Die chinesische Regierung hat ihre Bürger dazu aufgerufen, „eingefleischte Separatisten“ aus Taiwan und ihre Straftaten zu melden. Das heißt Taiwaner, die angeblich die Unabhängigkeit der Insel von China fordern. Den Aufruf veröffentlichten das Büro für Taiwan-Angelegenheiten, das zum Staatsrat gehört, und das Ministerium für Öffentliche Sicherheit im August auf ihren Websites. Ziel ist laut China Daily die „rechtmäßige Bestrafung“ von Separatisten für ihre „schweren Straftaten“.
Auf der Seite hat Peking bereits eine Liste von zehn amtierenden und ehemaligen Regierungsvertretern online gestellt, die es als „eingefleischte Separatisten“ bezeichnet. Darunter Hsiao Bi-khim, die Vize-Präsidentin Taiwans, die bis zur Wahl noch als Gesandte des Landes in den USA stationiert war, sowie der frühere Außenminister Joseph Wu, der inzwischen Taiwans Sicherheitsrat vorsitzt.
Das Pekinger Büro für Taiwan-Angelegenheiten hat eine Mailadresse eingerichtet, an die Bürger Hinweise schicken können. Auf der neu eingerichteten Seite stehen auch Pressemitteilungen über andere Fälle, in denen Chinas Regierung Firmen und Organisationen den Vorwurf macht, die Unabhängigkeit Taiwans zu unterstützen. Dazu ist dort das chinesische Anti-Sezessionsgesetz aus dem Jahr 2005 publiziert. Dieses soll dem Land erlauben, militärisch einzugreifen, falls Taiwan sich „abspaltet“ oder, wie es in dem Gesetz heißt, „alle Möglichkeiten, eine friedliche Wiedervereinigung zu erreichen, ausgeschöpft sind“.
Die Liste dürfte der Einschüchterung dienen
Die Kommunistische Partei erhebt Ansprüche auf die Inselrepublik vor seiner Küste, die seit dem chinesischen Bürgerkrieg 1949 vom Festland politisch getrennt ist, und betrachtet Taiwan als eine Provinz der Volksrepublik. Weil die meisten der 24 Millionen Taiwaner heute eine Vereinigung mit dem kommunistischen Staat ablehnen, erhöht Peking seit einigen Jahren den Druck. Regelmäßig dringen chinesische Kriegsschiffe in taiwanische Gewässer ein, Kampfflugzeuge umkreisen die Insel. Mit Wirtschaftssanktionen und der diplomatischen Isolation will das Regime die Taiwaner zur Aufgabe zwingen. Die Wahl des neuen Präsidenten Lai Ching-te im Januar, den Peking ebenfalls als Sezessionisten bezeichnet, hat eine neue Welle der Repression ausgelöst.
In Taiwan gibt es drei große Parteien. Während sich die prochinesischen Parteien – die Kuomintang und die Taiwanische Volkspartei – für engere Beziehungen mit Peking einsetzen, wirbt die Demokratische Fortschrittspartei für mehr Unabhängigkeit. Für eine formelle Unabhängigkeitserklärung, wie Peking behauptet, wirbt aber auch die Regierungspartei nicht. Im Gegenteil, die meisten Taiwaner wollen am Status quo nicht rütteln, um Peking nicht zu provozieren. Im Wahlkampf erklärte Präsident Lai Ching-te, Taiwan sei bereits eine souveräne und unabhängige Nation, deshalb müsse das Land seine Unabhängigkeit offiziell gar nicht erklären. Taiwan ist faktisch politisch unabhängig, es hat ein eigenes Rechtssystem, eine eigene Währung und freie Wahlen.
Auch wenn die chinesische Staatszeitung Global Times als Reaktion auf den Aufruf zur Meldung angeblicher Separatisten erklärte, die Maßnahme würde sich nicht gegen die Mehrheit von „Landsleuten“ in Taiwan richten, dürfte sie durchaus als Einschüchterung gedacht sein. Erst im Juni erließ Peking neue Regeln, die Chinas Gerichten und Sicherheitsorganen ermöglicht, Menschen, denen sie Abspaltungsversuche vorwirft, auch in ihrer Abwesenheit vor ein Gericht in der Volksrepublik zu stellen.
Eine chinesische Regierungssprecherin sprach damals von einem „scharfen juristischen Schwert“. Die Höchststrafe für Verurteilte ist laut der Nachrichtenagentur Xinhua die Todesstrafe. Taiwans Regierung reagierte damals empört. Das Büro, das in Taiwan die Beziehungen zur Volksrepublik regelt, stellte klar, dass Peking keine Rechtshoheit über Taiwan besitze und ihre Gesetze keine bindende Kraft für Taiwaner haben.