Chodorkowskijs Zukunft:Einsichten eines Oligarchen

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Nach zehn Jahren Haft stellt sich der Kreml-Kritiker erstmals der internationalen Presse. (Foto: dpa)

Russland hat sich während Michail Chodorkowskijs zehnjähriger Haft verändert - und Chodorkowskij sich selbst auch. Er verzichtet auf den Konflikt mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Doch die Hoffnung auf politische Änderung hat er nicht aufgegeben.

Ein Kommentar von Julian Hans

Michail Chodorkowskij verzichtet auf alles, was einmal seine Macht definiert hat: Er wird nicht weiter um seine Anteile am Yukos-Konzern kämpfen, die nach seiner Inhaftierung dem Staatskonzern Rosneft zugeschlagen wurden. Und er wird sich aus der Politik seines Landes heraushalten. So hat er es auch in dem Brief geschrieben, den er zusammen mit seinem Gnadengesuch an Wladimir Putin geschickt hat. Das sei keine Bedingung für seine Freilassung gewesen, erklärte er, aber es habe dem Präsidenten wohl die Entscheidung leichter gemacht. Ob der Mann, der bis vor drei Tagen der berühmteste Gefangene seines Landes war, bald in seine Heimat zurückkehrt, oder ob das Berliner Hotel Adlon nur die erste Station eines langen Exils war, spielt vielleicht gar keine große Rolle.

Russland ist heute ein anderes Land als vor zehn Jahren. Nichts konnte das so deutlich machen, wie das Auftauchen dieses Mannes aus der Vergangenheit. Bis zum Beginn der Nuller-Jahre war die Macht in Moskau nicht eindeutig aufgeteilt. Oligarchen konkurrierten um Einfluss auf Politik und Medien. Es gibt sie zwar immer noch, aber wer heute in Ruhe Geschäfte machen will, überlässt die Politik dem Kreml. Boris Beresowskij, der sich ihm bis zuletzt aus dem britischen Exil heraus widersetzt hatte, starb dort überraschend im März durch Erhängen.

Zehn Jahre Gefrierkonservierung

Fast scheint es, als habe man Chodorkowskij nach zehn Jahren der Gefrierkonservierung im russischen Lager wieder aufgetaut. Die Erwartungen, die sich nun an ihn richten, haben eher etwas mit seinem Status als berühmtester politischer Gefangener seines Landes zu tun als mit seinem Wirken vor der Verhaftung. Das einzige, was ihn mit denen verbindet, die man der Einfachheit halber heute unter dem Begriff "die russische Opposition" zusammenfasst, ist die gemeinsame Erfahrung der Willkür und die Gegnerschaft zum Kreml. Das Milieu und die Methoden könnten dagegen kaum unterschiedlicher sein.

Chodorkowskijs Einfluss beruhte von Beginn an auf einer Mischung aus Nähe zur Macht und wirtschaftlicher Stärke. Beides hat er verloren. Die neue Generation von Kreml-Kritikern kommt dagegen aus der dünnen bürgerlichen Mittelschicht, ihre Stärke gewinnt sie aus der Vernetzung. Viele ihrer Anhänger konnten schon als junge Menschen Erfahrungen im Ausland machen, funktionierende Demokratien erleben und Mitbestimmung praktizieren. Solche Erfahrungen fehlten den im Sowjetsystem großgewordenen Oligarchen.

Putin kann jetzt gute Nachrichten brauchen

Dass Putin Chodorkowskij nun freigelassen hat, mag ein Erfolg der deutschen Diplomatie sein. Diese hätte aber nichts bewegt, wenn nicht Putin selbst für sich entschieden hätte, dass jetzt ein guter Moment ist und er einen Nutzen daraus ziehen kann. Zwei Monate vor den Olympischen Spielen kann man ein paar gute Nachrichten brauchen. Dazu kommt aber, dass sich Putin nach diesem Jahr der Triumphe von Snowden über Syrien bis zur Ukraine stark genug fühlt, um es sich leisten zu können, eine Altlast loszuwerden, die ihm immer wieder vorgehalten wurde.

Chodorkowskijs Verzicht auf Yukos und die Politik zeigt zweierlei: Er weiß, dass er die direkte Konfrontation mit Putin nicht gewinnen kann. Ein neuer Angriff würde nicht nur ihn gefährden, sondern auch zahlreiche Mitarbeiter im Management, denen dann Prozesse wegen Bandenkriminalität drohten. Auch um sie zu schützen, hat Chodorkowskij das Gnadengesuch unterschrieben. Und er versteht auch, dass er als Mann mit jüdischem Hintergrund und Nutznießer der "räuberischen Privatisierung" bei russischen Wählern auf wenig Zuspruch hoffen kann. Stattdessen denkt er langfristig und setzt auf eine Reifung der Gesellschaft. Dass es die gibt, haben die vergangenen zehn Jahre ebenfalls gezeigt.

© SZ vom 23.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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