Chodorkowskij nach der Freilassung:"Ich habe keine Pläne, in die Wirtschaft zurückzukehren"

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Michail Chodorkowski (r) mit seinem Vater Boris Chodorkowski (M) und seinem Sohn Pawel steht im Mauermuseum am Checkpoint Charlie (Foto: dpa)

Michail Chodorkowskij will nach seiner überraschenden Freilassung vorerst nicht nach Russland zurückkehren und keinerlei politisches Amt anstreben. Auch eine Rückkehr in die Wirtschaft schließt er aus, wie er vor Journalisten in Berlin sagte. Dem deutschen Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher dankte er für dessen Hilfe, die zu Chodorkowskijs Freilassung geführt habe.

Er war Russlands berühmtester Gefangener: Kremlgegner Michail Chodorkowskij. Jetzt ist er nach zehn Jahren Haft aus dem Straflager entlassen worden. Dort saß er unter anderem wegen Steuerhinterziehung ein. Kritiker sprechen jedoch von politisch motivierten Prozessen, weil der ehemalige Öl-Unternehmer Putin herausgefordert hatte. Dass er nun frei ist, gilt als beispielloses Zugeständnis des Kremls an den Westen vor den Olympischen Winterspielen, die am 7. Februar in Sotschi am Schwarzen Meer eröffnet werden.

Die aktuellen Entwicklungen:

