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Prozess gegen Kremlkritiker:Moskauer Gericht urteilt: Chodorkowskij ist schuldig

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Der angeklagte Ex-Milliardär Michail Chodorkowskij gilt als Hoffnungsträger für ein gerechteres Russland. Daran ändert auch der zweite Schuldspruch nichts - im Gegenteil: Die Heilserwartung dürfte durch ein hartes Urteil eher noch gesteigert werden. Das genaue Strafmaß wird wohl erst in einigen Tagen verkündet.

Sonja Zekri, Moskau

Kurz vor der Urteilsverkündung an diesem Montag nahm die Auseinandersetzung zwischen Russlands berühmtestem Häftling und Russlands mächtigstem Mann fast den Charakter eines Showdowns an.

Er gehe davon aus, dass das Gericht die Verbrechen des "Herrn Chodorkowskij" bewiesen habe, hatte Premierminister Wladimir Putin unlängst in einem Fernsehauftritt beschieden - und damit das Urteil über Yukos-Gründer Michail Chodorkowskij schon gesprochen, bevor der Richter mit der Verlesung des Verdiktes überhaupt nur begonnen hat.

Chodorkowskij wiederum antwortete daraufhin dem Premier, als gebe es tatsächlich einen Dialog zwischen Häftling und Macht. Er bedauere Putin, schrieb er in der Zeitung Nesawisimaja Gaseta: "Ich fühle Mitleid mit diesem nicht mehr jungen Mann, der tapfer und einsam vor einem endlosen, gnadenlosen Land steht."

Chodorkowskij war in diesem zweiten Prozess angeklagt, mehr als 200 Millionen Tonnen Öl veruntreut zu haben. Klar ist seit diesem Montag nun, dass das Gericht den Ex-Milliardär für schuldig hält. Offen ist nach wie vor die entscheidende Frage, wie hoch das Strafmaß ausfallen wird.

Die Verteidigung hielt sämtliche Vorwürfe von Anfang an für absurd - und viele Russen sehen den Prozess als eine exemplarische Abrechnung Putins mit einem Gegenspieler an. Und nun wünscht Chodorkowskij Wladimir Putin "Güte und Toleranz", damit dieser "geliebt und nicht nur gefürchtet" werde.

Dass Putin sich diese etwas herablassenden Worte zu Herzen nimmt, ist ausgeschlossen. Die liberale russische Öffentlichkeit dürfte sie hingegen beifällig zur Kenntnis genommen haben. Trotz obskurer unternehmerischer Anfänge besitzt Russlands einst reichster Mann inzwischen Märtyrerstatus. Chodorkowskij, der sich vor Gericht als Schmerzensmann der Demokratie gibt, gilt als Hoffnungsträger für ein gerechteres Russland. Diese Heilserwartung dürfte durch ein hartes Urteil eher noch gesteigert werden.

Minimierte Berichterstattung

Dass die Urteilsverkündung von Mitte Dezember auf die Woche vor den zeitungsfreien russischen Neujahrsfeiertagen verschoben wurde und so die Berichterstattung minimiert wurde, gilt dabei schon mal als schlechtes Zeichen. Dabei wertet auch das westliche Ausland die Entscheidung als "Prüfung" für die Rechtsstaatlichkeit Russlands, wie es der deutsche Botschafter in Moskau, Ulrich Brandenburg, in einer russischen Nachrichtenagentur formulierte.

So sind die Medien in den letzten Tagen des Jahres mit Spekulationen gefüllt: Wird Richter Wiktor Danilkin, wenn er nach tagelanger Urteilsverlesung das Strafmaß verkündet, die von der Staatsanwaltschaft geforderten 14Jahre verhängen? Wird er die bisherige Haftzeit von acht Jahren aus dem ersten Prozess anrechnen? Wird Chodorkowskij gegen den russischen Waffenhändler Wiktor Bout ausgetauscht, der als Träger peinlicher russischer Geheimnisse gilt und in einem US-Gefängnis auf seinen Prozess wartet? Wird Danilkin - hier wird es nun endgültig phantastisch - in einer sensationellen Wendung einen Freispruch verkünden und danach ins Ausland fliehen? Dazu ist es nun jedenfalls nicht gekommen.

Sogar neue Gerüchte über ein Zerwürfnis zwischen Putin und Präsident Dmitrij Medwedjew entzünden sich an diesem Urteil. Medwedjew hatte in einem Interview gesagt, weder ein Präsident noch ein Beamter habe das Recht, "vor der Urteilsverkündung seine Meinung" zu einen Verfahren zu äußern. Es war eine kleine Spitze gegen Putin, aber kein Bekenntnis zu Chodorkowskij. Wie so oft dürfte es Medwedjew eher um den optischen Eindruck einer unabhängigen Justiz gegangen sein. Als Präsident hätte er Chodorkowskij schließlich längst begnadigen können.

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Quelle:
SZ vom 27.12.2010/sueddeutsche.de
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