China:Wenn Kritik teuflisch klingt

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Chinas Regierung setzt noch immer auf eine rigide Corona-Eindämmung mit Lockdowns. In der chinesischen Millionenmetropole Guangzhou führt das gerade zu besonderen Protesten. (Foto: AP/AP)

Chinas Zensurbehörden brauchen dringend neues Fachpersonal.

Von Lea Sahay

Die Kritik ist heftig, die Chinas Internetnutzer an den Corona-Ausgangssperren üben. "Fahrt doch zur Hölle", heißt es da. Und dass die Regierung großen Quatsch rede. Einige wenige Mächtige würden sich die Taschen vollmachen mit den Corona-Tests, während die einfachen Leute leiden. Frontalangriffe wie diese auf die Partei fischen Pekings Zensoren normalerweise in Sekunden aus dem Netz. Ihre Aufgabe ist es, die "Internet-Harmonie" zu verteidigen.

Damit die Kritik nicht sofort verschwindet, behelfen sich Menschen in Südchina jetzt mit einem Trick: Anders als im Rest des Landes sprechen rund 55 Millionen Menschen in Guangdong und Hongkong neben Mandarin auch noch eine andere Sprache. Und was für eine! Irgendwo zwischen sechs und elf Töne kennt das Kantonesische. Je nach Tonverlauf ändern die Worte ihre Bedeutung. Es gibt Töne, die benutzt man nur, wenn man sich streitet. Und es gibt Töne, scherzen einige, die können nur Hunde hören. Sinologe Victor Mair fragte mal, ob Kantonesisch eher eine Sprache sei oder die Personifikation des Teufels.

Und jetzt zur Zensur: Kantonesisch und Mandarin werden häufig als zwei Dialekte bezeichnet, doch die Sprecher der jeweiligen Varietäten können einander nicht verstehen. Sie verwenden zwar die gleichen Schriftzeichen, doch die haben nicht immer dieselbe Bedeutung. Die Folge: Der Zensurbehörde fehlt anscheinend das Fachpersonal.

Ganz neu ist das nicht. Als sich 2019 bei den Protesten in Hongkong mutmaßlich festlandchinesische Polizisten unter die Demonstranten mischten, entwickelten diese Codewörter auf Kantonesisch.

Die Corona-Proteste in Südchina zeigen, was Peking schon lange erkannt hat: Will die Führung alles kontrollieren, ist die sprachliche Vielfalt eine Gefahr. Die Ethnien in China, von denen es 56 gibt, sollen sich so eng umfassen wie "Kerne von Granatäpfeln". Besonders in der Peripherie sollen die Menschen sich sinisieren, sich anpassen an die Mehrheitskultur der Han-Chinesen - wenn es so etwas überhaupt gibt. Die Förderung von Mandarin spielt dabei eine herausgehobene Rolle, sie sei entscheidend für die Staatssicherheit, sagt Peking.

In der Inneren Mongolei verbannte China vor zwei Jahren die mongolische Sprache zu einem großen Teil aus den Schulen. Literatur, Politik und Geschichte dürfen seitdem nicht mehr auf Mongolisch unterrichtet werden.

Ähnliche Regeln herrschen in Tibet und Xinjiang, wo die Menschen unter anderem Tibetisch, Uigurisch und Kasachisch sprechen. In der Schule ist die Vermittlung dieser Sprachen auf wenige Stunden reduziert. Selbst die koreanische Minderheit an der Grenze zu Nordkorea und lange Vorbild für die friedliche Ko-Existenz mit den Han-Chinesen steht inzwischen unter Druck.

In der Netzwelt dürfte die Zensur den Trend beschleunigen. Während Uigurisch auf Douyin, dem chinesischen Tiktok, längst verboten ist, soll das Verbot jüngst auf kantonesische Videos ausgeweitet worden sein. Die Politik dürfte dafür sorgen, dass junge Menschen mittelfristig die Sprache ihrer Eltern nicht mehr sprechen. Für die Zensoren wird der Job damit einfacher.

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