China und Osteuropa:Das Verstummen des Wolfskriegers

China und Osteuropa: Diplomat mit Aggressionspotenzial: Lu Shaye, Chinas Botschafter in Frankreich (Mitte).

Diplomat mit Aggressionspotenzial: Lu Shaye, Chinas Botschafter in Frankreich (Mitte).

(Foto: Gao Jing/IMAGO)

Wie Chinas Botschafter in Paris die Souveränität früherer Sowjetrepubliken in Frage stellte, damit einen Proteststurm in Europa auslöst und von Peking zurückgepfiffen wird. Die Geschichte eines diplomatischen Unfalls.

Von Lea Sahay und Kai Strittmatter

Pekings Botschafter in Frankreich, Lu Shaye, ist bekannt dafür, bisweilen maximal undiplomatisch auszuteilen. Damit erwarb er sich einen Ruf als beispielhafter Vertreter der rhetorisch aggressiven sogenannten "Wolfskrieger"-Diplomatie Chinas. Lu Shayes Interview mit einem französischen TV-Sender, in dem Lu die Souveränität der ehemaligen sowjetischen und heute unabhängigen Staaten Osteuropas in Frage zu stellen schien, war allerdings ein gewaltiger diplomatischer Unfall. In Peking ging es am Montag um Schadensbegrenzung.

Eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums stellte am Montag klar, dass China den Status der heute souveränen Länder respektiere. Pekings Position habe sich nicht verändert. China sei eines der ersten Länder gewesen, die nach Auflösung der Sowjetunion diplomatische Beziehungen zu diesen Ländern aufgenommen hätten, betonte die Sprecherin. Die chinesische Position sei "klar und beständig", man sehe sich der "Achtung der Souveränität und territorialen Integrität aller Länder" verpflichtet.

In dem TV-Interview hatte Botschafter Lu Shaye gesagt, völkerrechtlich hätten "diese Länder der ehemaligen Sowjetunion keinen effektiven Status, weil es kein internationales Abkommen gibt, um ihren Status als souveränes Land zu konkretisieren". Chinesische Nutzer teilten Screenshots des Interviews in dem sozialen Netzwerk Weibo. Viele äußerten Unterstützung.

"Wir waren nie sowjetisch"

In Europa hingegen hatten Lus Äußerungen eine Welle des Protestes ausgelöst. Am lautesten war der Unmut in der Ukraine und in den baltischen Staaten. Die Außenminister von Lettland und Litauen, Edgars Rinkēvičs und Gabrielius Landsbergis, setzten gleichzeitig Posts auf Twitter ab, in denen sie an die Existenz ihrer Länder als souveräne Staaten vor 1940 und an die gewaltsame Besatzung durch die Sowjettruppen erinnerten: "Wir sind nicht postsowjetisch", schrieb Landsbergis: "Wir waren nie sowjetisch."

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte die Worte des Botschafters schon am Sonntag "inakzeptabel" genannt. Am Rande des Treffens der EU-Außenminister am Montag in Luxemburg dann sagte Litauens Außenminister Landsbergis, die Worte Lus erinnerten ihn an die russische Propaganda über die Ukraine: "Sie stellen die Souveränität der Länder, das Territorium, die Grenzen in Frage. Das sind die Geschichten, die wir aus Moskau hören - und jetzt werden sie von einem anderen Land verbreitet, das in unseren Augen in vielerlei Hinsicht ein Verbündeter Moskaus ist, wenn nicht militärisch, dann politisch." Das Nachrichtenportal 15min.lt sprach von einem "Interview, das China die Maske vom Gesicht gerissen" habe.

Das Misstrauen vor allem der Balten und Osteuropäer war auch nach der Klarstellung durch das Außenministerium in Peking nicht völlig verschwunden. Das liegt auch daran, dass dort Chinas Rückendeckung für das Regime von Wladimir Putin besonders kritisch gesehen wird. Seit Beginn des Krieges hat Chinas Führung den Angriff Russlands nie verurteilt, bei Erklärungen vermeiden Vertreter das Wort Krieg, sprechen häufig nur von der "Ukraine-Frage".

Schuld sind die Medien

Am Montag fügte die Sprecherin Pekings auf Nachfrage hinzu, dass China auch die Ukraine als souveränen Staat betrachte. Schuld für die Kontroverse sah sie allerdings nicht bei ihrem Botschafter in Paris, sondern bei "einigen Medien". Diese würden die Haltung Chinas zur Ukraine verdrehen und Streit in den Beziehungen zu den betreffenden Ländern anzetteln. Jeder Versuch, Zwietracht zu säen, sei von Hintergedanken getrieben und vergeblich, sagte die Sprecherin.

Zwietracht hatte es in den vergangenen Jahren von Lus Amtszeit in Paris schon genug gegeben. Regelmäßig hatte er gegen chinakritische Journalisten und Forscher polemisiert. Nachdem etwa der französische China-Experte Antoine Bondaz 2021 den Botschafter für seine Einmischung ins demokratische System Frankreichs kritisiert hatte, schimpfte die chinesische Botschaft den Wissenschaftler einen "kleinen Strolch" und eine "verrückte Hyäne". Der chinesische "Wolfskrieger" bringe "mit seinem Gejaule Paris zur Verzweiflung" schrieb die Zeitung Le Figaro schon damals.

Lu Shaye selbst verteidigte seinen aggressiven Stil im selben Jahr in einem Interview mit der chinesischen Plattform Guancha. "Wir bewerten unsere Arbeit nicht danach, wie das Ausland uns sieht", sagte Lu, "sondern wie wir zu Hause gesehen werden." Eine ungewöhnliche Einstellung für einen Diplomaten. Seine Botschaft an die Europäer damals: "Wir haben den Stil unserer Diplomatie geändert, und sie werden sich an unseren neuen Stil anpassen müssen." Erstmals allerdings sieht es nun so aus, als hätten seine Chefs in Peking Lu Shaye etwas Anpassung diktiert: Eine Abschrift seines Interviews auf Französisch und Chinesisch, den die Botschaft in Paris auf ihrem Wechat-Kanal veröffentlicht hatte, war am Montag verschwunden. Dafür stand auf der Webseite der Botschaft eine Erklärung, in der es hieß, die Äußerungen des Botschafters "waren keine politische Aussage, sondern ein Ausdruck persönlicher Ansichten während einer Fernsehdebatte".

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