Christian Wulff zum 3. Oktober:Eine unhaltbare Rede

Von Christian Wulff wird zum Tag der Deutschen Einheit eine Rede erwartet, die er eigentlich gar nicht halten kann. Der Bundespräsident muss dafür sorgen, dass nicht mehr über das Staatsoberhaupt diskutiert wird, sondern über das, was es zu sagen hat.

Nico Fried

Es ist keineswegs so, dass der Bundespräsident nun alles andere hintanstellen würde. Dass sich also alles nur noch um den kommenden Sonntag drehte. Am Dienstag zum Beispiel ist Christian Wulff seit dem frühen Morgen unterwegs: Antrittsbesuch in Estland. Er spricht in Tallinn mit dem Präsidenten, mit dem Regierungschef, es geht um den Euro und um Russland. Zum Abschluss hört der Bundespräsident im Dom zu St.Marien noch ein Chorkonzert und erläutert hinterher seinen Mitreisenden, wie wichtig den Balten das Volkslied für den Erhalt ihrer Kultur zu Sowjetzeiten war. Auch interessant.

Germany's President Christian Wulff looks on during his visit to Tallinn

Christian Wulff wird am 3. Oktober die erste Rede aus Anlass eines bedeutenden Termins halten.

(Foto: REUTERS)

Am frühen Abend befindet sich Christian Wulff wieder im Anflug auf Berlin, als die Rede endlich auf die Rede kommt, auf seine Rede am Sonntag, dem 20. Jahrestag der Deutschen Einheit und Tag 96 seiner Amtszeit. Es wird die erste Rede des neuen Bundespräsidenten aus Anlass eines bedeutenden Termins sein; eine wichtige Rede kurz vor Ablauf der Schonfrist von 100 Tagen, die man neuen Amtsträgern gewöhnlich gewährt - die Wulff allerdings nicht wirklich genossen hat. Und es ist die erste Rede, in der von ihm im neuen Amt etwas Wegweisendes zum Thema Integration erwartet wird, weil diese Debatte seit Thilo Sarrazin wieder schrill geführt wird, der Bundespräsident bislang aber nur daran beteiligt war, weil er über die weitere berufliche Verwendung des Bundesbank-Vorstandes Sarrazin entscheiden musste.

Gemessen an den Erwartungen, die sich jetzt auf ihn richten, wirkt Christian Wulff durchaus entspannt. Und dass er das Sakko quasi feierabendmäßig schon abgelegt hat und bequem im Flugzeugsessel sitzt, soll diesen Eindruck sicher unterstreichen. Natürlich verrät er nur in Andeutungen, was er sagen wird, und eigentlich sind diese Andeutungen nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

Aber dass es einem Konservativen etwas bedeutet, die Einheit zu würdigen und denen zu danken, die halfen, sie herbeizuführen, das kann sich jeder selbst zusammenreimen. Und in welche Kontinuität er die Frage der Integration stellen wird, kann man auch aus dem Rückblick auf seine Antrittsrede herleiten. Damals, am 2. Juli, war einer seiner Kernsätze: "Wenn wir weniger danach fragen, woher einer kommt, als danach, wohin er will; wenn wir nicht mehr danach fragen, was uns trennt, sondern was uns verbindet, dann wird das Zusammenleben in unserem Land menschlicher und zugleich erfolgreicher sein."

Genau genommen wird von Christian Wulff am Sonntag eine Rede erwartet, die er gar nicht halten kann. Er soll ja nicht nur die Zweifel an sich zerstreuen, die auch bei denen, die ihn zum Bundespräsidenten machten, um sich greifen. Er soll auch dazu beitragen, dass die Institution des Bundespräsidenten endlich aus den skeptischen Schlagzeilen herauskommt, in die sie Horst Köhler mit seinem Rücktritt geführt hat; dass nicht mehr über das Staatsoberhaupt diskutiert wird, sondern über das, was es zu sagen hat. Das ist auch Wulff selbst ein Anliegen. Mithin will er eine Debatte beenden, zu der er auch selbst beigetragen hat: Zu oft stand Wulff nicht über den Dingen, sondern eher mitten im Getümmel - und das nicht nur bei seiner neun Stunden währenden Wahl.

Da war der Urlaub in der Villa seines Freundes Carsten Maschmeyer auf Mallorca - nicht verboten, aber auch nicht werbewirksam, außer vielleicht für Maschmeyer. Da war nach der Loveparade-Tragödie Wulffs Rücktrittsforderung an den Duisburger Oberbürgermeister, die vielleicht gar nicht als Rücktrittsforderung gemeint war, aber so verstanden werden musste. Und schließlich Wulffs Äußerungen in der Sarrazin-Affäre und die Beteiligung des Bundespräsidialamtes an der schiedlichen Trennung der Bundesbank von ihrem Vorstand. In dieser Angelegenheit immerhin sind die Kommentatoren unentschieden, ob Wulff seine Kompetenz überschritt - oder nicht doch half, weiteren Schaden von allen Beteiligten abzuwenden, wo schon genug Schaden angerichtet war.

Wulff galt noch nie als großer Redner. Er weiß das. Ob er darin diesmal einen Vorteil sieht, weil es Luft nach oben lässt, oder einen Nachteil, weil es die Aufgabe noch schwerer macht, das ist nicht ganz klar geworden, als die Maschine in Berlin aufsetzt und Christian Wulff den Mitreisenden freundlich einen schönen Abend wünscht.

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