Süddeutsche Zeitung

Christian Wulff:Schon immer Präsident

Er hat seine Sternstunden immer dann, wenn es ans Herz geht: Christian Wulff war stets eher ein Repräsentant der Emotionen des Volkes als ein Machtpolitiker. Deswegen passt das höchste Staatsamt gut zu ihm.

Ralf Wiegand

Im Nachhinein wirkt es so, als sei der vergangene Sonntag eine Generalprobe gewesen für Christian Wulff; als hätte er der Nation schon einen Tag vor Horst Köhlers Rücktritt beweisen wollen, dass er ein guter Bundespräsident werden könnte. Wulff holte an diesem Sonntag Lena Meyer-Landrut auf dem Flughafen Langenhagen ab, die Siegerin des Schlagerfestivals von Oslo. Er empfing die Abiturientin mit den löchrigen Jeans wie einen Staatsgast, ließ den roten Teppich ausrollen, überbrachte die Grüße der Bundesrepublik samt Kanzlerin und erklärte dann, was dieses frische Gesicht mit Deutschland zu tun hat.

Heraus kam ein Vortrag über sein Deutschland, ein Land, das jungen Menschen Chancen gibt und ihnen Erfolg verspricht - wenn sie die Chance nur beherzt ergreifen. Ein Land der Talente, tolerant, freundlich. Lena stehe "für ein Deutschland-Bild, wie wir es uns wünschen", sagte der Ministerpräsident und lächelte wie bei der Neujahrsansprache.

Christian Wulff war dem "-präsident" in seiner Amtsbezeichnung schon immer näher als dem "Minister". Er kann das, die Emotionen bedienen, und er liebt das. Wulff hatte seine Sternstunden immer dann, wenn es ans Herz ging. Bei der Trauerfeier für die Opfer des Transrapid-Unglücks im niedersächsischen Lathen hielt er eine einfühlsame Rede, bei der Trauerfeier für den Fußball-Torwart Robert Enke setzte er seine Teilnahme angeblich selbst durch und traf wieder den Ton, vor Millionen Fernsehzuschauern. Auch beim Rücktritt der beliebten Bischöfin Margot Käßmann schlug sich Wulff auf die Seite des Volkes. Er tut alles, damit die Menschen das Gefühl haben, er sei da, wenn sie ihn brauchen. Das trifft auf die einfachen Leute ebenso zu wie auf die Wirtschaftsführer. Zu denen hat er längst eine fast schrödereske Nähe entwickelt. Die Wulffs sind gern gesehene Gäste auf den wichtigen Partys der Landeshauptstadt.

Die Opposition hält ihn für zu unverbindlich

In der Politik macht sich Wulff mit diesem präsidialen Stil schon lange keine Freunde mehr. Die Opposition hält ihn für unverbindlich, er sei ein Mann ohne Positionen, heißt es. Nicht einmal ein handfester Gesetzesverstoß Wulffs spielte der SPD in die Hände: Ein unanständiges Upgrade für einen Urlaubsflug hakte der Ministerpräsident öffentlich als Fehler ab, schaute betreten - und die Sache war vergessen.

Aber auch im eigenen Reich, der CDU, ist Wulff kein unumstrittener König. Von seiner Beliebtheit im Volk wollen zwar alle gern zehren, das schon; doch am Kabinettstisch forderten sogar langjährige Wegbegleiter mehr Führung vom Chef. Wulff sei seit dem fliegenden Wechsel von seiner ersten Ehefrau Christiane zur deutlich jüngeren Bettina weniger politisch, dafür aber glamouröser. Die Konservativen sehen das mit Argwohn.

Die Gerüchte, den nun auch schon 50-jährigen ewigen Schwiegermütter-Liebling ziehe es aus der Politik weg, entstanden in der eigenen Partei. Es hieß, den in Osnabrück aufgewachsenen Rechtsanwalt reize die Wirtschaft, vielleicht ein Vorstandsstuhl im Betrieb eines befreundeten Unternehmenschefs. Wulff glüht geradezu, wenn er als Aufsichtsrat von VW mitreden darf.

"Kanzler kann ich nicht"

Doch Wulff blieb - und wartete. Einst Deutschlands beliebtester Politiker, ließ er alle Chancen liegen, aus Hannover heraus zu wachsen. Kanzler? "Kanzler kann ich nicht", sagte er. Damit entzog er sich aber auch einem verzehrenden Stellvertreterkrieg mit Roland Koch und Jürgen Rüttgers. Aber so inbrünstig sich der stellvertretende Vorsitzende der Bundes-CDU als ewiger Niedersachse gab, so konsequent bestellte er daheim seine Nachfolge.

Er machte den Fraktionsvorsitzenden David McAllister zum Kronprinzen, schenkte ihm den Landesvorsitz der Union und bildete noch rasch das Kabinett um. Wulff, so viel ist klar, kann von einem Tag auf den anderen gehen.

Er schien auf etwas Großes zu warten. Dass es so groß werden würde, überrascht Wulff wohl am wenigsten.

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SZ vom 04.06.2010
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