Rüstungsexporte:Wenn es an Dichtungen und Kugellagern hängt

Rüstungsexporte: Ein deutscher "Eurofighter" wird im Flug betankt. Um Geld zu sparen, will Europa mehr Rüstungsprojekte gemeinsam angehen.

Ein deutscher "Eurofighter" wird im Flug betankt. Um Geld zu sparen, will Europa mehr Rüstungsprojekte gemeinsam angehen.

(Foto: Imago/Aaron Bunch/Imago/AAP)

Berlin streitet über eine Aufweichung der Ausfuhrgenehmigungen. Betroffen von den Regeln sind komplexe europäische Rüstungsprojekte und die Frage, wohin genau die Waffensysteme geliefert werden sollen.

Von Paul-Anton Krüger und Mike Szymanski, Berlin

Es sind zwei Kürzel - FCAS und MGCS - , hinter denen sich zwei der größten multinationalen Rüstungsprojekte in Europa verbergen: Deutschland, Frankreich und Spanien entwickeln gemeinsam das Future Combat Air System, einen Kampfjet der sechsten Generation, vernetzt mit unbemannten Flugkörpern. Das Main Ground Combat System, eine deutsch-französische Kooperation, soll einmal die Kampfpanzer Leopard 2 und Leclerc ersetzen. Solche Projekte sollen es Europa erlauben, sich gegen künftige Bedrohungen zu wappnen und eine wettbewerbsfähige Rüstungsindustrie zu erhalten, um nicht in große Abhängigkeiten von den USA zu geraten.

Es dürften solche Projekte sein, die Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) vor Augen hatte, als sie am Montag sagte, Deutschland mache europäische Zusammenarbeit "dadurch kompliziert, dass wir auf Sonderregeln beim Export von Rüstungsgütern beharren". Deutschland könne kein Veto einlegen, wenn Frankreich, Spanien oder Italien gemeinsam produzierte Waffensysteme in der Welt verkaufen wollen, sagte die SPD-Politikerin.

Das sieht der Koalitionspartner FDP ähnlich. Wer mehr europäische Zusammenarbeit bei der Verteidigung wolle, müsse auch gemeinsame europäische Regeln bei Rüstungsexporten akzeptieren, sagte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der Süddeutschen Zeitung. "Deutsche Sonderregeln bei Rüstungsexporten sind unangebracht." Die Grünen-Verteidigungspolitikerin und Fraktionsvize Agnieszka Brugger sagte dagegen, sie verstehe die SPD-Linie nicht: "Bei der Unterstützung der Ukraine bremsen, bei Rüstungsexporten generell lockern."

Allerdings stößt Lambrecht auch in der eigenen Partei auf Widerspruch. Der Bundestagsabgeordnete Sebastian Roloff, Mitglied im Wirtschaftsausschuss und im Vorstand der Parlamentarischen Linken, der größten Strömung in der SPD-Fraktion, sieht "keinen Raum für eine Aufweichung der deutschen Rüstungsexportregelungen". Es müsse sichergestellt werden, dass weiter grundsätzlich nicht in Krisengebiete geliefert werde und nur in gut begründeten Einzelfällen Ausnahmen möglich seien - "wie zurzeit an die Ukraine, wo die Exporte nötig und wichtig sind".

Paris beklagt sich über Probleme bei deutschen Lieferungen

Tatsächlich gibt es europäische Regeln, festgelegt in einem Ratsstandpunkt aus dem Jahr 2008, in dem sich die Staats- und Regierungschefs auf acht Kriterien verständigten, die bei Rüstungsexporten zu prüfen sind. Allerdings interpretieren die Mitgliedstaaten sie unterschiedlich, und das führt zu Friktionen.

So klagte Anne-Marie Descôtes, Generalsekretärin des Außenministeriums in Paris und bis zum Sommer Botschafterin in Berlin, französische und europäische Unternehmen stießen zunehmend auf Schwierigkeiten bei notwendigen Ausfuhrgenehmigungen für deutsche Komponenten, die in französischen Produkten enthalten sind. Die Verfahren zögen sich über Jahre. Nicht gelieferte Dichtungen, Kugellager oder Getriebe führten zu Vertragsstrafen und zum Verlust von Aufträgen.

