China und die Frankfurter Buchmesse:Schwieriger Gast

Höflichkeit für Diktatoren? Vor der Frankfurter Buchmesse werfen Chinas Fürsprecher Kritikern Selbstgefälligkeit und mangelnde Sensibilität gegenüber dem Land vor.

Alex Rühle

Die Frankfurter Buchmesse rückt näher, der Diskussionston wird schärfer: Soeben griff Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, in der Welt die deutschen Chinakritiker an: Selbstgefällig seien sie, "aufgeplusterte Demokratie-Oberlehrer". Kurz zuvor hatte Wiebke Becker in der FAS den Chinakritikern attestiert, ihr Reden sei anmaßend und unsensibel, wer China als Gast empfange, müsse die Volksrepublik auch wie einen Gast behandeln - höflich und zuvorkommend.

Es stimmt sicher, dass oft einseitig über China berichtet wird. Aus Texten über den Wirtschaftsboom spricht oft die nackte Angst, vom Moloch China überholt zu werden; und es gibt aus einem Land mit mehr als einer Milliarde Menschen mehr zu berichten als Umweltsünden oder Menschenrechtsverletzungen. Aber aktuell geht es um die Buchmesse. Und damit um Bücher. Bücher, die in China weiterhin von der Gapp-Behörde kontrolliert und zensiert werden; geschrieben von Autoren, die eingesperrt oder an der Ausreise gehindert werden. Und es geht auch darum, die Spielregeln dieser Messe zu verteidigen, wenn deren Leiter Jürgen Boos diese zuweilen vergisst. Die Buchmesse muss auch mit einem solch komplizierten Gast wie China Forum eines offenen Dialogs bleiben können.

Becker und Roth machen die China-Kritiker zu Pedanten: Roth spricht von "Krämerseelen", denen Kritik an China schon deshalb nicht zustünde, weil die chinesische Zivilisation um so vieles älter sei als die unsrige. Das klingt so, als würde man naseweis gegen Laotses Sprüche polemisieren oder den ästhetischen Wert alter Keramiken in Frage stellen.

Die Menschenrechtsverletzungen und die Unterdrückung der Meinungsvielfalt sind aber nicht Ausdruck einer 5000 Jahre alten Kultur sondern politische Instrumente eines Regimes, das am 1. Oktober mit einer gewaltigen Militärparade gerade mal seinen 60. Geburtstag feierte.

Abweichende Diskussionskultur

Becker zeichnet die westlichen Kritiker als rüpelhafte Grobmotoriker, wo doch die Chinesen "im Begriff der Harmonie einen angemessenen Umgang des Miteinanders gefunden haben. Man übt Kritik lieber subtil statt geradewegs heraus." Das sollte man dringend mal all den drangsalierten Regimegegnern erklären, Ai Weiwei mit seiner Kopfverletzung, Liu Xiaobo, dem PEN-Präsidenten, der seit zehn Monaten inhaftiert ist: Sorget euch nicht, das sind nur Zeichen eines harmonisch-subtilen Miteinander.

Becker schreibt weiter, ein Dialog in Zeiten der Globalisierung müsse "auf den Partner eingehen und die abweichende Diskussionskultur respektieren." Das ist deshalb so grotesk, weil momentan nur genau das gefordert wird: dass abweichende Stimmen gehört werden. Die scharfe Berichterstattung zum Buchmessensymposium entzündete sich ja gerade an der Tatsache, dass die offizielle Delegation und die Buchmesse selbst zwei Dissidenten ausladen und damit mundtot machen wollten.

Das Lieblingsargument der China-Apologeten aber ist der von Becker wie von Roth vorgebrachte Satz, China habe das Recht auf eigene Entwicklung, es sei noch nicht reif für die Demokratie. Das Argument kann man dadurch entkräften, dass man chinesische Dissidenten dazu befragt. Ai Weiwei wird geradezu zornig, wenn er es hört: "Wir haben nur ein Leben. Warum sollen wir uns gedulden? Was ist so schlimm an der Wahrheit? Was spricht gegen Demokratie?" Und einer der zentralen Sätze der Charta 08, des Manifestes, das zu Demokratisierung aufruft, lautet: "Das gegenwärtige System ist in solchem Maße rückständig geworden, dass Wandel unvermeidlich ist." Die Charta haben mittlerweile über 5000 chinesische Intellektuelle und Bürgerrechtler unterzeichnet.

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