SyrienDie Furcht der religiösen Minderheiten

Lesezeit: 3 Min.

Vor zehn Jahren wurde der syrisch-katholische Mönch Jacques Mourad vom IS entführt. Er entkam mithilfe muslimischer Freunde. Inzwischen ist er Erzbischof von Homs.
Vor zehn Jahren wurde der syrisch-katholische Mönch Jacques Mourad vom IS entführt. Er entkam mithilfe muslimischer Freunde. Inzwischen ist er Erzbischof von Homs. (Foto: MARIO OSORIO/IMAGO)

Der Erzbischof von Homs warnt vor den islamistischen Plänen der neuen Machthaber in Syrien.

Von Annette Zoch

Als Befreiung, als Traum, der endlich in Erfüllung geht, habe das syrische Volk den Sturz von Diktator Baschar al-Assad erlebt, sagt Jacques Mourad, der syrisch-katholische Erzbischof von Homs. Doch drei Monate nach der Machtübernahme der Übergangsregierung ist die anfängliche Freude der Angst gewichen, besonders unter den religiösen Minderheiten. Berichte über Massaker an den Alawiten haben international Entsetzen ausgelöst. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte spricht von inzwischen mehr als 1400 Toten.

„Wie groß war unsere Freude, als Häftlinge befreit wurden und die Gefängnisse sich leerten“, sagt Mourad. „Doch die Tage vergingen und die Gefängnisse haben sich wieder gefüllt, vor allem mit Alawiten.“ Im Zuge von Schnellverfahren seien Menschen willkürlich ohne Recht auf Verteidigung festgenommen und manchmal sogar hingerichtet worden. Von einem „schrecklichen Verbrechen“ an den Alawiten spricht der Bischof – und von der wachsenden Angst auch unter den Christen in Syrien.

„Leider besteht eine große Kluft zwischen der offiziellen Rhetorik und der Realität vor Ort.“

Am Dienstag ist der Geistliche ins Kloster Steinfeld in der Eifel gereist, um seinen dort tagenden deutschen katholischen Mitbrüdern aus erster Hand über die Lage der Christen im Nahen Osten zu berichten. Vor Beginn des Bürgerkrieges lebten schätzungsweise rund 1,5 Millionen Christen in Syrien, heute sind es nur noch 300 000. In anderen Ländern des Nahen Ostens sieht es ähnlich aus, Christen werden zunehmend zurückgedrängt.

In der derzeitigen Führungsschicht in Syrien sei der große Wunsch nach einem rein islamischen Land zu spüren, sagte Mourad. Dies werde der Vielfalt des Landes aber nicht gerecht. „Leider besteht eine große Kluft zwischen der offiziellen Rhetorik der derzeitigen Machthaber und der Realität vor Ort“, sagt Mourad. Sie versuchten, die Scharia als Grundlage für die neue Gesetzgebung durchzusetzen.

Mourad ist seit 2023 Erzbischof von Homs. Das Bistum gehört zum syrisch-katholischen Patriarchat von Antiochia, die syrisch-katholische Kirche ist mit Rom uniert. Das bedeutet, dass Liturgie und Ritus zwar orthodox anmuten, die Kirche sich aber als katholisch im Sinne Roms definiert und den Papst als Oberhaupt anerkennt.

Jacques Mourad wurde in Aleppo geboren, das einst als christliche Hochburg galt, heute aber nur noch weniger als 20 000 Christen zählt. Er studierte Theologie und Philosophie an der Heilig-Geist-Universität in Kaslik in Libanon. Weltbekannt wurde der 56-Jährige, als er 2015 von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ entführt und verschleppt wurde. Damals lebte Mourad als Mönch im Kloster Mar Elian nahe der Ortschaft al-Qaryatain, wo er auch als Pfarrer arbeitete und wo Christen und Muslime friedlich zusammenlebten. Das Kloster war auch für seine interreligiöse Arbeit bekannt.

„Die Angst vor einer erneuten Infiltration von Syrien her durch den IS ist im Irak groß.“

Fünf Monate lang hielten IS-Terroristen ihn gefangen, folterten ihn. Der IS erlaubte ihm schließlich, nach al-Qaryatain zurückzukehren, das aber zwischenzeitlich unter IS-Herrschaft stand. Mithilfe muslimischer Freunde gelang es ihm schließlich, aus dem IS-Gebiet zu fliehen. Das Kloster Mar Elian aus dem 5. Jahrhundert wurde vom IS zerstört und von der syrischen Armee 2016 zurückerobert. Inzwischen ist es unter Leitung von Jacques Mourad wieder aufgebaut worden.

Auch unter den Christen des Iraks wächst die Befürchtung, dass das Land aus Syrien erneut vom IS infiltriert werde, sagte Paderborns Erzbischof und Nahost-Beauftragter der Bischofskonferenz, Udo Markus Bentz. „Die Angst vor einer erneuten Infiltration von Syrien her durch den IS ist im Irak groß, und zwar gerade dann, wenn die neuen Machthaber in Damaskus sukzessive beginnen, die mit IS-Kämpfern gefüllten Gefängnisse zu öffnen.“ Europa müsse deshalb den Irak dabei im Kampf gegen den Islamismus unterstützen.

Mourad hatte seine Zeit in IS-Gefangenschaft in dem Buch „Ein Mönch als Geisel“ verarbeitet. Dschihadisten hatten ihn mit dem Messer an der Kehle aufgefordert, zum Islam zu konvertieren, erzählte Mourad einmal Vatican News. Doch aus dem Gebet habe er Kraft geschöpft: „Ich kann die Kraft und den Mut nicht vergessen, die es mir erlaubten, diesen Dschihadisten ins Gesicht zu sehen und ihnen die Liebe Jesu zu vermitteln“, sagte Mourad. Seine Ruhe und Gelassenheit habe die Gefängniswärter tief verunsichert, so Mourad: „Sie fragten sich, wie es möglich sei, dass ein Gefangener lächeln könne, und selbst ich konnte nicht erklären, woher ich die Kraft dazu nahm. Sobald ich anfing, den Rosenkranz zu beten, schwanden alle Schmerzen und alle Angst.“

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Konflikt in Syrien
:Ein bisschen Frieden

Nach den Massakern an Alawiten verkündet der syrische Übergangspräsident al-Scharaa ein Abkommen mit den Kurden. So kann er sich als jemand präsentieren, der etwas tut für den Schutz der Minderheiten im Land.

SZ PlusVon Bernd Dörries

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: