Chinesischer Politiker Bo Xilai:Tiefer Fall eines Schwergewichts

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Am Donnerstag wird Bo Xilai der Prozess gemacht, die Anklage lautet: Korruption

(Foto: REUTERS)

Die KP lässt an Bo Xilai ein Exempel statuieren, um dem Volk zu zeigen: Seht her, wir schonen niemanden, wir dulden keine Korruption. Doch die Anklage wirkt lächerlich im Vergleich zu dem, was sich andere Parteifunktionäre leisten - Tag für Tag und ungestraft.

Von Kai Strittmatter, Peking

Korruption? Bestechung? Machtmissbrauch? Chinas Propaganda hat mal wieder zugeschlagen, großflächig. In ganzen Land stehen seit ein paar Tagen staunende Bürger vor riesigen Plakaten und Bannern, die das von einer endlosen Reihe von Korruptions- und Lebensmittelskandalen gebeutelte Volk an die gesegnete Herrschaft seiner weisen Führer erinnern. Das schöne Leben in China wird besungen: "Unser Leben ist süßer als Honig." Und alles ist ganz einfach: "Die Kommunistische Partei ist gut. Das Volk ist glücklich."

Die KP Chinas ist eine der geheimniskrämerischsten Organisationen der Welt. Nur selten tut sich ein Fenster auf und erlaubt den Blick auf die Eingeweide der Macht. Auch deshalb waren die Chinesen so fasziniert von dem Spektakel um den einstigen Politstar der KP, Bo Xilai, und seine Familie. Bo, Sohn eines Revolutionsveteranen, hatte als Gouverneur von Chongqing viel Wind gemacht, die meisten sahen ihn auf dem Sprung ins Politbüro - bis ein alter Freund der Familie, der britische Geschäftsmann Neil Heywood, im November 2011 tot in einem Hotelzimmer gefunden wurde, vergiftet, wie ein Gericht im vorigen Jahr befand, ermordet von Gu Kailai, der Frau Bo Xilais.

Es stellte sich heraus, dass die Geschäfte Heywoods darin bestanden, dem Sohn und dem illegal erworbenen Vermögen des Gouverneursehepaars den Weg ins sichere westliche Ausland zu bahnen. Bo Xilais rechte Hand, der Polizeichef Wang Jun, floh aus Chongqing und fand Zuflucht im US-Konsulat in Chengdu, offenbar weil er um sein Leben fürchtete. Da begann der Fall eines der mächtigsten Politikers Chinas. Der schillerndste und populistischste war Bo Xilai mit Sicherheit.

Am kommenden Donnerstag um 8.30 Uhr wird Bo Xilai in der Stadt Jinan in Chinas Nordosten vor Gericht stehen. Weit weg von seiner einstigen Machtbasis. Manche sprechen vom spektakulärsten politischen Prozess in China seit dem Verfahren gegen die Viererbande 1980, als wenige Jahre nach dem Ende der Kulturrevolution unter anderem der Witwe von Mao Zedong der Prozess gemacht wurde. Die Anklage gegen Bo Xilai lautet auf Bestechlichkeit, Unterschlagung und Amtsmissbrauch. Angesichts der Vorgeschichte von Mord, Politik und Hofintrige, angesichts all dessen, was staatliche Propaganda-Organe Bo Xilai im vergangenen Jahr vorwarfen, erstaunt, was die Anklage auslässt.

Es fehlt der Sex

Es fehlt der Sex - anlässlich seines Rauswurfs aus der KP im September hatte die staatliche Nachrichtenagentur Bo noch eine Reihe "unangemessener sexueller Affären" vorgehalten. Es fehlt die Spionage gegen oberste Staatsführer - sein Polizeichef hatte sie offenbar abhören lassen bei ihren Besuchen in Chongqing. Es fehlt die Politik: Bo Xilai hatte mit einer "Zerschlagt das Schwarze"-Kampagne eine Terrorherrschaft gegen Chongqinger Unternehmer und Bürger errichtet, die ihm im Weg standen. Gleichzeitig hatte er seine Untertanen zum kollektiven Singen kulturrevolutionärer "roter Lieder" verdonnert und auch sonst geschickt mit der Mao-Nostalgie gespielt, die in manchen Kreisen in China wieder en vogue ist. Die explodierende Korruption und die wachsende soziale Ungleichheit in China sind ein fruchtbarer Nährboden für solche Stimmungen.

