Staatshaushalt:Willkommenes Eigentor

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Ganz so ungelegen, wie man denken könnte, kommt Christian Finanzminister Lindner die gelbe Karte aus Brüssel nicht. (Foto: Sean Gallup/Getty)

Finanzminister Lindner hat in Brüssel neue, teils strengere Regeln für den EU-Stabilitätspakt durchgesetzt. Die Folgen bekommt nun auch Deutschland besonders zu spüren.

Von Jan Diesteldorf, Claus Hulverscheidt, Brüssel/Berlin

Der Bundesfinanzminister gibt gern den strengen Schulmeister, das war erst neulich in Luxemburg wieder zu erleben. Anfang Oktober war Christian Lindner zum Treffen mit seinen europäischen Amtskollegen angereist und kam wie so häufig auch diesmal nicht ohne Mahnung aus.

Man müsse ebenfalls über die Anwendung der neuen EU-Regeln für die Staatsfinanzen sprechen, kündigte er an. „Andere Mitgliedstaaten“ hätten ja bereits darum gebeten, den Spielraum des runderneuerten Stabilitätspakts ausreizen zu dürfen und jene Ausnahmeklausel zu nutzen, die ihnen mehr Zeit einräumt, Schuldenquoten und Haushaltsdefizite auf das vereinbarte Niveau zu senken. „Wir brauchen Ehrgeiz dabei, unsere öffentlichen Finanzen in Ordnung zu halten“, dozierte Lindner. „Deshalb kann ich alle nur ermuntern, strukturelle Reformen einzuleiten.“

Was Lindner durchgeboxt hat, erweist sich als Zwickmühle

Dass zu den „anderen Mitgliedstaaten“ bald wohl auch Deutschland zählen wird, erwähnte der Minister vorsichtshalber nicht. Am Dienstag nun reichte er seinen vorläufigen Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 in Brüssel ein, und schon jetzt wird deutlich: Um die Schuldentragfähigkeit der Republik dauerhaft zu sichern, müssen die für 2025 bis 2028 angepeilten Ausgabensteigerungen entweder deutlich beschnitten werden – oder auch die Ampel muss gleich die erwähnte Ausnahmeklausel nutzen. Sie gibt den Mitgliedsländern für die nötigen Anpassungen sieben statt vier Jahre Zeit, dadurch wird der Spardruck ein wenig abgemildert.

Über eine solche Fristverlängerung verhandeln Lindners Beamte gerade mit der EU-Kommission. Ein Entgegenkommen ist allerdings daran geknüpft, dass die Ampelkoalition strukturelle Wirtschaftsreformen und wachstumsfördernde Investitionen einleitet. Einigen sich Berlin und Brüssel nicht, wird die ohnehin bestehende Milliardenlücke in Lindners Planung für den Bundeshaushalt 2025 und die Folgejahre noch einmal kräftig anwachsen.

Die Ironie der Geschichte ist, dass der FDP-Chef die Reform der europäischen Stabilitätskriterien höchstselbst in der EU durchgeboxt hatte. Nun bringt sie ihn in die Zwickmühle. Die Konjunkturaussichten haben sich eingetrübt, die Ausgaben im laufenden Jahr sind höher als von der EU-Kommission veranschlagt – und während die Schuldenbremse des Grundgesetzes den Kreditspielraum des Finanzministers für 2025 vergrößern würde, zwingen ihn die neuen EU-Regeln womöglich dazu, noch mehr zu sparen.

Die gelbe Karte aus Brüssel kommt nicht ganz ungelegen

Schuld am überplanmäßigen Ausgabenzuwachs in diesem Jahr sind die unerwartet hohen Subventionen für die Förderung erneuerbarer Energien sowie konjunkturbedingte Mehrkosten beim Bürgergeld. Lindner war deshalb gezwungen, parallel zum Entwurf für den Etat 2025 auch einen Nachtragshaushalt für 2024 vorzulegen. In Ministeriumskreisen hieß es, um die für 2028 geplante Ausgabenobergrenze einhalten zu können, müsse das Wachstum des Budgetvolumens bis dahin rechnerisch um einen „ganzen Prozentpunkt“ verringert werden. Das entspräche einer Summe von mehr als 20 Milliarden Euro. Verlängerte man den Anpassungsspielraum hingegen bis 2031, käme der Staat wohl ohne größere zusätzliche Einsparungen aus.

Die EU-Staaten hatten jahrelang über den Stabilitätspakt gestritten, bis im April endlich eine Reform stand. Sie sieht vor, dass es bei den sogenannten Maastricht-Kriterien bleibt, wonach die Gesamtverschuldung des Staates 60 Prozent und das Haushaltsdefizit drei Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten sollen. Weil die bislang starren Vorgaben aber ständig gebrochen wurden, soll die Kommission künftig flexibler mit jedem Land aushandeln, wie viel es über mehrere Jahre hinweg ausgeben darf und wie schnell es seine Verschuldung senken muss. Die Bundesregierung setzte sich jedoch mit der Forderung nach Mindestvorgaben durch, die alle gleichermaßen erfüllen müssen – nun auch Deutschland selbst.

Allerdings kommt Lindner die gelbe Karte aus Brüssel gar nicht so ungelegen, steht er doch in der eigenen Koalition mächtig unter Druck, einer Lockerung der Schuldenbremse nicht länger im Weg zu stehen und eine kreditfinanzierte Investitionsoffensive zu starten. Stattdessen kann der Minister jetzt darauf verweisen, dass angesichts der neuen EU-Regeln eine solche Lockerung gar keine zusätzlichen Ausgabenspielräume eröffnen würde.

Vielmehr ist der reformierte Stabilitätspakt in diesem Fall sogar strikter als die Schuldenregel des Grundgesetzes, weil er neben der aktuellen Konjunkturlage auch die künftigen Wachstumsaussichten sowie absehbare Mehrkosten etwa der Renten-, Pflege- und Krankenversicherung mit berücksichtigt. In den Ministeriumskreisen zeigte man sich am Mittwoch deshalb keineswegs zerknirscht. Im Gegenteil: Für den Erfolg des reformierten Stabilitätspakts, so hieß es, sei es „unerlässlich, dass Deutschland als Stabilitätsanker das europäische Regelwerk konsistent und konsequent umsetzt“.

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