China:Von Angst getrieben

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Neue Zeiten in China: Das Land will digital autark werden. Die eigene Industrie wird gestärkt, das Ausland abgekoppelt. Wer die Führung provoziert, wird abgestraft.

Von Christoph Giesen

Es ist ein wildes Sammelsurium, das sich dieser Tage Stand an Stand in den Shanghaier Messehallen reiht. Ein bisschen Grüne Woche, ein wenig Autoshow und entsetzlich viel Kleinkram: Der neueste Elektrowagen von VW wird gezeigt, am Stand von Myanmar schenken Hostessen Kaffee aus, und über Lettland erfährt man, dass sich das Land selbst als "magnetisch" bezeichnet, warum auch immer. Ein Gipsproduzent aus Turkmenistan hat einige Säcke seiner weißen Ware in die Halle schleifen lassen. Und die Mitarbeiter eines dänischen Anbieters für Karaokemaschinen haben die Lautsprecher aufgedreht, ein Mann singt fürchterlich schief, untermalt von Kirmes-Techno.

Insgesamt 3000 Unternehmen stellen in Shanghai aus, das Einzige, was sie eint: Sie alle stammen nicht aus China, und sie sind Teil geworden einer gewaltigen Propaganda-Inszenierung, die der Welt versichern soll, dass China Waren ohne Ende einführt. Dass US-Präsident Donald Trump unrecht hat, wenn er auf Twitter behauptet, die Volksrepublik importiere nicht genug.

In seiner Eröffnungsrede vergleicht Staats- und Parteichef Xi Jinping die Dynamik der Globalisierung mit den großen Strömen der Welt. "Obwohl es manchmal einige Wellen gibt, die rückwärts gehen, und obwohl es viele Untiefen gibt, rauschen die Flüsse vorwärts, und niemand kann sie aufhalten." Die Wahrheit ist, genau das versucht China jedoch.

Die Volksrepublik ist für viele Unternehmen, Konzerne genauso wie Mittelständler, noch immer der wichtigste Wachstumsmarkt und wird es wohl auf lange Sicht auch bleiben. Dennoch verändert sich gerade etwas. Jenes Land, das sich vor gut 40 Jahren wirtschaftlich öffnete, verschließt sich wieder, koppelt sich ab, möchte unabhängig werden vom Rest der Welt.

Statt Pragmatismus ("Egal ob die Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache, sie fängt Mäuse", Deng Xiaoping) re-ideologisiert Xi Jinping das Land. In Staatskonzernen, an den Universitäten und Schulen wird bereits das Xi-Jinping-Denken gebüffelt. US-Präsident Trump würde es wohl auf die knappe Formel "China first" bringen; ganz unrecht hätte er damit nicht.

Die Führung in Peking bereitet sich auf einen neuen Kalten Krieg vor, einen Technologiekrieg. Das Land soll so schnell wie möglich digital autark werden. Keine amerikanische Software mehr, keine Halbleiter aus dem Ausland, keine Daten, die außerhalb der Volksrepublik gespeichert werden. Chinesische Unternehmen werden dazu vom Staat verwöhnt, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Mit dem Regierungsplan "Made in China 2025" will Peking die eigene Industrie voranbringen. Etliche Milliarden stehen bereit, um in zehn als besonders zukunftsträchtig geltenden Branchen chinesische Weltmarktführer heranzuzüchten. Den Begriff dürfen chinesische Medien zwar nicht mehr verwenden, da die Strategie einer der Hauptkritikpunkte der US-Regierung im Handelsstreit ist. Das Programm aber läuft weiter wie eh und je.

Ohnehin wird nur noch wenig diskutiert im China von Xi Jinping. Die meisten Wirtschaftsreformer haben entweder ihre Posten verloren oder sich freiwillig zurückgezogen, stattdessen gibt der Sicherheitsapparat den Ton an, kleingeistig, überall Gefahren witternd. Es werden neue Gesetze geschrieben und Verordnungen erlassen, die den Behörden beinahe grenzlose Durchgriffsrechte einräumen.

Muss man künftig Angst vor China haben? Der überbordende Einfluss der Kommunistischen Partei und ihr Kontrollwahn sind in der Tat besorgniserregend.

