Christdemokraten:Merkel trotzt dem Sturm

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Entsetzt, aber bemüht um ein Bild der Einigkeit: die Riege der Unions-Unterhändler, im Vordergrund rechts Angela Merkel. (Foto: REUTERS)
  • Nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche schließen sich die Reihen in der CDU hinter Merkel.
  • Niemand im Vorstand will die Kanzlerin für das Scheitern der Gespräche verantwortlich machen.
  • Sollte es zu Neuwahlen kommen, will Merkel wieder als Spitzenkandidatin der Union antreten.

Von Robert Roßmann, Berlin

Angela Merkel ist keine Frau, die zu Überschwang neigt. Die CDU-Vorsitzende ist eher so etwas wie eine gewaltige Emotionsreduktionsmaschine. Das konnte man auch am Montag wieder erleben. In der Bundesrepublik ist zum ersten Mal eine Regierungsbildung gescheitert; noch weiß keiner, wie die Kanzlerin aus der Malaise wieder herauskommt. Andere würden große Reden schwingen. Aber was macht Merkel? Bei ihrem ersten Auftritt nach dem Scheitern der Sondierung nachts um eins sagt sie zu dem ganzen Kladderadatsch nur: "Schauen wir mal, wie sich die Dinge entwickeln." Und auch zehn Stunden später, in der Telefonkonferenz des CDU-Vorstandes, klingt Merkel kaum aufgeregter. Als emotionalster Satz wird überliefert: "Ich fürchte, dass heute viele Menschen enttäuscht sind."

Dabei ist "enttäuscht" nun wirklich kein passender Ausdruck dafür, was die Christdemokraten an diesem Tag umtreibt. Die meisten sind überrascht und entsetzt. Kaum einer in der Führung hatte erwartet, dass die FDP die Sondierung derart brüsk abbricht. Alle in der CDU-Spitze sind alarmiert. Was bedeutet die neue Lage für die eigenen Ambitionen? Vor allem aber: Wie geht es nun mit der Kanzlerin weiter?

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Für elf Uhr lädt Merkel ihren Bundesvorstand zu einer Telefonkonferenz, um über die neue Lage zu reden. In der Runde melden sich vor allem Mitglieder des Sondierungsteams wie Armin Laschet, Volker Kauder, Volker Bouffier, Ursula von der Leyen, Julia Klöckner oder Jens Spahn zu Wort. Kein einziger kritisiert Merkel. Auch die Verhandlungsführung der Parteivorsitzenden wird nicht moniert. Es läuft also gut für die Kanzlerin.

Eine Minderheitsregierung will Merkel nicht. Dann schon lieber Neuwahlen

Merkel selbst hat vor allem zwei Botschaften. Zum einen bittet sie darum, jetzt keine Schuldzuweisungen an andere Parteien zu richten - also auch nicht an die FDP. Das bringe niemandem etwas. Zum anderen liest Merkel eine Liste von Punkten vor, auf die man sich in der Sondierung bereits verständigt gehabt habe: einen deutlichen Abbau des Solidaritätszuschlags, bessere Leistungen für Familien, eine Beschränkung der Lohnnebenkosten auf höchstens 40 Prozent, eine kleine Einkommensteuerreform für Bezieher geringer und mittlerer Einkommen, eine Richtzahl von 200 000 Flüchtlingen jährlich, eine Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten auf die Maghreb-Länder, die Einrichtung von Entscheidungszentren für Asylbewerber sowie einen Ausbau der Mütterrente für Frauen mit drei und mehr Kindern. Auch beim umstrittenen Familiennachzug wäre eine Einigung möglich gewesen, sagt Merkel. Diese Liste zeige, wie gut das Ergebnis der Sondierung gewesen wäre, wenn sie nicht durch die FDP abgebrochen worden wäre. Und das solle die CDU jetzt auch stolz im Land kundtun.

