Chodorkowskijs Freilassung:Häftling von Putins Gnaden

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Chodorkowskij in Berlin: Er wirkt gelassen und keineswegs gebrochen.

(Foto: AFP)

Sein Schicksal lag in Putins Hand: Michail Chodorkowskij macht klar, dass er sich stets als persönlicher Gefangener des Kreml-Chefs sah. Bei der Pressekonferenz in Berlin wirkt er gelassen - angesichts der Inszenierung des Gnadenaktes durch den russischen Präsidenten ist das bemerkenswert.

Von Daniel Brössler

Der dritte Tag seiner wiedergewonnen Freiheit hat gerade begonnen, als Michail Chodorkowskij sich selber findet. Er ist ins Berliner Mauermuseum gekommen, weil er hier zunächst einige Russland-Berichterstatter treffen und danach eine große Pressekonferenz geben will. Zunächst aber wird er herumgeführt. In der Ausstellung geht es um den Kalten Krieg, die Mauer, aber auch um Menschenrechtsverletzungen heute.

Ein Raum ist ihm selbst gewidmet, dem Mann, der bis in die frühen Morgenstunden des Freitags zehn Jahre in russischen Gefängnissen verbracht hat. Bilder aus dem Prozess, in dem er 2005 erstmals verurteilt worden war, sind zu sehen, auch ein Gemälde, das ihn im Käfig des Gerichtssaales zeigt. Chodorkowskij steht lange davor und lächelt.

Begonnen hatte Chodorkowskijs Reise in die Freiheit am Freitag um 2.30 Uhr morgens in seiner Zelle in Segescha in Karelien knapp 700 Kilometer nördlich von St. Petersburg. Der Gefängnisdirektor persönlich kam, um ihn zu wecken. "Michail Borissowitsch, ziehen Sie sich bitte an", sagte er. In diesem Augenblick wusste der Häftling, dass die Leidenszeit zu Ende ging.

Am 12. November hatte er ein Gnadengesuch an Präsident Wladimir Putin geschrieben, nachdem ihm der frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher hatte ausrichten lassen, Putin verlange in so einem Gesuch kein Schuldeingeständnis mehr. Mit einem Flugzeug wurde er nach St. Petersburg gebracht, dort holte ihn eine von Genscher organisierte Privatmaschine ab. Sie sollte ihn, das erfuhr Chodorkowskij erst jetzt, nach Berlin bringen.

Er wirkt zurückhaltend, aber nicht unsicher

Der Plan war eigentlich gewesen, dass Chodorkowskij in Berlin seine krebskranke Mutter trifft. Das war die humanitäre Geste, die zu Putins Inszenierung des Gnadenaktes gehörte. Der Zufall aber wollte es, dass die Berliner Ärzte die Mutter über die Weihnachtszeit nach Hause nach Moskau geschickt hatten. Chodorkowskij wusste das, aber er wusste auch, dass die ganze Aktion nicht mehr zu stoppen war. Seine Ausreise war Teil des Deals. Aber erst als seine betagten Eltern am Sonntagmorgen in Berlin eintrafen, war er beruhigt.

Für ihn ist der Weg zurück nach Russland, das weiß er, erst einmal versperrt. "Ich hatte keine Wahl", sagt er. Offiziell steht der Heimkehr zwar nichts im Wege - doch wegen potenziell immer noch immenser Geldforderungen des Staates könnte ihm eine erneute Ausreise verwehrt werden. Dieses Risiko will er nicht eingehen.

Zurückhaltend wirkt der einst reichste Mann Russlands während seiner Auftritte am Sonntag, aber nicht unsicher, und keineswegs gebrochen. Nur der geschorene Kopf erinnert ans Lager. Die Kluft, dunkler Pulli und Jeans, in der er noch am Samstag erste Besucher im Hotel Adlon empfangen hatte, hat er gegen Anzug, Krawatte und Hemd getauscht. Chodorkowskij lächelt viel und lacht auch, wenn ihm die Frage danach erscheint.

