Chinas Premierminister Li Keqiang:Ein Regierungschef, der wenig zu regieren hat

Er ist kein Mann, der vorprescht oder etwas Kreatives wagt: In seiner Karriere hat Chinas neuer Regierungschef Li Keqiang es immer bestens verstanden, niemandem auf die Füße zu treten. Doch um Chinas erstarrte Wirtschaft zu reformieren, müsste er genau das tun.

Von Kai Strittmatter, Peking

China hat einen neuen Regierungschef, den Ökonomen Li Keqiang. Regieren muss er das Land aber nicht. Seine Aufgabe wird es vielmehr sein, dem eigentlichen neuen Führer Chinas, dem KP-Generalsekretär und Staatspräsidenten Xi Jinping, zu folgen, ihm das Alltagsgeschäft abzunehmen und sich dabei vor allem um die Wirtschaft zu kümmern. Wenn das Duo etwas eint, dann dies: Beide haben vor ihrem Aufstieg kaum von sich reden gemacht, beide haben Talent darin, niemandem auf die Füße zu treten.

Eigentlich hätte Li Keqiang die Anlagen zu einem für Chinas Verhältnisse außergewöhnlichen Führer: Als Doktor der Wirtschaftswissenschaften ist der freundlich und nüchtern wirkende 57-Jährige der bestausgebildete Premier, den die Volksrepublik je hatte.

Als einer der besten Studenten der ersten Klasse, die nach Ende der Kulturrevolution von 1978 an wieder an der Peking-Universität studieren durften, absolvierte er zuerst ein Jurastudium unter einem Professor, der für Gewaltenteilung und ein Mehrparteiensystem eintrat. Seinen Doktor machte er dann bei Li Yining, dem Markt- und Reformguru des sich eben erst öffnenden China. Auf dem Campus verbrachte er viel Zeit mit liberalen Mitstudenten, von denen einige später zu prominenten Dissidenten wurden. Der später ins Exil geflüchtete Wang Juntao zum Beispiel beschreibt Li nicht ohne Sympathie als "mutig und idealistisch".

Als Politiker von Skandalen verfolgt

Andererseits empfahl ihn die KP-Gruppe der Uni zur gleichen Zeit als jemanden, der "ernsthaft die Prinzipien und die Linie der Partei umsetzt". Für den ganzen Verlauf seiner steilen Karriere sollte er das bleiben: einer, der umsetzte, einer, der folgte; nie war Li Keqiang der Mann, der seine Intelligenz einsetzte, um Kreatives zu wagen oder vorzupreschen. Und wenn er auch die Provinzen, in denen er als Gouverneur oder Parteisekretär diente, wirtschaftlich voranbrachte, so schien er doch oft von schlechten Nachrichten und Skandalen verfolgt zu sein.

Als Gouverneur von Henan war er verantwortlich für die Vertuschung einer Aids-Epidemie: Hunderttausende Menschen wurden angesteckt, nachdem sich Blutspender bei illegalen Blutbanken infiziert hatten. Als Vizepremier war er seit 2008 unter anderem für die Portfolios Gesundheit und Lebensmittelsicherheit verantwortlich. Gelobt wurde er für sein Programm, das vielen Chinesen erstmals eine Krankenversicherung garantierte. Gleichzeitig aber verfolgten ihn von Beginn an große Lebensmittelskandale, und Li gelang es bis heute nicht, den Chinesen das Vertrauen in ihr Essen zurückzugeben.

Viele halten Li Keqiang deshalb für keinen guten Krisenmanager - genau das müsste er jetzt aber sein. Es ist bekannt, dass Li mehr Markt und mehr Liberalisierung im Finanzsektor möchte. Um aber Chinas in Staatsmonopolen und Nepotismus erstarrte Wirtschaft tatsächlich aufzubrechen, müsste er nun das tun, was er sein Leben lang vermieden hat: vielen auf die Füße treten.

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