Zeichen dafür, dass Merkel einen Rückzug aus dem Kanzleramt erwägen könnte, etwa, um der SPD einen Gang in eine große Koalition zu erleichtern, vermag keines der Vorstandsmitglieder, mit denen man spricht, zu erkennen. Es ist eher andersherum: Die neue Herausforderung scheint auch Merkel noch einmal herauszufordern. Als die CDU-Vorsitzende sich kurz vor zwölf aus der Telefonkonferenz ausklinkt, weil sie zum Bundespräsidenten muss, ist auch der letzte Zweifler davon überzeugt: Die Frau will einfach weitermachen wie bisher. Am Abend spricht Merkel das dann auch selbst aus. Sollte keine Regierung mit einer parlamentarischen Mehrheit zustandekommen, ziehe sie Neuwahlen einer Minderheitsregierung vor, sagt die Kanzlerin in der ARD.

Falls es zu Neuwahlen komme, sei sie bereit, ihre Partei noch einmal in den Wahlkampf zu führen. In der Telefonkonferenz des CDU-Vorstandes am Mittag hatte Unionsfraktionschef Kauder noch davor gewarnt, vorschnell von Neuwahlen zu sprechen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Laschet skizzierte die komplizierte Verfassungslage. Das Grundgesetz kenne gar kein Selbstauflösungsrecht des Parlaments. Laschet appellierte deshalb an die "staatspolitische Pflicht" der SPD, ihr Nein zu einer großen Koalition noch einmal zu überdenken. Doch die Sozialdemokraten sehen diese Pflicht nicht. SPD-Chef Martin Schulz schließt am Nachmittag eine große Koalition apodiktisch aus und fordert Neuwahlen. Damit enttäuscht er auch die wenigen in der CDU-Führung, die sich bereits jemand anderes als Merkel im Kanzleramt vorstellen können. Wenn die SPD einen Rücktritt Merkels als Voraussetzung für einen Eintritt in eine Koalition gemacht hätte, dann hätte sie auch die Nachfolgedebatte in der CDU in Schwung gebracht. Aber daraus wird nun nichts. Auch deshalb kann Merkel am Abend gefahrlos erklären, falls notwendig, selbst wieder anzutreten.

Aber auch so sind die politischen Verschiebungen in der CDU gewaltig. Merkel hat zwar immer erklärt, der einzige natürliche Koalitionspartner sei die CSU (woran man in den vergangenen beiden Jahren allerdings zweifeln durfte). Aber tatsächlich ist die FDP - neben der CSU - wohl der klassische Partner der CDU. Der Auszug der Liberalen aus der Sondierung hat das Verhältnis zwischen den beiden Parteien jedoch deutlich verschlechtert. Und zwischen Grünen und Union ist in den langen Verhandlungen eine Nähe entstanden, die vorher kaum vorstellbar war.

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Vor allem für die Konservativen in der CDU ist das eine unangenehme Entwicklung. "Besonders bitter finde ich, dass damit auch eine schwarz-gelbe Zusammenarbeit diskreditiert ist", twittert etwa Ex-Familienministern Kristina Schröder (CDU). Und Spahn sieht sich in der Vorstandsschalte bemüßigt, die Kollegen zu bitten, jetzt nicht leichtfertig die FDP anzugreifen.

Julia Klöckner tut das dann aber doch. Sie ärgert sich vor allem über ein Interview von Volker Wissing, dem rheinland-pfälzischen FDP-Wirtschaftsminister. Der hatte den Verhandlungsstil Merkels bei der Sondierung als chaotisch kritisiert und zu große Zugeständnisse an die Grünen, etwa in der Flüchtlingspolitik, moniert. Klöckner weist süffisant darauf hin, dass Wissing im Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen in Rheinland-Pfalz eher grüne Positionen in der Flüchtlingspolitik unterschrieben habe. Außerdem habe er noch am Samstag in einem anderem Interview die "sehr sachliche und konstruktive" Verhandlungsführung Merkels gelobt - das zeige schon, wie absurd die Klage des Liberalen sei.

Das Verhältnis der CDU zur CSU hat sich durch die Sondierung dagegen deutlich entspannt. Das zeigt sich auch am Montagabend. Kaum hat Merkel ihre Bereitschaft zu einer weiteren Kanzlerkandidatur erklärt, versichert ihr Horst Seehofer seine Unterstützung.

© SZ vom 21.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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