Christian Wulff in Bedrängnis:Ihr kriegt mich hier nicht raus

Gibt es keine wichtigeren Fragen als den Kredit eines Präsidenten und sein Verhältnis zur "Bild"-Zeitung? Doch, gibt es. Dass Christian Wulffs Privatleben in der Öffentlichkeit so erregt diskutiert wird, liegt daran, dass er selbst keine Kraft hat, um das zu tun, was ein gutes Staatsoberhaupt tun muss: Themen setzen und mit Reden die Republik bewegen. Trotzdem will er, dass die Bilanz erst nach fünf Jahren gezogen wird.

Nico Fried

Die Band Ton Steine Scherben sang 1972 einen Solidaritätssong für die Besetzer des Rauch-Hauses in Berlin-Kreuzberg. Sänger Rio Reiser dichtete damals die Zeilen: "Ihr kriegt uns hier nicht raus, das ist unser Haus." Nicht nur, weil sich Reiser selbst später mal wünschte, als König von Deutschland das Staatsoberhaupt zu sein, passt der Refrain ganz gut auf Christian Wulff.

Debatte um Wulff

Immerhin im Besitz eines gültigen Mietvertrages: Trotz Kreiditaffäre und den Irritationen um seine Anrufe bei der Bild-Zeitung. Bundespräsident Christian Wulff macht unverkennbar den Eindruck, dass er weiter im Schloss Bellevue bleiben will. 

(Foto: dapd)

Der Bundespräsident höchstselbst hat zwar die Sternsinger darüber belehrt, dass Schloss Bellevue allen 82 Millionen Deutschen gehöre - faktisch aber entscheidet hier auch nur der Bewohner, ob er seine Räumlichkeiten vorzeitig verlässt. Und dieser Bundespräsident, immerhin im Besitz eines gültigen Mietvertrages, macht unverkennbar den Eindruck, dass er bleiben will.

Da kann man nichts machen. Allerdings: Wenn Wulff nach vier Wochen im Mittelpunkt des Interesses wieder in dieselbe Bedeutungslosigkeit zurückfällt, die er in den ersten eineinhalb Jahren seiner Amtszeit hatte, dann ist er als Bundespräsident im Grunde genommen vor allem eines: egal. Dass sein eigener Anspruch nicht viel höher sein wird, hat Wulff ja schon im Fernsehen deutlich gemacht, als er befand, er sei bislang ein guter Präsident gewesen.

Leidenschaft für den Lernprozess

Von Beginn an begleitet den Fall Wulff eine Frage: Gibt es keine wichtigeren Themen als den privaten Kredit eines Präsidenten und sein Verhältnis zur Bild-Zeitung? Gibt es. Und doch müsste diese Frage gerade auch dem Bundespräsidenten zu denken geben. Denn seinem Amt ist es wie keinem anderen gegeben, dass sein Inhaber wichtigeren Themen Bedeutung verschafft. Bei der Integration hat Wulff das versucht, aber letztlich nicht mehr geliefert als Stichworte. Bei der Schuldenkrise verhallten seine Sätze, weil zu vielen anderen Rednern dazu lange vorher schon Geistreicheres eingefallen war. Dass der Präsident und sein Privatleben nun so bedeutsam geworden sind, liegt auch daran, dass er selbst keine Kraft hat, wichtige Themen zu setzen.

Johannes Rau, der eine Zeitlang ebenfalls Vorwürfen aus seiner Vergangenheit als Ministerpräsident ausgesetzt war, hielt inmitten dieser Krise eine große Rede als Bundespräsident im israelischen Parlament. Horst Köhler, wahrlich kein großer Redner, hatte eine erkennbar echte Leidenschaft für Afrika. Auch Wulff hat in seinem Fernsehauftritt große Begriffe wie Menschenrechte benutzt, aber nur, um damit den Umgang seiner Kritiker mit ihm selbst zu monieren. So viel Leidenschaft wie für seinen präsidentiellen Lernprozess hat er als Bundespräsident noch für nichts anderes gezeigt.

Wulff hat sich zum Selbstschutz exponiert wie keiner seiner Vorgänger. Er hat damit dem Amt nicht gedient und das sogar selbst zugegeben. Trotzdem will er, dass seine Bilanz erst nach fünf Jahren gezogen wird. Wenn er das nicht verhindert, wird es niemand verhindern können. Wenn Wulff aber die Haben-Seite bis dahin noch aufbessern will, dann muss vor allem er selbst jetzt endlich mal zeigen, dass es Wichtigeres gibt als ihn.

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