"China verstehen": Yang Lian im Interview:"Nennt es nicht Kommunismus"

Das Regime entzog dem Dichter Yang Lian einst die Staatsbürgerschaft, nun beobachtet er aus dem Exil den Machtwechsel. Er hadert mit den Intellektuellen im Land und hofft, dass die neue Generation in der Führung das Land öffnet. Ein Anfang wäre für ihn ein Namenswechsel der Partei.

Johannes Kuhn

Chinas kommunistische Partei beschließt den Austausch ihrer Führungsriege. Die Zäsur kommt zu einem Zeitpunkt, an dem das Land sich geopolitisch längst auf Augenhöhe mit den USA befindet, gleichzeitig aber von vielen inneren Konflikten geprägt ist. In einer Reihe von Kurzinterviews spricht Süddeutsche.de mit Landeskennern über die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Lage in China.

Yang Lian

Exil-Autor Yang Lian: "In unserer Kultur klafft ein großes Loch." (Foto: Wirtschaftskolleg Berlin, oH)

(Foto: Angelika Leuchter)

Yang Lian, 57, begann mit dem Schreiben, als er in den Siebzigern während der Kulturrevolution aufs Land geschickt wurde, um an einem Umerziehungsprogramm teilzunehmen. Seine Gedichte brachten ihm in den Achtzigern Aufsehen und den Unmut des Regimes ein. Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens wurden seine Bücher auf eine Zensurliste gesetzt, er verlor seine Staatsbürgerschaft. Seitdem lebt er im Exil, derzeit in Berlin. Seine Werke wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt.

Süddeutsche.de: Was hat sich in den vergangenen Jahren in China verändert?

Yang Lian: Auf vier Ebenen hat sich sehr viel getan. Die Wirtschaft hat eine unglaubliche Wandlung durchgemacht, und mit dem Aufschwung entwickelte sich ein Bewusstsein im Volk, dass es auch Rechte besitzt. Die zweite Ebene betrifft die Populärkultur, die nun eine viel größere Rolle in China spielt - vor allem wegen des Internets, das ein entscheidender Grund für die Veränderungen ist. 300 Millionen Chinesen benutzen den Mikrobloggingdienst Weibo, Freunde von mir haben 200.000, zum Teil sogar zwei Millionen Freunde dort. Dort werden Meinungen geäußert, Informationen geteilt. Selbst die Regierungsbeamten sehen nach, was dort passiert. Das ist positiv.

Das hört sich nach Öffnung an.

Selbst als ich noch in China war, gingen die lokalen Beamten bereits sehr realistisch mit dem um, was passierte. Doch diejenigen, die mit dem Alltag nichts zu tun haben, gerade in Kultur- oder Propagandabehörden, waren und sind dogmatisch. Deshalb hinken die politischen Veränderungen den wirtschaftlichen hinterher. Gerade auf dieser dritten Ebene, der politischen, stellt sich immer mehr heraus, dass sich die Führung in einer Sackgasse befindet. Man hat keine Ahnung, wohin sich die Dinge entwickeln sollen und reagiert nur, wie im Fall des gestürzten Bo Xilai.

Fehlt noch die vierte Ebene.

Das ist die intellektuelle Ebene. Ich würde gerne mehr Individualismus, eigene Gedanken von den Intellektuellen im Land sehen. Das ist vielleicht am enttäuschendsten, dass die Intellektuellen, die Autoren, die Künstler sich weiterhin meist innerhalb des politisch Erlaubten bewegen. Sie legen sich Selbstzensur auf, weil sie auf ihren kommerziellen Wert achten. In unserer Kultur klafft dadurch ein großes Loch.

Welche Gefühle empfinden Sie, wenn Sie von außen auf das Land blicken?

Es ist psychologisch sehr komplex, als Chinese im Ausland zu leben. Ich hoffe auf Veränderungen, ich hoffe, dass sie schneller als bisher geschehen. Gleichzeitig haben wir natürlich Angst, dass sich die Dinge so unmittelbar ändern, dass Chaos ausbricht - oder dass die Führung sich entscheidet, wieder in eine andere Richtung zu gehen. Für mich persönlich ist wichtig, ob die neue Regierung die Ereignisse auf dem Tian'anmen-Platz neu bewertet. Es gibt immer wieder Gerüchte, aber dies wäre ein Zeichen, dass wirklich ein Wandel stattfindet.

Setzen Sie Hoffnungen in die neue Führung oder haben Sie eher Befürchtungen?

Ich habe größere Hoffnung in diese Führungsriege als bei denen vergangener Generationen. Die Politiker im Alter von Xi Jinping haben eine weniger direkte Verbindung zur Kulturrevolution oder dem, was 1989 passiert ist. Auf der anderen Seite gibt es politische Strukturen, in denen sie sich als Führer nun bewegen und von denen sie profitieren. Sie könnten sauberer handeln als ihre Vorgänger oder genauso dreckig. Womöglich geht es ihnen am Ende nur um die Stabilität der Parteistruktur. Dann habe ich keine Hoffnung auf Veränderungen.

Was sollte die neue Führung zuerst angehen?

Ich bin nicht in der Position, Ratschläge zu erteilen. Aber ich würde als Allererstes den Namen "Kommunistische Partei" ändern. Nennt es nicht Kommunismus, denn das Wort hat überhaupt keine Bedeutung mehr. Es zeigt nur den Zynismus der chinesischen Kultur heute: Die Wörter entsprechen nicht mehr dem, was sie eigentlich bedeuten. Was China Kommunismus nennt, enthält auch die schlimmste Form des Kapitalismus. Wenn die Menschen im Netz über Politik sprechen, müssen sie meist Codeworte verwenden. Der Begriff "Kommunismus" schränkt nicht nur die Führung bei ihren Entscheidungen für die Zukunft ein, sondern erlaubt auch dem Westen, China in eine Schublade zu stecken.

Welchen Begriff würden Sie als Alternative vorschlagen?

Mápó dòufu (lacht). Das ist ein leckeres Gericht aus der Provinz Sichuan. Es schmeckt ziemlich scharf.

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