Ehemalige Galionsfigur der Neu-Linken in China

Der zunächst als Wirtschaftsreformer aufgefallene Bo erkannte das früh, sicherte sich diese Nische - und stieg schnell zur Galionsfigur der Neu-Linken in China auf. Letztlich wurde ihm sein Ehrgeiz im Verein mit dem mörderischen Fehler seiner Frau zum Verhängnis. Der Skandal um den Mord an Heywood überschattete ausgerechnet den heiklen Führungswechsel 2012; die neue Riege um Parteichef Xi Jinping nutzte den Fehltritt, um einen ihrer größten Rivalen kaltzustellen.

Es bleibt in der Anklageschrift: das Geld. Bo Xilai war korrupt, das ist die Botschaft, deshalb muss er ins Gefängnis. Man muss die Chuzpe der Parteiführer bewundern: Ihre Propaganda versucht wie im Orwellschen Bilderbuch, Schwarz als Weiß zu verkaufen - sie macht aus dem für die Partei peinlichsten Skandal der letzten Jahre flugs ein Musterbeispiel für die Fortschritte Chinas. Seht her, sagen die Parteimedien: Wir meinen es ernst mit unserem Kampf gegen die Korruption. Und mit dem Rechtsstaat sowieso. "Egal wer du bist, egal wie hoch oder tief du stehst", schrieb die Volkszeitung: "Wenn du das Gesetz brichst, dann wirst du bestraft."

Allerdings kauft ihnen kaum jemand mehr die Propaganda ab. Die Summe an Bestechungsgeldern, die man Bo vorhält - umgerechnet knapp drei Millionen Euro - klingt in den Ohren der längst zynisch gewordenen Bürger nach Peanuts. Da wurde eine Villa der Familie in Cannes entdeckt, gut, im Portfolio eines Neumaoisten ist das nicht ohne Ironie. "Aber viele Dorfbürgermeister haben hier mehr auf dem Konto", sagt ein Pekinger Lehrer. "Und erzähl' mir keiner, die Familien der anderen Führer machten es nicht genauso." Die New York Times wies Ende vergangenen Jahres der Familie des zurückgetretenen Premier Wen Jiabao Vermögen im Wert von mindestens 2,7 Milliarden Euro nach.

Bo Xilai hat die Partei blamiert

Keiner glaubt deshalb, dass die Korruption Bo Xilai das Genick gebrochen hat. Seine Verbrechen sind andere. Er hat die Partei blamiert. Er hat sich eine Blöße gegeben. Er hat den Machtkampf verloren. Und die Rechtsstaatlichkeit? Bo wird ein eigener Anwalt verweigert, den Großteil des vorigen Jahres verbrachte er in der Obhut von Partei-Inspekteuren. Niemand zweifelt daran, dass das Urteil längst feststeht. Nicht der Richter in Jinan, sondern die Mächte in Peking haben es gefällt. Es wird, wie stets in solchen Fällen, ein Schauprozess sein.

Offenbar hat es Verhandlungen gegeben mit Bo Xilai: Wie viel er zugibt, was man ihm im Gegenzug zugesteht - ein milderes Urteil, Schonung für seinen Sohn, der sich soeben an der Columbia Law School eingeschrieben hat. Offenbar hat er sich lange renitent gezeigt. Hat er sich nun gebeugt? Oder wird er den Prozess nutzen für ein letztes Kapitel der Bo-Xilai-Show?

Es wird ein kurzes Verfahren werden, zwei Tage vielleicht. Die Partei will es schnell hinter sich bringen. Es ist ein Risiko für die Führung, ein erneuter Anlass für viele Bürger, mit dem Finger auf sie zu zeigen und zu sagen: wieso er, wenn ihr doch alle das Gleiche tut? Zudem hat Bo Xilai noch viele Freunde. In der KP, im Militär, aber auch unter jenen einfachen Bürgern, die sich als Verlierer im neuen China empfinden, wo manche obszöne Reichtümer scheffeln.

Das Letzte, was Xi Jinping will, ist ein Prozess, der aus Bo einen Märtyrer macht. Das Urteil muss aus Sicht der Führung eine Balance finden: hart genug, um Bo politisch aus dem Weg zu räumen, aber nicht so hart, dass es wichtige Lager im Land gegen sie aufbringt. Ein Xinhua-Kommentar, veröffentlicht am selben Tag wie die Anklage gegen Bo, klang da verräterisch: Die Funktionäre im Land dürften vor dem Prozess "keine Angst haben und nicht zurückschrecken".

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