Die Abwesenheit des Rechts erinnent ihn an den Gulag

Wie er sich verändert habe, soll er zum Beispiel sagen. "Nun", antwortet er, "zunächst bin ich zehn Jahre älter geworden". Seine Gesundheit jedenfalls sei nicht ruiniert. "In diesem Sinne ist das russische Gefängnissystem nicht der Gulag", erläutert Chodorkowskij. "In diesem Sinne", wiederholt er. Häftlinge würden unter Druck gesetzt und erniedrigt, aber Hunger und Kälte müssten sie - von Exzessen abgesehen - nicht erdulden.

Der andere Sinn, der für Chodorkowskij eben doch an den Gulag gemahnt, ist die Abwesenheit des Rechts. Er hat sich, das macht der einstige Chef des längst zerschlagenen Ölkonzerns Yukos klar, zu jedem Zeitpunkt seiner Haft als persönlicher Gefangener Putins gesehen. Er erinnert an jenen Moment im Februar 2003, der den Wendepunkt markierte. Im Kreml waren die wichtigsten russischen Unternehmer versammelt, als er die Korruption beklagte, woraufhin Putin ihn scharf zurechtwies und der Steuerhinterziehung bezichtigte.

Damals begann die Jagd auf Chodorkowskij, der durch Unterstützung der Opposition Putin auch politisch in die Quere gekommen war. In zwei Prozessen wurde er wegen Steuerhinterziehung, Betrugs, Diebstahls und anderer Delikte zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Urteile waren offenkundig aus politischen Gründen fabriziert, so konstatierten nicht nur westliche Prozessbeobachter. Im August 2014 hätte Chodorkowskij entlassen werden sollen. Das Damoklesschwert eines dritten Verfahrens aber schwebte schon über ihm.

Wirtschaftlich unabhängig ist er immer noch

Ein Gnadengesuch, stellt Chodorkowskij nun klar, sei für ihn anders als vielfach behauptet, kein Problem gewesen. "Es lag auf der Hand, dass mein Schicksal in jedem Fall in den Händen von Präsident Putin liegt", erläutert er, "denn, ob nun mit oder ohne Gnadengesuch würde niemand anderer entscheiden." Ein Schuldeingeständnis aber, argumentiert er, hätte frühere Mitarbeiter in Gefahr gebracht. Zum Beispiel solche, die sich ins Ausland geflüchtet haben und deren Auslieferung Russland dann mit größerer Aussicht hätte betreiben können.

Unterschrieben hat Chodorkowskij, dass er sich nicht politisch betätigen und sich auch nicht um die Rückgabe von Yukos-Vermögen bemühen wird. Er werde, heiße das, sich nicht am Kampf um die Macht beteiligen, erläutert er . Und als Unternehmer sehe er seine Zukunft sowieso nicht mehr. Gesellschaftlich wolle er sich engagieren, etwa für politische Gefangene.

Die Familie sei jetzt das Wichtigste, er warte jetzt auf seine Frau Inna, die aus Moskau anreise. Zumindest in vier der zehn Jahre seiner Haftzeit habe er seine Familie pro Quartal drei Tage sehen können. "Bei uns sind keine Barrieren entstanden. In dieser Hinsicht bin ich ein glücklicher Mensch", bekennt Chodorkowskij. Das Problem der meisten Gefangenen, nach der Haftzeit kein Zuhause zu haben, teile er nicht.

Wobei er im Ungewissen lässt, wo dieses Zuhause sein wird. Nur so viel: "Mein Visum für Deutschland gilt ein Jahr." Wirtschaftlich unabhängig, stellt er klar, ist er immer noch. Er könne sich nun für die Dinge einsetzen, die er für richtig halte. Und: "Ich denke, ich habe mir das Recht erkämpft, nicht sagen zu müssen, was ich nicht denke." Als die Leiterin des Mauermuseums, Alexandra Hildebrandt, zum Beginn einer recht chaotisch verlaufenden Pressekonferenz Präsident Putin für den Gnadenakt dankt, lächelt Chodorkowskij. Gelassen.

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