Dass Chinas Regierung nur ihre Version der Geschichte gelten lässt, ist hinlänglich bekannt. So war es auch vergangene Woche wieder, als aus einem Gastbeitrag des EU-Botschafters in China in der staatlichen China Daily ein Halbsatz zur - chinesischen - Herkunft des Coronavirus gestrichen wurde. Das eigentlich Empörende dabei ist allerdings, dass der hochrangige europäische Diplomat dem Abdruck der zensierten Version zustimmte, statt sie ganz zurückzuziehen.
Doch wen überrascht das noch? Clive Hamilton und Mareike Ohlberg sicher nicht. Die beiden Autoren legen in dem Buch "Die lautlose Eroberung. Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet" auf annähernd 500 Seiten dar, warum solches Verhalten der westlichen Eliten gegenüber China bedauerlicherweise längst normal ist. Detailliert und ungemein faktenreich beschreiben sie, wie Peking den Westen zum Kotau zwingt - wie einst zu Kaiser Qianlongs Zeiten.
Sprachanalyse:Wort für Wort an die Weltspitze
Die Sinologin Thekla Chabbi spürt den Phrasen der Mächtigen in China nach.
Und viele im Westen vollführen diese Prostration auch noch freiwillig. "Die KP China verfolgt ein ambitioniertes, gut geplantes Programm zur weltweiten Einflussnahme und Einmischung und kann gewaltige wirtschaftliche und technologische Ressourcen einsetzen, um ihr Vorhaben zu verwirklichen", schreiben die Autoren.
Das, so warnen sie, führe zu Subversion und Beschädigung der Demokratie. "Die Kommunistische Partei Chinas nutzt gezielt die Schwächen der demokratischen Systeme, um diese zu untergraben." "Yi shang bi zheng" ist dabei eine der beliebtesten Strategien: Die Wirtschaft einsetzen, um die Regierung unter Druck zu setzen, Beispiel "Neue Seidenstraße".
Aber sie schrecke auch vor Cyberattacken nicht zurück. Eingehend befassen sie sich mit dem Netzwerkausrüster Huawei. Dessen Geschichte sei ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie die Kommunistische Partei "Spionage, Diebstahl von geistigem Eigentum und Beeinflussungsoperationen" miteinander verschmelze.
Unter Xi Jinping hat China eine Rolle rückwärts gemacht
"Die lautlose Eroberung" liefert wichtige Argumente in der Diskussion über die zunehmende Abhängigkeit des Westens von China als Wirtschaftsmacht. Das Buch ist ein Muss für all jene, die besorgt sind um die nationale Sicherheit und die Integrität der Institutionen.
Denn Chinas Strategie, nach der Weltherrschaft zu streben, ohne sich zu demokratisieren und westliche Werte anzuerkennen, ist dreister, kompromissloser geworden. Unter Staatschef Xi Jinping hat die Partei eine Rolle rückwärts in die Zeit des "großen Vorsitzenden" Mao Zedong gemacht - aber auch einen neuen großen Sprung nach vorne.
China will selbst den Diskurs bestimmen, ist Medienweltmacht geworden, nimmt Einfluss auf kulturelle Institutionen, auf Universitäten. Dass das eine Gefahr für unser freiheitliches Denken sein könnte, dämmert mittlerweile auch jenen, die meinten, man werde China sicherlich bald einbinden in den westlichen Wertekanon.
Mareike Ohlberg, Sinologin am Merics-Institut in Berlin, forscht seit mehr als zwölf Jahren zum Thema. Der australische Journalist Clive Hamilton veröffentlichte 2018 "Silent Invasion. China's Influence in Australia", das zum Bestseller wurde. Nun hat er seine Recherchetätigkeit erweitert auf die Einflussnahme und Einmischung Chinas in Nordamerika und Westeuropa. Wie China den Süden dieser Welt "erobert", musste leider ausgeklammert werden - aus Kapazitätsgründen.
