China: Tote bei Uiguren-Protesten:Die zwei Seiten der Wahrheit

Mindestens 150 Tote, mehr als 800 Verletzte, die blutigsten Unruhen seit vielen Jahren: Chinas Propaganda-Maschine versucht die Schuld an den Gewaltexzessen Exil-Uiguren zuzuschieben. Doch Augenzeugen haben eine andere Erklärung.

Henrik Bork, Peking

Es waren bürgerkriegsartige Szenen, die sich am Sonntagabend in Urumqi abspielten. Ein ganzes Viertel dieser Provinzstadt von Xinjiang im Westen Chinas, Heimat der muslimischen Uiguren-Minderheit, explodierte in einer Orgie der Gewalt.

China: Tote bei Uiguren-Protesten: Fernsehbilder des staatlichen chinesischen Fernsehens zeigen, wie Demonstranten und Polizei in Urumqi aufeinanderprallen.

Fernsehbilder des staatlichen chinesischen Fernsehens zeigen, wie Demonstranten und Polizei in Urumqi aufeinanderprallen.

(Foto: Foto: Reuters)

Chinas Staatsfernsehen zeigte davon bewusst nur einen ausgewählten Teil. Aufgebrachte uigurische Demonstranten warfen Steine und stürzten Polizeiwagen um. Schwer bewaffnete Sicherheitskräfte mit gepanzerten Fahrzeugen bahnten sich ihren Weg durch Straßen voller brennender Autos.

Mindestens 150 Menschen seien bei den Unruhen ums Leben gekommen, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Und wenigstens 828 Menschen seien verletzt worden. Damit waren dies die blutigsten Unruhen, die es seit vielen Jahren in Xinjiang gegeben hat.

Auf den Straßen wurden 57 Leichen geborgen. Bei den anderen Opfern sei der Tod in einem der Krankenhäuser der Stadt festgestellt worden, zitierte Xinhua den Polizeichef der Region, Liu Yaohua. Es werde damit gerechnet, dass die Zahl der Todesopfer noch steigen werde.

Die "Aufrührer" hätten 261 Fahrzeuge angezündet, darunter 190 Busse, zehn Taxis und zwei Polizeiwagen. Der staatliche Fernsehsender CNN zeigte Bilder von blutenden, sichtlich verschreckten han-chinesischen Frauen. Der uigurische Mob, so die Stoßrichtung der kommunistisch kontrollierten Medien, sei über wehrlose han-chinesische Zivilisten hergefallen. In der Nacht zum Montag aber hätten Chinas Sicherheitskräfte die Lage dann wieder unter Kontrolle bringen können.

Ähnlich wie bei den Unruhen in Tibet im vergangenen Jahr beschuldigte die Regierung auch diesmal sofort wieder ausländische Feinde ihres Regimes, die Unruhen von langer Hand vorbereitet und mittels gezielter Aufhetzung der Bevölkerung umgesetzt zu haben.

"Erklärung der Regierung"

"Nach Aussagen der Regionalregierung haben erste Untersuchungen gezeigt, dass die Drahtzieher vom seperatistischen Uigurischen Weltkongress, angeführt von Rebiya Kadeer, die Gewalt angezettelt haben", schreibt die Nachrichtenagentur Xinhua. Es handele sich um ein "vorgeplantes, organisiertes, gewalttätiges Verbrechen", das vom Ausland aus dirigiert und von Gesetzlosen innerhalb des Landes ausgeführt worden sei, zitiert Xinhua eine "Erklärung der Regierung".

In ersten Berichten aus der Region, die sich auf die Aussagen von Augenzeugen berufen, ist jedoch von einem ganz anderen Auslöser der Unruhen die Rede. Zwei Uiguren seien am 26. Juni in einer Spielzeugfabrik in der südchinesischen Provinz Guangdong von einem chinesischen Mob erschlagen worden, hatten chinesische und ausländische Medien berichtet.

Dieser Vorfall sei in den Kreisen der Uiguren in Urumqi in den vergangenen Wochen und Tagen heftig diskutiert worden, berichten nun die Augenzeugen. Die Menschen seien auf die Straße gegangen, um eine Aufklärung dieses Falls zu fordern.

Chinesische Staatsmedien, darunter auch Xinhua, hatten tatsächlich über den Tod zweier Uiguren in der Spielzeugfabrik "Xu Ri" in Shaoguan in der Provinz Guangdong berichtet. Ein chinesischer Arbeiter, wütend über den Verlust seines Arbeitsplatzes, soll Gerüchte in die Welt gesetzt haben, mehrere Uiguren hätten Chinesinnen vergewaltigt.

"Schlagt ihn tot, schlagt ihn tot"

Daraufhin gingen aufgebrachte chinesische Männer mit Knüppeln und Eisenstangen auf eine Gruppe uigurischer Wanderarbeiter los. Auf YouTube ist ein Video zu sehen, das kürzlich im chinesischen Internet veröffentlicht, dann jedoch von der Zensur wieder aus dem Netz genommen worden war. Dort sind grausame Szenen zu verfolgen, wie eine Übermacht wutschäumender Männer auf wehrlos am Boden liegende Menschen einprügelt, bis sie sich nicht mehr bewegen.

"Schlagt ihn tot, schlagt ihn tot", ist auf Chinesisch im Hintergrund zu hören. "Einer läuft weg", sagt eine Stimme. Dann ist zu sehen, wie ein in Panik fliehender Mann in einem roten Hemd niedergeschlagen und bewusstlos geprügelt wird.

In den chinesischen Fernsehberichten vom Montag über die Unruhen im Nordwesten des Landes sind allerdings wieder ausschließlich Szenen von Gewalt gegen Han-Chinesen zu sehen. Wie viele Uiguren unter den Opfern sind, war am Montag nicht zu erfahren. Ähnlich wie bei den Protesten der Tibeter im vergangenen Jahr versucht Chinas Staatspropaganda, die Täter als Angehörige der Minderheit, die Opfer als han-chinesisch darzustellen.

In Tibet waren nach Angaben von Augenzeugen und Exil-Tibetern jedoch nicht nur einzelne Han-Chinesen von Tibetern ermordet, sondern auch mehr als 100 Tibeter von den chinesischen Sicherheitskräften erschossen worden. Peking hat dies nie zugegeben. Auch bei den neuen Unruhen in Xinjiang wird es schwer werden, die Wahrheit herauszubekommen, da die staatlich gelenkten Medien ihre Version überall durchzusetzen versuchen.

Auffällig war am Montag der Versuch der chinesischen Führung, die ausländische Berichterstattung über die Unruhen in Xinjiang von Anfang an zu steuern. Ausländische Reporter seien in Urumqi willkommen, sollten sich dort jedoch "registrieren" lassen, hieß es. Inwieweit das eine unbefangene Recherche ermöglicht, ist noch nicht abzusehen.

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