  • Die Pressekonferenz in Berlin: Im völlig überfüllten Berliner Mauermuseum dankt Michail Chodorkowskij zunächst dem ehemaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für ihre Hilfe bei seiner Freilassung. Ohne den Einsatz Merkels und die "Anstrengungen" Genschers wäre er nicht in Freiheit, sagte Chodorkowskij. Durch die Bemühungen Genschers sei "ein Punkt erreicht" worden, durch den "die Yukos-Sache" an ein Ende kommen könne. Eine Rückkehr in die Rolle des Unternehmers schließt er aus: "Ich habe keine Pläne, in die Wirtschaft zurückzukehren", sagte Chodorkowskij. "Ich habe wirtschaftlich alles erreicht, was ich erreichen kann." Er müsse nicht mehr arbeiten um Geld zu verdienen. Stattdessen wolle er seine Zeit nutzen, um anderen Häftlingen in Russland zu helfen und um "unserer Gesellschaft etwas zurückzugeben."
  • Kein Geld für die russische Opposition: Chodorkowskij will der russischen Opposition kein Geld geben. Nach seiner Freilassung aus russischer Lagerhaft kündigte der Ex-Milliardär an, dass er die Opposition gegen Präsident Wladimir Putin nicht finanzieren werde.
  • Kein Schuldeingeständnis: Der Kremlgegner will sich die Entscheidung über seinen künftigen Aufenthaltsort nach seiner Freilassung aus der langjährigen Lagerhaft offen halten. "Wo wir leben werden, das werde ich mit meiner Frau besprechen", sagte Chodorkowski am Sonntag vor Journalisten in Berlin. Der ehemalige Milliardär und seine Frau Inna haben drei gemeinsame Kinder. Aus erster Ehe hat Chodorkowski noch einen Sohn. Einen Rechtsstreit um seinen früheren Ölkontzern Yukos will er nicht anstrengen:"Ich werde nicht um meine Yukos-Anteile kämpfen", sagte Chodorkowski. Ebensowenig strebe er ein politisches Amt an. Trotz seines Gnadengesuches an Russlands Präsident Wladimir Putin sieht er sich weiterhin als unschuldig an. "Die Macht wollte immer von mir ein Schuldbekenntnis, doch das war unannehmbar für mich." Das Gesuch habe er ohne schriftliches Schuldeingeständnis unterzeichnet. Auf die Frage, ob er dem russischen Präsidenten dankbar sei, sagte er nur: "Ich freue mich über seine Entscheidung."
  • Keine Rückkehr nach Russland, kein politisches Amt: Der aus dem Straflager entlassene Kremlgegner Michail Chodorkowskij will vorerst nicht nach Russland zurückkehren. Das sagte er in einem am heutigen Sonntag in Moskau veröffentlichten Interview der kremlkritischen Zeitschrift The New Times. "Wenn ich zurückkehre, könnten sie mich ein zweites Mal schon nicht mehr rauslassen, weil es formell viele Gründe gibt, für die man mich festhalten kann", sagte der 50-Jährige. Er glaube, dass sich Kremlchef Wladimir Putin mit der Begnadigung auch deshalb leichtgetan habe, weil er direkt nach Deutschland ausgereist sei. In dem Gespräch schloss er zudem aus, sich in absehbarer Zeit wieder politisch engagieren zu wollen. "Ich habe nicht vor, mich mit Politik zu befassen und werde auch nicht um Rückgabe der Aktiva kämpfen", zitierte die Zeitschrift Chodorkowski. Womit er zugleich klarmachte, dass er nicht vorhat, um seine früheren Anteile an dem Ölkonzern Yukos zu kämpfen.
  • Lob für Hans-Dietrich Genscher: Michail Chodorkowski hat die Rolle des deutschen Ex-Außenministers Hans-Dietrich Genscher bei seiner Freilassung aus dem russischen Straflager gelobt. Für solche Verhandlungen sei jemand nötig gewesen, der sowohl für Kremlchef Wladimir Putin vertrauenswürdig gewesen sei als auch für ihn selbst, sagte Chodorkowskij der russischen Journalistin Xenia Sobtschak am heutigen Sonntag in Berlin. Genscher trug demnach entscheidend dazu bei, dass das Gnadengesuch an Putin kein schriftliches Schuldeingeständnis beinhaltete, auf das der Präsident stets Wert gelegt hatte. "Ich war mit Herrn Genscher bekannt und habe gesagt, dass ich bereit bin, ihm in dieser Frage zu vertrauen", sagte Chodorkowskij.
  • Chodorkowskijs Haltung zu den Olympischen Spielen in Sotschi: Die Spiele in Sotschi seien ein "Fest des Sports" fürMillionen von Menschen. "Das sollte man nicht verderben", sagte er. Zugleich äußerte er die Hoffnung, dass Kremlchef Wladimir Putin das Sportspektakel nicht zu einem "persönlichen Fest für sich" mache.
  • Der erste Tag in Berlin: Der Kremlkritiker hat seine Eltern Marina und Boris im Hotel Adlon zum ersten Mal in Freiheit wiedergetroffen. Beim Wiedersehen soll es viele Tränen gegeben haben. Die Eltern des freigelassenen Ex-Ölunternehmers waren an Bord einer Linienmaschine aus Moskau nach Berlin geflogen, wie ein Sprecher der Familie mitteilte. Mit seinem ältesten Sohn aus erster Ehe, dem 27-jährigen Pawel, der in New York lebt, hatte Chodorkowskij sich bereits zuvor getroffen. Pawel wandte sich kurz an die Medien und dankte im roten Daunenanorak freudestrahlend allen, die seinen Vater in den vergangenen Jahren unterstützt haben. Unklar war zunächst, ob es auch eine Begegnung Chodorkowskijs mit den drei anderen Kindern und seiner Frau Inna gab. Der Kremlkritiker war am Freitag auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld gelandet. Er residiert in der Adlon-Suite "Pariser Platz" (Standardpreis 2925 Euro pro Nacht) und verließ diese zunächst nicht. Auf Twitter kursiert ein Foto aus der Suite, das den einstmals reichsten Mann Russlands am Kamin zeigt. Der russische Radiosender Echo Moskaus veröffentlichte ein Video eines ersten Interviews mit Chodorkowskij (auf russisch).
  • Reaktion des Kremls: Die deutschen Behörden rechnen nicht damit, dass Chodorkowskij dauerhaft in Deutschland bleibt. Er könnte in ein Nachbarland weiterreisen, beispielsweise in die Schweiz. Nach Angaben des Kreml hat Chodorkowskij auch jederzeit das Recht, wieder nach Russland einzureisen. "Er ist frei, nach Russland zurückzukehren, absolut", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Peskow machte keine Angaben zu möglichen Bedingungen für die Freilassung.
  • Die Rolle der Mutter: Dass der frühere Öl-Milliardär, der sich jjahrelang weigerte, Präsident Putin um Gnade zu bitten, diesen Schritt jetzt doch getan hat, hängt mit dem schlechten Gesundheitszustand seiner an Krebs erkrankten Mutter Marina Chodorkowskaja zusammen. "Ich habe mich am 12. November an den Präsidenten gewandt mit der Bitte um Gnade angesichts familiärer Umstände und freue mich über die positive Entscheidung", schreibt Chodorkowskij. Putin hat die Freilassung seines Erzfeindes mit "humanitären Gründen" begründet. "Seine Mutter ist krank", so der Präsident. Auch die Entscheidung Chodorkowskijs, zunächst nach Berlin zu reisen, könnte mit seiner Mutter zusammenhängen. Der Kremlkritiker hatte darum gebeten, nach Deutschland reisen zu dürfen, weil seine an Krebs erkrankte Mutter dort behandelt werde. Nach Worten des ehemaligen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher war Chodorkowskij nicht bewusst, dass seine Mutter inzwischen nach Russland zurückgekehrt war.
  • Genschers Mission: Genscher soll wesentlich daran beteiligt gewesen sein, Chodorkowskij freizubekommen. Er habe dazu die Rückendeckung von Bundeskanzlerin Angela Merkel gehabt, so Regierungssprecher Steffen Seibert. Die geheimen Verhandlungen über die Freilassung des ehemaligen Chefs des Ölkonzerns Yukos hatten nach der Rückkehr von Putin ins Amt des russischen Präsidenten im Mai 2012 begonnen. Merkel soll sich bei ihm für eine Mission Genschers eingesetzt haben, der in der früheren Sowjetunion gut vernetzt ist. Der Ex-Außenminister sei mehrmals nach Moskau gereist, um die Freilassung Chodorkowskijs zu erreichen. Nach seiner Freilassung bedankte sich Chodorkowskij explizit bei dem ehemaligen deutschen Außenminister für "seinen persönlichen Einsatz". Der deutsche Russland-Experte Alexander Rahr, der für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik gearbeitet hat und Genscher bei der Geheimaktion zur Seite stand, beschrieb den Empfang Chodorkowskijs am Flughafen gegenüber der Welt als "sehr bewegend". "Letztlich ging es um nichts weniger als die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen", sagte Rahr demnach. Nach der Ankunft im Adlon hätten die Diplomaten mit Chodorkowskij einen Wodka getrunken. Selbst Rahrs eigene Frau habe zweieinhalb Jahre lang nichts von der streng geheimen Aktion gewusst, sagte der Genscher-Berater der Welt. Der Erfolg von Genschers Engagement zeige, "dass Deutschland in Moskau noch über Kanäle verfügt, die Briten oder Amerikaner nicht haben", wurde Rah in Spiegel Online zitiert.
  • Reaktionen auf Chodorkowskijs Freilassung: Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßte die Freilassung. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und das französische Außenministerium begrüßten die Freilassung als "gutes Zeichen". Oppositionsführer Gregor Gysi von der Linken sagte, die Begnadigung sei ein "wichtiger, überfälliger und dringend notwendiger Schritt". Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny attestierte Chodorkowskij, sich während seiner zehnjährigen Haft eine "erstaunliche Würde" bewahrt zu haben.
  • Bitte um Ruhe: Die Grünen-Politikerin Marieluise Beck bat darum, Chodorkowskij die Ruhe und Gemeinschaft mit seinen Eltern zu ermöglichen, die er sich von seinem Gnadengesuch erhofft hatte. "Man kann sich vorstellen, dass einer nach zehn Jahren im russischen Lager erst einmal einen Schock bekommt, wenn er von einem Tag auf den anderen in der Öffentlichkeit steht", sagte Beck der Süddeutschen Zeitung. Die Bundestagsabgeordnete hat sich seit Jahren für die Freilassung Chodorkowskijs eingesetzt und ist mit der Familie befreundet. Die Eltern haben sich immer wieder für längere Zeit in Deutschland aufgehalten. Das russische Gesetz erlaubte ihnen vier Gefangenenbesuche im Jahr. Als sich die Gesundheit von Chodorkowskijs Mutter Marina stark verschlechterte, übertrug sie das Besuchsrecht auf Beck.

