so gesehen. Da sollte ein Minister in der Lage sein, seinen Haushalt selber in die Hand zu nehmen und eigenständig zu kürzen. Das verlange ich von meinen Fachministern. Im Übrigen: Dass ein Landeshaushalt um 500 Millionen Euro gekürzt wird, hat es so in Thüringen noch nicht gegeben.

sueddeutsche.de: In der Bundesregierung glauben manche gerade, 2,2 Prozent Wirtschaftswachstum reichen, um mal wieder eine Steuersenkungsdiskussion zu führen. Ist das der richtige Zeitpunkt?

Lieberknecht: Nein. Wir müssen nicht die Steuern senken, sondern das Steuersystem vereinfachen. Das muss Priorität haben. Es ist schon aus demokratiepolitischer Sicht notwendig, dass ich verstehe, wie dieser Staat funktioniert. Die Steuergesetzgebung aber versteht doch niemand mehr.

sueddeutsche.de: Viele kritisieren insbesondere die Schuldenbremse, weil sie den Ländern und dem Bund erheblichen Gestaltungspielraum nimmt. Glauben sie, Demokratie hält es aus, wenn nur noch der Rotstift regiert?

Lieberknecht: Wissen Sie, ich habe in meiner Anfangszeit als Politikerin nie Aufgaben gehabt, die mit viel Geld verbunden waren. Das fördert die Kreativität. Und die brauchen Sie, wenn das Geld knapp ist.

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