China:Wachstum als Kompass

China: Reihenweise Tee für die Delegierten: Bedienstete gehen mit ihren Kannen durch die Reihen.

Reihenweise Tee für die Delegierten: Bedienstete gehen mit ihren Kannen durch die Reihen.

(Foto: Leo Ramirez/AFP)

Trotz der Corona-Krise verspricht Pekings Führung bei der Eröffnung des Volkskongresses einen Zuwachs der Wirtschaft von mehr als sechs Prozent. In Hongkong droht eine Verschärfung des Wahlrechts, was die Demokratie noch weiter beschneiden würde.

Von Christoph Giesen, Peking

Fast 3000 Delegierte dicht an dicht sitzend in einem geschlossenen Saal: Es ist alles wieder normal in China, das Virus unter Kontrolle, das sollten die Bilder aus der Großen Halle des Volkes in Peking zeigen. Die Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses sind alle geimpft und trugen Mund- und Nasenschutz. Lediglich die Mitglieder der obersten Führung auf dem Podium traten ohne Maske auf, so auch Chinas Ministerpräsident Li Keqiang, der zum Auftakt des alljährlichen Treffens seinen Arbeitsbericht vortrug.

In seiner knapp einstündigen Rede sprach er über den Haushalt, den neuen Fünfjahresplan und auch über Hongkong. Eine umstrittene Wahlreform für die chinesische Sonderverwaltungszone steht an. Damit will Peking die ohnehin begrenzte Demokratie in der ehemaligen britischen Kronkolonie noch weiter beschneiden.

Trotz der globalen Rezession durch das Coronavirus peile die Volksrepublik in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von mehr als sechs Prozent an, sagte Li Keqiang - eine Überraschung. Zwar prognostiziert selbst der Internationale Währungsfonds eine Steigerung der chinesischen Wirtschaftsleistung von 8,1 Prozent, dennoch war erwartet worden, dass die Regierung in Peking angesichts der Unsicherheiten durch die Pandemie auf eine konkrete Zahl verzichtet. Im Vorjahr hatte Li noch davon abgesehen, wie üblich eine Vorgabe zu machen. 2020 war nach einem Einbruch der Wirtschaft im ersten Quartal letztlich ein Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts um 2,3 Prozent erreicht worden - das schwächste Wachstum seit 44 Jahren.

Keine konkreten Wachstumszahlen enthält hingegen der neue Fünfjahresplan, den der Volkskongress in den kommenden Tagen beschließen wird. Gezielt gefördert werden soll demnach der Binnenkonsum. Die chinesische Propaganda spricht von dem Konzept der "zwei Kreisläufe". Um die sogenannte interne Zirkulation zu stützen, soll Geld für Forschung und Entwicklung zur Verfügung gestellt werden. Damit will sich China angesichts der Sanktionen der Vereinigten Staaten und der globalen Krise selbständiger machen.

Chinas Führung wünscht sich, dass "Patrioten" Hongkong verwalten

"Wir werden unsere Wissenschaft und Technologie stärken, um die Entwicklung Chinas strategisch zu unterstützen", sagte Premierminister Li. In den kommenden fünf Jahren sollen die Forschungsausgaben um jeweils mehr als sieben Prozent jährlich hochgefahren werden. Allein in diesem Jahr sollen die Investitionen in Grundlagenforschung um 10,6 Prozent steigen. Im Fünfjahresplan werden sieben Schlüsselbereiche ausgewiesen, die gezielt gefördert werden sollen: künstliche Intelligenz, Quanteninformation, Hirnforschung, Halbleiter, Genforschung und Biotechnologie, klinische Medizin und Gesundheit sowie die Erforschung des Weltraums, der Tiefsee und der Polargebiete. Der Bau von Elektrofahrzeugen und der neue Mobilfunkstandard 5G sollen ebenfalls vorangetrieben werden.

In den Kontroversen um Hongkong und Taiwan sprach Premier Li deutliche Warnungen aus. Er wandte sich gegen "eine Einmischung externer Kräfte" in Hongkong. Auch werde Chinas Führung entschieden gegen "separatistische Aktivitäten" in Taiwan vorgehen, die eine Unabhängigkeit suchen. Peking betrachtet den demokratischen und freiheitlichen Inselstaat als Teil der Volksrepublik und droht mit einer Eroberung.

Den Delegierten des Volkskongress wurden am Freitag auch die Pläne für einen Umbau des Wahlsystems in Hongkong vorgestellt. Das Vorhaben läuft darauf hinaus, dass sich Peking noch mehr Einfluss bei der Besetzung der Regierungsspitze in Hongkong sichert. Die Wahlen, die eigentlich bereits im September 2020 hätten stattfinden sollen, dürften um ein weiteres Jahr verschoben werden. Bereits im Vorfeld hatte ein Sprecher des Volkskongresses angekündigt, dass eine "Verbesserung" des Wahlsystems nötig sei, um zu gewährleisten, dass "Patrioten" Hongkong verwalten. Medienberichten zufolge soll in dem Wahlkomitee, das die Führung Hongkongs bestimmt, der Anteil der Peking-treuen Mitglieder erheblich aufgestockt werden.

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