China:Wie China korrupte Beamte jagt

China's Politburo Standing Committee member Wang Qishan stands next to a Chinese flag in Beijing

Er lehrt die Mächtigen das Fürchten: Wang Qishan, Leiter der Zentralen Disziplinarkommission.

(Foto: Jason Lee/Reuters)
  • Anti-Korruptionschef Wang Qishan gilt vielen schon als zweitmächtigster Mann Chinas.
  • Xis Antikorruptionskampagne ist einerseits praktisches Instrument im Machtkampf gegen Rivalen, andererseits auch ernster Ausdruck seiner Sorge um den Zustand seiner Partei.
  • Reformorientierte und liberale Chinesen kritisieren, dass erst die Kontrolle aller Ressourcen durch den Staat der Korruption den fruchtbaren Boden bereitet habe.

Von Kai Strittmatter, Peking

Vorige Woche vollbrachte Chinas Staatssender CCTV Außergewöhnliches: Er schlug sein Publikum mit Propaganda in Bann. In der Serie "Immer unterwegs" traf Parteipropaganda auf Reality-TV. Eben noch Mächtige traten auf als Gefallene und Gebrochene. Der ehemalige Provinzparteichef von Hebei zum Beispiel, der mehr als eine Million Yuan (etwa 136 000 Euro) ausgegeben hatte für zwei Köche, sie sollten ihm in seinem 800 Quadratmeter-Heim die scharfen Gerichte seiner Heimatprovinz Hunan zubereiten.

Oder der Parteisekretär von Yunnan, der sich von Geschäftsleuten für Regierungsaufträge und von Untergebenen für Beförderungen so reich beschenken ließ, dass die Inspektoren der Partei hernach zehn Tage brauchten, um all die Geschenke aufzulisten: Ein Jadearmband für die Ehefrau wurde auf umgerechnet zwei Millionen Euro geschätzt.

Die Zuschauer hörten von Krokodilschwanzbanketten auf Staatskosten, von Vergnügungs- und Shoppingtouren rund um die Welt. Und sie bekamen, an gleich acht Abenden hintereinander, die reumütigen Sünder vorgeführt, allesamt vor Kurzem noch Spitzenfunktionäre der Kommunistischen Partei. Der Korruption überführt und ins Gefängnis gebracht von der mittlerweile wohl gefürchtetsten Behörde im Land, der Zentralen Disziplinarkommission der KP.

Sie sahen bittere Tränen, bei Li Chuncheng zum Beispiel, einst stellvertretender KP-Chef von Sichuan, der nun für 13 Jahre in Haft sitzt: "Das Leben ist wie eine Live-Übertragung", sagte Li. "Man kann es kein zweites Mal leben." Und sie sahen - in einer Szene, die viele an Maos Kulturrevolution erinnerte - einen Sohn, der seinen inhaftierten Vater denunzierte, den ehemaligen Parteichef der Provinz Jiangxi Su Rong.

Shock and Awe heißt die Taktik

Inmitten all des Schmutzes und der Korruption zeigte die Serie nur einen, der sich über den Sumpf erhebt, sauber, bescheiden und tugendhaft: Parteichef Xi Jinping. Der Mann, der die Antikorruptionskampagne gleich nach seinem Amtsantritt 2012 losgetreten hatte.

Shock and Awe heißt die Taktik. Es ist alles andere als ein Zufall, dass die Fernsehserie quasi die Plenarsitzung des Zentralkomitees der KP einleitete, die diese Woche von Montag bis Donnerstag in Peking stattfindet. Sie hatte zwei Botschaften zu verbreiten. Eine ans Volk: Ja, die Korruption ist gewaltig, aber die Parteiführung tut etwas. Und eine andere an genau jene, die sich zur Parteisitzung einfanden. Die Serie sei "eine Warnung an alle Beamten und Parteikader", schrieb die Pekinger Global Times: "eine Mahnung, sich der Parteidisziplin zu unterwerfen". Jeder könnte der Nächste sein.

Als die knapp 350 ZK-Mitglieder am Montag erstmals zusammentrafen, fehlten aus der ursprünglichen Besetzung mehr als zwanzig Funktionäre - alle schon einkassiert von der Disziplinarkommission. 336 000 Parteikader wurden allein im vergangenen Jahr auf Bestechlichkeit untersucht, mehr als 91 000 in den vergangenen vier Jahren bestraft. Die Disziplinarkommission ist unter ihrem Chef Wang Qishan zu Xi Jinpings wichtigstem Instrument der Machtsicherung aufgestiegen. Wang gilt vielen längst als der zweitmächtigste Mann im Land. Auf dem Plenum nun könnte sich auch seine Zukunft entscheiden: Bislang gilt die ungeschriebene Regel, dass Funktionäre nicht älter sein dürfen als 68. Wang ist jetzt 69. Wenn die Regel nicht gekippt wird, dann bricht er beim großen Parteitag im nächsten Jahr Xi Jinping als rechte Hand weg.

