Süddeutsche Zeitung

Christian Hirte:Das Ende des Gute-Laune-Beauftragten

Einst setzte sich Merkel für ihn ein - jetzt drängte sie ihn zum Rücktritt: Als Ostbeauftragter versuchte Christian Hirte gegen das Image der "Jammerossis" anzukämpfen - und fiel mehrmals mit fragwürdigen Äußerungen auf.

Von Antonie Rietzschel

Christian Hirte ist weit weg, als er sein Ende als Ostbeauftragter der Bundesregierung einleitet. Während am Mittwoch in Thüringen die Wahl des neuen Ministerpräsident ansteht, weilt er in Tokio beim deutsch-japanischen Digitaldialog. Ein Foto auf seinem Twitter-Account zeigt ihn lächelnd am Flughafen. Der Himmel ist blau. Gut gelaunt kommentiert der CDU-Politiker die Entwicklungen in Erfurt, wo CDU, AfD und FPD Thomas Kemmerich ins Amt hieven. Während die ersten von einem Dammbruch sprechen, von einer Schande, verschickt Hirte eine Gratulationsbekundung:

Der Tweet, anschließende Rücktrittsforderungen gegenüber Hirte, all das geht im Chaos des Thüringer Nachbebens zunächst unter. Am Samstagmorgen dann wendet sich der verstummte Hirte an die Öffentlichkeit. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe ihm mitgeteilt, er könne nicht mehr Ostbeauftragter sein. Daraufhin habe er um seine Entlassung gebeten, schreibt er auf Twitter. Auch sein Amt als Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie verliert er. Hirte ist nun lediglich regulärer Parlamentarier.

Teil einer kleinen Ost-Offensive

Die Abberufung dient nicht nur der Schadensbegrenzung. Am Samstag trifft sich in Berlin der Koalitionsausschuss. Das Problem Hirte wollte die CDU wohl vorher aus der Welt und damit eine andere Gesprächsgrundlage mit der SPD schaffen. Klare Kante statt Schlingerkurs. Einen Nachfolger für Hirte gibt es noch nicht.

Für Christian Hirte bedeutet der Rücktritt vorerst das Ende einer erst kürzlich vorangetriebenen Karriere. Er kommt aus Bad Salzungen bei Eisenach. Seit fast zwölf Jahren sitzt Hirte im Bundestag. Nach der Bundestagswahl 2017 wurde er stellvertretender Fraktionsvorsitzender.

Wenige Monate später übernahm er das Amt des Ostbeauftragten. Es war Angela Merkel persönlich, die sich für Hirte einsetzte. Er war Teil einer kleinen Ost-Offensive vor den Landtagswahlen im Herbst 2019, um die Landesverbände in den neuen Bundesländern zu befrieden. So wurde ein Sachse Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium, ein Brandenburger Landwirtschaftssekretär - und ein Thüringer Ostbeauftragter.

Nachfragen zu rechtsextremen Übergriffen wich er aus

Mit dem Amt verbindet sich kein direkter Einfluss. Ostbeauftragte sind beim Ministerium für Wirtschaft und Energie angesiedelt. Sie haben kein eigenes Budget, keinen Zutritt zu Ministertreffen. Doch vor den wichtigen Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst 2019 bekam Hirte die Chance, die öffentliche Wahrnehmung auf die ostdeutschen Bundesländer mitzuprägen. Sein Ziel formulierte er nach Amtsantritt so: "Ich will dazu beitragen, dass die Ostdeutschen mit mehr Selbstbewusstsein nach vorne schauen."

Hirte ging als Gute-Laune-Beauftragter voran. In Interviews sagte er Sätze wie: "Die Lage im Osten ist besser als ihr Ruf", "der Osten ist attraktiver denn je", "die Lebensbedingungen sind besser denn je". Alles super also. Unterschiede bei Gehalt, Rente, Arbeitszeit - das negierte Hirte lange Zeit.

Und er verharmloste auch Rassismus: "Es ist menschlich verständlich, wenn man auf Fremdes aus Angst vor Veränderung zunächst mit Ablehnung reagiert." Nach den rechtsextremen Demonstrationen in Chemnitz warnte er vor einem Ost-Bashing und sprach von "spinnerten Rechtsradikalen", die um die Häuser zögen. Bei konkreten Nachfragen zu rechtsextremen Übergriffen wich Hirte gerne aus. Er einnerte lieber daran, dass es in Westdeutschland ähnliche Probleme gebe.

Wenn sich Vertreter anderer Parteien kritisch über Entwicklungen in manchen Teilen Ostdeutschlands äußerten, wurden sie von Hirte heftig attackiert. So etwa der sächsische SPD-Landesvorsitzende Martin Dulig. Den hatte die Bundes-SPD nach der Berufung Hirtes zum eigenen Ostbeauftragten ernannt.

Dulig zieht seit Jahren für Dialogveranstaltungen durch Sachsen. Sein Landesverband hatte weit vor Hirte Diskussionen über biografische Brüche der Nachwendezeit und wirtschaftliche Ungleichbehandlung angestoßen. Die Einführung einer Grundrente war die zentrale Forderung der Ostverbände, die Dulig in die Bundespartei trug. Mit Erfolg, wie man heute weiß. "Die Larmoyanz, welche die SPD vor sich herträgt, bestätigt nur das falsche Image des Jammerossis und schadet uns als attraktiver Standort im Wettbewerb der Regionen", fand Hirte.

Unzufrieden mit der eigenen Partei

Als Anwalt für Steuerrecht hat Hirte viele Mittelständler beraten, sein Blick auf die Situation im Osten ist also vor allem wirtschaftlich geprägt. Er folgt aber einem Reflex, der für die CDU in den vergangenen 30 Jahren typisch war: Das Image ist alles. Wer es beschädigt, ist Nestbeschmutzer.

Und diese Rolle wird in Sachsen genauso wie in Thüringen gerne der Linkspartei zugewiesen. Christian Hirte ging noch einen Schritt weiter. Im August 2019 unterstellte er der Partei, sie sei für den Erfolg der AfD verantwortlich. In einem Gespräch sagte Hirte: "Man könnte sagen, dass die PDS-Linke gesellschaftlich gesät hat, was heute die AfD erntet." Die PDS habe über Jahre und Jahrzehnte Unterschiede und angebliche Benachteiligungen betont. Die Linkenchefin Katja Kipping forderte daraufhin seinen Rücktritt.

Doch auch mit der eigenen Partei schien Hirte zunehmend zu hadern. Während die Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ein Parteiausschlussverfahren gegen den früheren Chef des Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, anregte, gehörte Hirte zu jenen, die verärgert darauf reagierten. "Zur Wahrheit gehört eben auch, dass wir uns als CDU, als Volkspartei, freuen sollten, wenn wir breit aufgestellt sind." Es sei gut, wenn beide Flügel in der Partei "kräftig schlagen".

Nach der Landtagswahl in Thüringen empfahl Hirte der Thüringer CDU einen eigenen Kandidaten zur Ministerpräsidentenwahl aufzustellen: Mike Mohring. Zunehmend, so scheint es, nutzte er sein Amt zuletzt auch, um Aufmerksamkeit für seine parteipolitischen Zwecke zu erhalten. Dazu hat er jetzt keine Gelegenheit mehr.

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