Chodorkowskijs neues Leben:"Der Kampf um die Macht, das ist nicht meine Sache"

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Nach zehn Jahren Haft stellt sich Michail Chodorkowskij erstmals der internationalen Presse. (Foto: dpa)

Gealtert, aber nicht gebrochen: Michail Chodorkowskij wirkt beim ersten öffentlichen Auftritt nach seiner Freilassung gelöst und konzentiert. Er betont, keinen Kampf um die politische Macht anszustreben. Stattdessen wolle er sich für politische Gefangene engagieren. Facebook und Twitter sind für ihn dabei noch Rätsel.

Von Sascha Gorhau

September 2011. Der russische Häftling Michail Chodorkowskij sitzt in seiner Zelle und schildert in einem Brief seine Situation: "Ich sitze im Zimmer, in dem unser Kühlschrank und eine Mikrowelle stehen, direkt unter einer Videokamera, die speziell zu meiner Ankunft installiert wurde. Ich schreibe diesen Brief und diejenigen, die mich beobachten, können gleich mitlesen. Es ist hell und wenn eine Lampe durchbrennt, wird sie sofort gewechselt. Das ist eine Win-win-Situation für mich und für die Lagerleitung."

Dezember 2013. Chodorkowskij sitzt in Berlin, im Mauermuseum am Checkpoint Charlie, einem historischen Ort. Er gibt eine Pressekonferenz als freier Mann. Nun ist er mit Journalisten aus aller Welt konfrontiert. Das Gedränge ist groß. 50 bis 70 Journalisten schaffen es gar nicht erst hinein. Die Reporter murren. Alexandra Hildebrandt, die Leiterin des Mauermuseums und damit die Gastgeberin versucht, die Journalisten zu beruhigen. "Alles ist gut, bitte alle hinsetzen", sagt sie.

Euphorisiert durch die Ereignisse

Statt einer Gefängnis-Videokamera sind nun Dutzende Objektive auf Chodorkowskij gerichtet. Eine Treppe führt vom oberen Stock zum Raum der Pressekonferenz. Chodorkowskij läuft sie hinunter, begleitet von Blitzlichtgewitter. Er lächelt, wirkt gelöst und glücklich. In den vergangenen 36 Stunden seit seiner Freilassung habe er einen erschöpften, aber zugleich aufgekratzten Eindruck gemacht, schildern Menschen aus Chodorkowskijs Umfeld den Zustand des Russen. Er sei euphorisiert durch die Ereignisse gewesen.

Nun befinden sich so viele Kameras vor ihm, dass man den ehemaligen Geschäftsmann kaum erkennen kann. Die Fotos zeigen einen Mann, der seit seiner Festnahme vor zehn Jahren deutlich gealtert ist. Zehn Jahre, die Spiegel Online als "lange Reise durch das russische Gefängnis- und Straflagersystem" bezeichnet.

Zurückhaltung bei der Frage nach Vladimir Putin

Während der Haft hatte Chodorkowskij seine innere Freiheit, seine innere Unabhängigkeit stets betont. Bei seinem Presseauftritt wirkt er diplomatisch und zurückhaltend. Groll gegenüber Russlands Präsident Wladimir Putin? Verspüre er nicht, versichert er. "Ein Pragmatiker braucht keinen Hass und keine Rache", sagt er. Vielmehr betont er, dass Putin rechtmäßig gewählter Präsident sei, sein Handeln damit legitim. Die größte Kritik am aktuellen Kreml-Präsidenten äußert Gastgeberin Hidebrandt. Sie bezeichnet Chodorkowskijs Haft als rechstsstaatlich fragwürdig.

Zu den Haftbedingungen will sich Chodorkowskij nicht ausführlich äußern. "Denn viele Freunde und Vertraute befinden sich nach wie vor im Gefängnis. Ich möchte ein Symbol der Zivilgesellschaft sein. Ich will zeigen, dass sie einen Einfluss auf die Freilassung von politischen Gefangenen nehmen kann."

Auch ansonsten zeichnet der Ex-Häftling für seine nahe Zukunft Ziele, die ihn eher als zurückhaltenden Privatier denn als Revolutionär zeigen. Zu den olympischen Spielen sollen die Leute ruhig fahren, das sei ein reines Sportfest und habe nichts mit Politik zu tun, sagt er. Politische Ambitionen habe er keine. "Der Kampf um die Macht, das ist nicht meine Sache", sagt Chodorkowskij.

Der Kampf ums Geld auch nicht. "Ich habe keine Ambitionen, in die Wirtschaft zurückzugehen. Ich habe in diesem Bereich praktisch alles erreicht. Meine finanzielle Situation erfordert es nicht, dass ich arbeiten gehe." Womit er sich genau beschäftigen werde, darüber könne er noch keine Auskunft geben. Aber schon einen kleinen Hinweis, wo sein Lebensmittelpunkt liegen könnte. Auf Nachfrage äußerte er sich wohlwollend über den positiven Einfluss, den ein ranghoher Schweizer Politiker in Hinblick auf seine Freilassung genommen habe. Generell schätze er das kleine Land sehr, fügte Chodorkowskij mit einem Lächeln hinzu.

Noch immer bis zu 200 Millionen US-Dollar Privatvermögen

Dort hätte er auch genügend Zeit, sich um seine Familie zu kümmern. Denn die, so betont Chodorkowskij mehrmals, sei für ihn aktuell das Wichtigste. Dank eines geschätzten Vermögens von noch immer 100 bis 200 Millionen US-Dollar könnte sich der Ex-Häftling auch ein Leben in der Schweiz mitsamt seiner Familie problemlos leisten und von dort aus seine Schulden zurückzahlen, seine ideellen Schulden. "Ich möchte meine Zeit in Freiheit denjenigen widmen, die wegen mir nach wie vor im Gefängnis sitzen", sagt er.

Doch erst einmal wünscht er sich ein wenig Ruhe in seinem Leben: Zeit für die Familie; Zeit, um sich über die Zukunft Gedanken zu machen; Zeit, die er ohne die nervöse Masse der Journalisten im Berliner Mauermuseum verbringen kann. Dennoch dankt er der Presse: "Die Meinung der Medien kann den politischen Häftlingen helfen und ihre Lage verbessern. Ich war allerdings erstaunt über die Ausmaße, die meine Geschichte in den Medien hervorgerufen hat." Vor allem Facebook und Twitter hätten ihn überrascht. Die sozialen Netzwerke seien ihm unbekannt. "Als ich inhaftiert wurde, gab es so etwas noch gar nicht", sagt Chodorkowskij mit einem Lächeln.

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