Xi Jinpings Ziel: China das Schicksal der Sowjetunion ersparen

Das große Thema des Plenums diese Woche ist die Parteidisziplin. Es soll neue Regeln geben für die "strenge Verwaltung" der KP. Es geht um die Autorität von Xi Jinping, dem Parteichef, der bei seinem Antritt 2012 der von Korruption zerfressenen, von Skandalen und von Vertrauensverlust geplagten Partei versprochen hat, sie aus einer ihrer größten Krisen herauszuführen. Sein Ziel ist es, der KP und der Volksrepublik das Schicksal der Sowjetunion zu ersparen. "Die Herausforderungen, die uns am meisten Sorgen machen, kommen von innen, von innerhalb der Volksrepublik China, von innerhalb unserer Partei", sagte Wang Qishan, der Chef der Disziplinarkommission in einer Rede vor seinen Inspektoren im vorigen Jahr.

Xi und Wang haben sich den Kampf gegen Korruption und Illoyalität auf die Fahne geschrieben, den gegen Cliquenbildung und den gegen den Verfall von Disziplin und jenen Werten, mit denen sie als junge Kommunisten einst aufwuchsen. Xis Antikorruptionskampagne, sie ist dem Parteichef zum Teil praktisches Instrument im Machtkampf gegen Rivalen, zum Teil aber auch ernster Ausdruck seiner Sorge um den Zustand seiner Partei. So hat er sich eines Teils seiner Feinde entledigt, sich gleichzeitig aber neue Gegner geschaffen. Aufgabe der Plenarsitzung dieser Woche, schrieb die Global Times, werde es sein "den passiven Widerstand" einiger Beamter zu "zerschmettern": "Einige hegen noch immer die Illusion, der Kampagne könnte die Luft ausgehen."

Wang hatte Chinas Funktionäre einst gewarnt, "rote Gesichter und Schweißausbrüche" würden während seiner Amtszeit die Norm. Seine Kommission jagt nicht nur korrupte Beamte. Ihre Inspektoren knöpfen sich systematisch wichtige Ministerien, Parteibereiche und Staatsabteilungen vor und klopfen die Hierarchien dort auch auf ideologische Laxheit und mögliche Illoyalität Parteichef Xi gegenüber ab. Öffentliche Loyalitätsschwüre auf den "Führungskern der Partei", sprich Xi Jinping, haben im Moment Konjunktur - sind aber auch Ausdruck dafür, dass es hinter den Kulissen offensichtlich Risse und zumindest passiven Widerstand gegen den starken Mann Xi gibt.

"Keiner protestiert, aber keiner tut mehr etwas"

Tatsächlich hat die Rezentralisierung der Macht unter Xi und die Anti-Korruptionskampagne auf lokaler und regionaler Ebene vielerorts zu einer Lähmung des Apparats geführt: Nicht nur Geschäftsleute klagen, dass im Moment keiner sich traue, Verantwortung zu übernehmen, und Entscheidungen auf die lange Bank geschoben würden. "Keiner protestiert, aber keiner tut mehr etwas", beschrieb der Pekinger Politologe Jin Canrong in einer Rede die Lage bei Chinas Lokalregierungen.

David Li, ein Ökonom und früherer Mitarbeiter der Zentralbank in Peking nannte im Juli Xi Jinpings Antikorruptionskampf sogar den "Hauptgrund" für die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums. In Zahlen ist das kaum festzumachen, ein Bericht der Bank BNP Paribas schätzte den Reibungsverlust auf 1 bis 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Für reformorientierte Beobachter ist das keineswegs ein Grund, sich die Korruption als Schmiermittel zurückzuwünschen. Sie drängen auf anderes: Es sei "höchste Zeit" für den Aufbau unabhängiger Institutionen, schreibt Hu Shuli vom Wirtschaftsmagazin Caixin, die wohl bekannteste Journalistin des Landes und eine der letzten vernehmbaren liberalen Stimmen innerhalb der Partei. Wenn die Antikorruptions-TV-Serie "Immer unterwegs" eines gezeigt habe, dann dies: "Absolute Macht korrumpiert absolut." Die Kontrolle aller Ressourcen durch den Staat erst habe der Korruption den fruchtbaren Boden bereitet. Ihre Schlussfolgerung: "Sie kann nur ausgemerzt werden, wenn die Macht von gestärkter Rechtsstaatlichkeit eingedämmt wird."

Für solche Reformen am System aber gibt es bislang keine Anzeichen. Im Gegenteil: Die Propaganda der KP hat die Idee der Gewaltenteilung als Versuch westlicher Unterwanderung verdammt. Und Forderungen nach mehr Transparenz werden innerparteilich zwar schon seit Jahren diskutiert, scheiterten aber bislang noch jedes Mal.

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