Süddeutsche Zeitung

Christian Wulff in Bedrängnis:Präsident der Spaltung

Der Fernsehauftritt von Christian Wulff wirft neue Fragen auf. So bleibt vorerst unklar, was genau der Bundespräsident auf die Mailbox des "Bild"-Chefredakteurs gesprochen hat - eine Veröffentlichung des Anrufprotokolls lehnt er ab. Fest steht nur: Wulff spaltet die Republik wie wohl kein anderes Staatsoberhaupt vor ihm. Das ist bedauerlich für Deutschland - und gefährlich für Kanzlerin Merkel.

Nico Fried, Berlin

Angela Merkel benutzt gerne den Begriff vom richtigen Maß. Die Kanzlerin schätzt keine Extreme. Ihre berühmte Politik der kleinen Schritte ist der Kompromiss zwischen Losstürmen und Stehenbleiben. Manchmal nennt sie das richtige Maß auch das vernünftige.

Das richtige Maß ist genau das, was beiden Bundespräsidenten fehlt, die Angela Merkel ausgesucht hat. Sie sind beide Präsidenten der Extreme. Was Köhler zu wenig hatte, hat Wulff zu viel. Gleich ist bei beiden nur die Unvernunft. Horst Köhler warf sein Amt viel zu schnell weg, Christian Wulff hält sich nun zu lange daran fest. Horst Köhler war zu wenig Politiker im Amt des Staatsoberhaupts. Christian Wulff ist zu viel Politiker geblieben. Viel zu viel.

Ihm fehle die nötige Härte, hat Christian Wulff mal gesagt. Die Härte des Politikers besteht nicht selten darin, den richtigen Moment für die Geschmeidigkeit zu erkennen. So gesehen ist Wulff ein großer Politiker. Nur große Politiker verstehen es auch, sich so kalkuliert zu präsentieren wie Wulff am Mittwochabend im Fernsehen. Ausgesuchte Journalisten, begrenzte Sendezeit. Einen demütigen Schritt zurück, zwei kämpferische Schritte nach vorn. Und gelegentlich einen zur Seite ins Unklare, ins Diffuse. Härte und Geschmeidigkeit.

Dem Bundespräsidenten tut etwas leid, der Bundespräsident bedauert, der Bundespräsident entschuldigt sich. Der Bundespräsident müsste eigentlich Rückenschmerzen haben, weil er sich dauernd über ein Bad hängt, um das Kind wieder rauszuholen, das er vorher hineinfallen ließ. Man kann darüber streiten, inwieweit ein Bundespräsident oder ein Politiker überhaupt ein Vorbild sein muss. Man kann nicht darüber streiten, ob Wulff ein Vorbild ist. Er ist es nicht. Seine Einsichten sind zu oft nachholende Einsichten. Wulff ist also allenfalls ein Nachbild.

Man ist ein Mensch. Man macht Fehler. Man denkt viel über die Bibelstelle nach, wer frei von Schuld ist, werfe den ersten Stein. Der Letzte, der von sich gerne in der dritten Person gesprochen hat, war Karl-Theodor zu Guttenberg. Und er war auch einer, der erwartet hatte, dass die Anerkennung für seine Entschuldigung eigentlich größer sein müsse, als die Schelte für das dazugehörige Vergehen. Er fand seine Lernfähigkeit vorbildlich. Wie Wulff.

Angela Merkel ist oft als präsidial beschrieben worden. Sie selbst versteht sich als Kanzlerin aller Deutschen. Christian Wulff teilt das Land nun wie wohl kein anderer Bundespräsident vor ihm. Er teilt das Land wahrscheinlich sogar mehr als Merkel. Verkehrte Welt.

Diese Spaltung ist nicht nur bedauerlich fürs Land. Sie ist auch gefährlich für Merkel. Ihre Koalition versammelt sich nun hinter dem Präsidenten und fordert zum wiederholten Mal ein Ende der Debatte. Das wird es nicht geben. Im Gegenteil: Schon der Fernsehauftritt hat neue Fragen aufgeworfen.

Zum Beispiel die Frage nach dem Anruf Wulffs bei der Bild-Zeitung. Die will deren Chefredakteur nun geklärt haben - Wulff lehnt eine Veröffentlichung der Mailbox-Nachricht aber ab.

Mit jedem neuen Auftritt des Präsidenten wird die Debatte neu beginnen. Mit jedem Auftritt wird Wulff an seiner erstaunlichen Einschätzung gemessen, dass er schon bisher ein guter Bundespräsident gewesen sei, außer eben in den vergangenen drei Wochen.

Die Beurteilung des Präsidenten, die jenseits politischer Grenzen verlaufen sollte, wird nun parteipolitisch bleiben. Die Glaubwürdigkeit, die Union und FDP Wulff nun attestieren, kann jeden Tag auf die Probe gestellt werden. Das Amt des Bundespräsidenten hat unter Wulff seine Überparteilichkeit verloren. Merkel hat Wulff zum Bundespräsidenten gemacht. Unredlich sind allerdings jene, die fordern, sie müsse ihn nun auch zum Ex-Präsidenten machen. Man kann schlecht kritisieren, dass Wulff sich nicht um ein Grundrecht aus der Verfassung schert, zugleich aber von Merkel fordern, dass sie die Trennung der Verfassungsorgane und die Ausnahmestellung des Staatsoberhauptes missachtet.

Christian Wulff bleibt eine Belastung für sein Amt, für das Land und für die Koalition. Aber wenn es zu schlimm wird, kann er sich ja immer noch dafür entschuldigen.

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