Besonders interessant sind die Einblicke in die subversive Tätigkeit und Motivation der sogenannten Einheitsfront-Arbeit, "Qiaowu". Mit Zuckerbrot und Peitsche wollen die Parteikader die etwa 60 Millionen Auslandschinesen hinter sich bringen. Es geht bis zur Anwerbung zur Spionage. Wer sich der Einheitsfront-Arbeit widersetzt, wird massiv bedrängt.
"Die von der KP China ausgehende Bedrohung wirkt sich auf das Recht aller Menschen aus, ein Leben ohne Furcht zu führen", warnen die Autoren. Viele Chinesen in westlichen Ländern sowie Tibeter, Uiguren, Anhänger von Falun Gong und Demokratieaktivisten in Hongkong seien bereits heute den Repressionsmaßnahmen des chinesischen Regimes direkt ausgesetzt und führten ein Leben in ständiger Angst.
Regierungen, akademische Einrichtungen und Manager dagegen müssen sich nur vor finanziellen Repressalien fürchten, sollten sie das Regime in Peking verärgern. Dennoch gilt: "Diese Furcht ist ansteckend und wirkt zersetzend. Sie darf nicht zu dem normalen Preis werden, den Länder für ihren Wohlstand bezahlen müssen."
Auch viele Auslandschinesen leben in ständiger Angst
Bis in die letzten Wochen vor der Veröffentlichung wurde "Die lautlose Eroberung" laut Angaben des Verlages aktualisiert. Alles, was während der Corona-Krise an Vorwürfen gegenüber China laut wurde, konnte allerdings nicht mehr aufgenommen werden. Das zeigt vor allem, wie die Diskussion im Moment in Bewegung ist.
Noch nie seit 1989, seit Chinas Herrscher das Massaker auf dem Tian'anmen-Platz gegen friedliche Demonstranten begingen, ist Chinas Wahrnehmung in der westlichen Welt derart negativ gewesen. Die Umerziehungslager für Hunderttausende Uiguren, der ausufernde Überwachungsstaat sowie Chinas Vertuschung in der Corona-Krise trugen dazu bei, dass beispielsweise in den USA zwei Drittel der Bevölkerung eine schlechte Meinung von China haben.
Vor zwei Jahren waren es erst etwa 47 Prozent. In Europa gehen zwar viele auf leise Distanz zu Donald Trumps bisher unbelegten Vorwürfen gegenüber dem chinesischen Viren-Institut in Wuhan.
Aber auch hier deutet sich ein Umdenken an, wird nun jener Widerstand mobilisiert, den Ohlberg und Hamilton fordern. Der Westen müsse eine Verteidigungsstrategie entwickeln, und dürfe sich vor allem nicht auseinanderdividieren lassen. Das spiele Chinas Kadern nur in die Hände. In manchen Ländern ist es aufgrund der vielfältigen wirtschaftlichen Verflechtungen der Eliten aus ihrer Sicht allerdings fast zu spät für ein Umdenken. Zum Beispiel in Großbritannien.
Da die Kommunistische Partei vorzugsweise im Schatten agiere, sei Transparenz das beste Gegenmittel. "Die Verantwortung dafür, die Aktivitäten des chinesischen Regimes ans Licht zu bringen, liegt bei Medien, Regierungsbehörden, Wissenschaftlern und Politikern." Hamilton wurde in Australien von interessierter Seite vorgeworfen, eine "Gelbe Gefahr" an die Wand zu malen und so Rassismus gegen Chinesen zu schüren.
Solche Vorwürfe werden auch hier - das Buch erscheint an diesem Montag - kommen. Doch sie sind haltlos. Die beiden Autoren unterscheiden ausdrücklich zwischen dem chinesischen Volk und der Kommunistischen Partei. "Sie behauptet, dass die Partei das Volk ist; folglich ist jede Kritik an der Partei ein Angriff auf das chinesische Volk. Es ist irritierend, dass so viele darauf hereinfallen."