Bei vielen Privatunternehmen haben sich Parteikomitees gegründet - beim Suchmaschinenkonzern Baidu genauso wie bei Start-ups. Überall reden jetzt Funktionäre mit. In den neuen Statuten der chinesischen Bahn ist inzwischen dieser Satz verankert: "Wenn der Vorstand über materielle Fragen entscheidet, dann muss er zunächst die Stellungnahmen des Parteikomitees der Firma anhören." Ratschläge, die man wohl besser nicht ignorieren sollte. Ähnliche Formulierungen finden sich bei Dutzenden Konzernen, die allesamt an der Börse in Hongkong gelistet. Auch viele ausländische Firmen und Joint Ventures wurden gebeten, Parteizellen einzurichten. Mal sollen Räumlichkeiten für die Parteiarbeit gestellt werden. Mal wird gleich dazu aufgerufen, bevorzugt Parteimitglieder einzustellen. Je geringer der Anteil der ausländischen Firmen am Joint Venture, desto forscher die Forderungen. In einigen Provinzen haben die lokalen Verwaltungen bereits begonnen, neue Verträge für die Gemeinschaftsunternehmen aufzusetzen. Der Machtanspruch der Partei wird darin festgeschrieben, und das möglichst vage.

Das gilt auch für viele Gesetze, die jüngst verabschiedet worden sind. Auf den ersten Blick sind sie unfassbar schlecht verfasst, viel zu knapp, unpräzise. Genau das aber ist das System unter Xi. Ein Bundesverfassungsgericht, das seine Gesetze stoppt, muss er nicht fürchten. Mit den betont schwammigen Gesetzen stellt die Führung in Peking hingegen sicher, dass jeder jederzeit gegen das Gesetz verstoßen kann. Er ist alles nur eine Frage der Auslegung.

In diesem Frühjahr wurde in Windeseile das Gesetz zur Regelung von ausländischen Investitionen durch den Volkskongress gebracht. Der erste Entwurf 2015 bestand noch aus 170 Artikeln und war ein juristischer Text. Allein neun Paragrafen definierten, was unter einer ausländischen Investitionen zu verstehen sei. Die verabschiedete Fassung ist frei von solcherlei Details. Stattdessen ist das Gesetz reduziert auf schlanke 41 Artikel, viele davon kaum länger als ein Satz.

Die Führung in Peking ist ein unentspanntes, hochnervöses Gebilde geworden

Ähnlich unbestimmt sind auch das neue Sicherheitsgesetz, das Cybersicherheitsgesetz oder das Nachrichtendienstgesetz. Wer diese Paragrafen liest, dem wird ganz anders. Der Staat kann überall eingreifen, jederzeit Informationen abschöpfen und beinahe alles zu einer Frage der nationalen Sicherheit erklären. Die Führung in Peking ist ein unentspanntes, hochnervöses Gebilde geworden, das inzwischen selbst bei Petitessen dazu neigt, irrational zu handeln.

Für Unternehmen bedeutet das Unsicherheit. Beispiel Daimler. Im Winter 2018 veröffentlichte der Konzern auf Instagram, einem Dienst, der in der Volksrepublik ohnehin gesperrt ist, die Aufnahme eines Coupés garniert mit einem Kalenderspruch: "Look at situations from all angles, and you will become more open". (Betrachten Sie Situationen aus allen Blickwinkeln, und Sie werden offener.) Eine Binse, die man womöglich sofort wieder vergisst. Nicht so in China, angefeuert von der Regierung kochte der Volkszorn. Das Zitat stammte vom Dalai Lama, einer Unperson in der Volksrepublik. Der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche bat deshalb unterwürfig um Vergebung - ein Drittel aller Autos verkauft der Konzern in der Volksrepublik, der mit Abstand wichtigste Markt. Nach ein paar Tagen kam die Entwarnung, Daimler habe sich angemessen verhalten, beschied Peking.

Andere kamen nicht ganz so glimpflich davon. Die südkoreanische Supermarktkette Lotte verlor Milliarden. Es gab Plünderungen, Filialen wurden zeitweilig geschlossen - angeblich aus Brandschutzgründen. Auslöser für die Wut: Lotte hatte in der Heimat ein Stück Land für einen US-Raketenschirm verpachtet. Dafür musste Lotte in China büßen.

Den jüngsten Streit trug die Führung in Peking mit der amerikanischen Basketballliga NBA aus. Ein einziger Tweet eines Klub-Geschäftsführers zu den Demonstrationen in Hongkong hat den Kadern nicht gefallen. Die Konsequenz: Der totale Boykott - keine Übertragung der Spiele mehr für Millionen Fans in China.

Wer ist der Nächste?

© SZ vom 11.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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