"Liebe Freunde, ich habe mich am 12. November an den Präsidenten gewandt mit der Bitte um Gnade angesichts familiärer Umstände und freue mich über die positive Entscheidung. Die Frage eines Schuldeingeständnisses hat sich nicht gestellt. Ich möchte allen danken, die alle diese Jahre den Fall Yukos verfolgt haben, und für die Unterstützung, die sie mir, meiner Familie und allen gegeben haben, die zu Unrecht verurteilt worden sind und die immer noch verfolgt werden. Ich freue mich schon sehr auf den Moment, wenn ich meine Familie umarmen und allen meinen Freunden und Kollegen persönlich die Hand schütteln kann. Ich denke besonders an diejenigen, die weiter in Haft sitzen. Ich danke besonders Herrn Hans-Dietrich Genscher für seine persönliche Anteilnahme an meinem Schicksal. Zunächst einmal werde ich meine Schuld bei den Eltern, meiner Frau und meinen Kindern begleichen und freue mich sehr darauf, sie zu treffen. Ich warte auf die Gelegenheit, die bevorstehenden Feiertage mit der Familie zu feiern. Ich wünsche allen ein glückliches neues Jahr und frohe Weihnachten. Michail Chodorkowskij"

(Übersetzung: dpa)

"Hans-Dietrich Genscher hat heute den von Präsident Putin begnadigten Michail Chodorkowsky bei seiner Ankunft mit einem Privatflugzeug in Berlin empfangen. Genscher erklärte, er begrüße die Entscheidung des russischen Präsidenten, sie sei bedeutsam und ermutigend auch für andere Fälle. Zugleich dankte er dafür, dass Präsident Putin ihn auf seine Bitte zwei Mal empfangen habe, um über das Schicksal von Michail Chodorkowsky zu sprechen. Hans-Dietrich Genscher legt Wert auf die Feststellung dass er bei seinen Bemühungen von der Bundeskanzlerin, dem früheren Außenminister und dem deutschen Botschafter in Moskau größtmögliche Unterstützung erfahren habe. Er hat Michail Chodorkowsky in seiner Eigenschaft als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik kennengelernt und auch später noch bei verschiedenen Gelegenheiten getroffen. Die persönlichen Anwälte Chodorkowsky hatten ihn später gebeten, sie bei ihren Bemühungen um die Freilassung Chodorkowskys zu unterstützen. Er habe das aus humanitären Gründen getan." Bonn, 20. Dezember 2013

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