Paris und Berlin vereinbarten im selben Jahr in einem Zusatzabkommen zum Aachener Vertrag, dass bis zu einem Anteil von 20 Prozent am Gesamtwert des Endprodukts der zuliefernde Partner auf eigene Genehmigungsverfahren verzichtet. Bei Großprojekten, genannt sind der angestrebte neue Kampfpanzer und Teile des FCAS-Programms, sagen sich die Parteien zu, nur dann Exporte an Drittstaaten außerhalb der EU und der Nato zu unterbinden, wenn ihre "unmittelbaren Interessen oder ihre nationale Sicherheit" beeinträchtigt würden.

Das ist kein theoretischer Fall, wie sich an den ebenfalls in multinationaler Kooperation gebauten Kampfjets der Typen Eurofighter Typhoon und Panavia Tornado zeigt, die in Großbritannien gebaut und von dort aus exportiert worden waren. Für beide Systeme hat Deutschland Ersatzteile blockiert, die in von Saudi-Arabien genutzte Maschinen hätten eingebaut werden sollen. Die Bundesregierung hatte schon unter der großen Koalition beschlossen, keine Ausfuhren an Länder zu genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind, eine Klausel, die sich auch im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien findet.

Dem britischen Unternehmen BAE Systems, das an den beiden Konsortien beteiligt ist, soll dadurch großer finanzieller Schaden entstanden sein. Die große Koalition hatte zwar zeitweise Zulieferungen nach Großbritannien zugelassen. Wie der Spiegel berichtete, hat das Bundeswirtschaftsministerium unter Führung des Grünen-Politikers Robert Habeck die Genehmigungen aber nicht erneuert. Nach der Ermordung des saudischen Publizisten Jamal Khashoggi wurden Jets festgehalten, die in Deutschland zur Wartung waren, bereits genehmigte Exporte ausgesetzt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kanzelte das als "reine Demagogie" ab; Rüstungsexporte hätten nichts mit Khashoggi zu tun.

Wie definiert man "Schurkenstaaten"?

Da tun sich also erhebliche Differenzen auf über die Definition von "Schurkenstaaten", an die ja auch Lambrecht nicht liefern will. In der Praxis stellen sich aber noch andere Probleme. Denn in vielen kleineren rüstungstechnischen Vorhaben und anderen Partnerländern als Frankreich gibt es keine zwischenstaatlichen Vereinbarungen; die nationalen Regelungen sind nicht eindeutig und können zum Teil auch umgangen werden, etwa durch die Gründung rechtlich selbständiger Tochterfirmen im Ausland.

Das Bestreben der Politik aber ist, die europäische Rüstungsindustrie zu konsolidieren und die Ausrüstung der Armeen besser aufeinander abzustimmen. Weniger Anbieter sollen leistungsfähigere Systeme bauen, was zu erschwinglicheren Preisen führen soll. Allerdings ist Paris überzeugt, dass sich die immensen Entwicklungskosten für Großsysteme wie Kampfjets und Panzer, die in den hohen Milliardenbereich ragen, nur refinanzieren lassen, wenn Exporte in Drittländer möglich sind.

Das sehen andere europäische Regierungen ähnlich und wünschen sich belastbare Zusagen aus Berlin. Lambrecht kann dafür ein Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion aus der abgelaufenen Legislatur für sich in Anspruch nehmen, das der Obmann der Partei im Auswärtigen Ausschuss, Nils Schmid, immer noch für aktuell hält. Europäische Partner erwarteten von Deutschland, von seiner sehr restriktiven Haltung Abstriche zu machen, heißt es darin. Ein gemeinsames Vorgehen könne "sicherlich nur in Form eines Kompromisses, bei dem sich alle EU-Mitgliedstaaten bewegen", erreicht werden.

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