China: Zwanzig Jahre nach dem Massaker:Pekings Rückwärts-Läufer

Mit dem Tiananmen-Massaker verriet die Kommunistische Partei das eigene Volk. Zwanzig Jahre danach gibt es viele heimliche Demokraten in China.

Henrik Bork, Peking

In diesem Jahr wird China wieder Soldaten auf den Platz des Himmlischen Friedens schicken. Keine Angst, sie werden nicht schießen. Die Partei plant nur eine Militärparade zum 60. Geburtstag der Nation im Oktober.

China: Zwanzig Jahre nach dem Massaker: Die Chinesen haben ihren Wunsch nach Demokratie nicht aufgegeben - aber kaum einer ruft laut danach.

Die Chinesen haben ihren Wunsch nach Demokratie nicht aufgegeben - aber kaum einer ruft laut danach.

(Foto: Foto: dpa)

Möglicherweise werden dann zum ersten Mal seit dem 4. Juni 1989 wieder Panzer durch die Straßen der Hauptstadt rollen. 20 Jahre sind seit dem Pekinger Massaker und den friedlichen Studentenprotesten davor vergangen. Beide Ereignisse prägen bis heute die chinesische Gegenwart, wenn auch auf völlig unterschiedliche Weise.

Mit dem Massaker hat die Kommunistische Partei viel von ihrer alten Legitimation verspielt. Seither versucht sie sich das Wohlwollen des Volkes mit dem aberwitzig schnellen Bau von Autobahnen und Megastädten zu kaufen. Mit dem Massaker verriet sie das eigene Volk. Mit dem ungezügelten Materialismus verrät sie seither ihre eigene Ideologie.

Indem sich die Partei einer Neubewertung der Studentenproteste verweigert und sie stur einen "konterrevolutionären Aufstand" nennt, steht sie ihrer eigenen Modernisierung im Weg. Sie gleicht so jenen Rentnern in den Pekinger Parks, die gerne rückwärts herumlaufen. Das mag die Reaktionsfähigkeit steigern, aber man rennt leicht gegen den einen Baum.

Deshalb haben auch die Olympischen Spiele nicht das angestrebte Ziel erreicht, der Welt ein modernes, zivilisiertes China vorzuführen. Sie waren der milliardenteure Versuch eines "Rebranding", um ein Wort der Werbebranche zu bemühen. Die Neupositionierung der Marke China ist gescheitert, weil die Regierung bei jedem harmlosen Protest sogleich den Geist des Tiananmen-Platzes im Nacken spürt. Wer auf das eigene Volk geschossen hat, fürchtet nichts mehr als das eigene Volk.

Die überaus harte Repression in Tibet seit dem März vergangenen Jahres ist auch eine Spätfolge des Massakers. Peking handelt in Lhasa nach demselben Muster wie schon 1989. Auf exzessive militärische Gewalt folgten Verhaftungen und Lügen. Wieder sollen ausländische Saboteure und "Konterrevolutionäre" die Quelle der Aufstände gewesen sein, nicht Unzufriedenheiten im Volk. Wer nicht zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte bereit ist, bleibt ihr Gefangener.

Doch die vergangenen 20 Jahre sind auch von der Demokratiebewegung geprägt worden, die einst wochenlang das Land elektrisiert hat. Die Menschen mögen damals nicht die Regierung gestürzt haben, aber sie haben ihr Land verändert. Sie haben die Partei gezwungen, mehr auf die Belange des Volkes zu achten. Die Politiker reden nun von der "harmonischen Gesellschaft". Mit dem Erlass von Schulgeld, besserer Krankenversorgung und mehr Schutz des Privateigentums reagieren sie auf die Wut der Bürger von 1989, die der Selbstbereicherung der Kaderkaste mit leeren Händen zusehen mussten.

Die Chinesen haben ihren Wunsch nach Demokratie nicht aufgegeben. Kaum jemand aber ruft laut nach Demokratisierung, weil es zu gefährlich ist. Der Dissident Liu Xiaobo, der mit seiner "Charta 08" offen Demokratie gefordert hat, sitzt nun im Gefängnis.

Unzählige heimliche Demokraten in China aber konzentrieren sich auf kleine, überschaubare Kämpfe. Anwälte verteidigen um ihr Ackerland geprellte Bauern, verfolgte Tibeter oder gefolterte Sektenangehörige. Blogger zählen im Internet die beim Erdbeben in "Tofu-Schulen" ums Leben gekommenen Kinder. China hat noch immer eine autoritäre Regierung, die aber viel stärker als bisher auf den öffentlichen Diskurs achten muss.

Die nächsten Jahre werden zu einer Probe für Chinas Herrscher. Ihr bisheriges Wirtschaftsmodell scheint überholt, ein neues nicht in Sicht. Die Exportmanufakturen an der Ostküste stehen seit der Weltwirtschaftskrise still. Damit bröckelt der gesellschaftliche Konsens der letzten 20 Jahre, und unzufriedene Bürger könnten wieder auf die Straße gehen.

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