Süddeutsche Zeitung

China:Wie Xi Jinping seinem Land und seinem Image schadet

Chinas Staatspräsident ließ sich als Erfinder der Null-Covid-Strategie feiern - nun stößt er damit an die Grenzen seiner Macht. Zu schwer wiegen die Folgen für Bürger und Wirtschaft.

Von Lea Sahay, Peking

Eigentlich hätte das Jahr für Xi Jinping kaum besser starten können. Anfang Februar eröffnete er vor Zehntausenden Zuschauern die Olympischen Winterspiele in Peking, die möglichst reibungslose Durchführung trotz Pandemie hatte er zu seiner persönlichen Aufgabe erklärt. Die Botschaft war klar: Während der Rest der Welt im Chaos versinkt, meistert China aufgrund seiner überlegenen Führung die perfekten Spiele.

Doch nur wenige Monate später sieht sich der Staatspräsident mit gravierenden Problemen konfrontiert: Der Widerstand gegen das harsche Pandemieregime wächst, die Wirtschaft stürzt ab und international ist das Land zunehmend isoliert. Wegen der schwierigen Lage wurde in den vergangenen Wochen sogar über einen möglichen Machtverlust Xis spekuliert. So sahen einige Beobachter im Mai in einem maskenlosen Auftritt von Premier Li Keqiang einen direkten Angriff auf Xis Null-Covid-Strategie. Andere teilten ihren Eindruck mit, der Präsident verschwinde aus den Schlagzeilen chinesischer Staatszeitungen. Könnte Premier Li dem Parteichef demnach gefährlich werden?

Spekulationen über Pekings extrem verschlossene politische Führung sind keine Seltenheit, gerade im Hinblick auf die weitreichenden Konsequenzen, die vom nächsten Parteitag im Herbst 2022 erwartet werden. Dort will sich Xi Jinping eine historische dritte Amtszeit sichern - ein Tabubruch, für den er 2018 eigens die Verfassung ändern ließ. Doch auch wenn ein tiefergehender Machtkampf als unwahrscheinlich gilt - dafür hat Parteichef Xi seine Machtbasis in den vergangenen Jahren zu stark ausgebaut -, erscheint eine Sache unstrittig: Chinas Staatspräsident leistet sich viele Fehler, das Unwohlsein über seinen harten Kurs wächst.

Während zweieinhalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie in vielen Teilen der Welt die Normalität zurückkehrt, schlägt Corona in China nun zum ersten Mal richtig zu. Was bei der Bekämpfung gerade alles falsch läuft, zeigt sich besonders in Shanghai. Eigentlich wollte die Stadt im März vormachen, wie der chinesische Weg aus der Pandemie aussehen könnte. Anstatt die Metropole mit einem Lockdown komplett lahmzulegen, wollte die Lokalregierung einen liberaleren Kurs einschlagen und nur einzelne Stadtteile abriegeln. Doch die Fallzahlen stiegen so rasant, dass die Regierung kapitulierte.

Die Kritik an der Gewalt der Corona-Helfer ist groß

Aus dem lockeren Ansatz wurde ein zweimonatiger Dauer-Lockdown. Das chaotische Management sorgte für Nahrungsmittelengpässe, viele Menschen, die auf medizinische Hilfe angewiesen waren, konnten keinen Arzt aufsuchen. Das endete mitunter tödlich. Zwar versuchen die Zensoren seit Wochen, sämtliche Kritik aus dem Netz zu löschen, doch besonders das Unbehagen wegen der übermäßigen Gewalt der Corona-Helfer ist groß. Die Propaganda-Offensiven können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Zweifel an der strikten Corona-Politik zunimmt.

Zu lange, so scheint es seit der Ankunft Omikrons, hat sich die chinesische Führung auf ihrem anfänglichen Erfolg ausgeruht. Nun sind vor allem Angehörige von Risikogruppen nicht ausreichend geimpft, auch eine Auffrischung fehlt vielen. Das sanierungsbedürftige Gesundheitssystem dürfte einer größeren Welle nicht standhalten, weshalb fast 80 Prozent der Städte in den vergangenen Wochen erneut Lockdown-Maßnahmen verhängten.

Wie fragil die Freiheit der Menschen ist, zeigte sich auch in Shanghai in diesen Tagen. Nur eine Woche nach den ersten Lockerungen haben die Behörden am Donnerstag nach elf neuen Infektionen abermals Massentests und Ausgangssperren angekündigt. Mehr als die Hälfte der 26 Millionen Shanghaier dürfen am Wochenende erneut nicht vor die Tür oder sich nur in ihrer Nachbarschaft bewegen.

Dem Parteichef scheint es dabei auch um Gesichtswahrung zu gehen, hat er sich doch in den vergangenen zwei Jahren als Erfinder der Null-Covid-Strategie feiern lassen. Die Schwierigkeiten zeigen aber auch internationale Folgen. Seit das Land die erste Welle im Frühjahr 2020 unter Kontrolle gebracht hat, nutzte Xi die Maßnahmen als Beleg für die Überlegenheit des Einparteienstaats gegenüber freien Gesellschaften. Gezielt versucht Peking, sich gegenüber anderen Staaten als alternativer Partner zu den Vereinigten Staaten anzubieten. In der Krise nutzte das Regime seine Marktmacht bei der Produktion von medizinischen Hilfsgütern, inszenierte sich als einzig verlässlichen Akteur in der Krise. Findet jetzt ausgerechnet China keinen Ausweg aus der Pandemie, bringt das Xis Image ins Wanken.

Chinas Beziehung zum Westen hat schwer gelitten

Wirtschaftlich sind die Folgen des ständigen Hoch- und Runterfahrens verheerend. Viele Menschen haben ihre Ersparnisse aufgebraucht, coronabedingte Schließungen führen immer häufiger zu Straßenprotesten. Auch international sorgt die Unberechenbarkeit der Maßnahmen für Kopfzerbrechen, erneut geraten Lieferketten durcheinander. Globale Konzerne werden sich wohl nicht gleich zurückziehen, doch Umfragen zeigen, dass sie sich mit Neuinvestitionen stärker zurückhalten könnten.

Die wirtschaftlichen Probleme sind jedoch nicht nur auf die jüngsten Corona-Ausbrüche zurückzuführen. Im vergangenen Jahr hatten die Aufsichtsbehörden immer wieder mit regulatorischen Anweisungen tief in die chinesische Wirtschaft eingegriffen und Firmen unter anderem wegen des Verstoßes gegen das Monopolrecht mit Milliardenstrafen belegt. Die heftigen Eingriffe überraschten nicht nur Analysten, sie kosteten auch viele Millionen Menschen den Job.

Zu guter Letzt haben Pekings aggressive Außenpolitik und sein harter innenpolitischer Kurs auch die Beziehung zu weiten Teilen des freiheitlichen Westens schwer angeschlagen, verstärkt noch von Xis Treue zu Putin trotz des Ukraine-Kriegs. Xi scheint davon überzeugt zu sein, China sei mächtig genug, sich die Isolation leisten zu können. Doch wahrscheinlich teilen nicht mehr alle in der Partei diesen Glauben.

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