China und Taiwan:Der Afghanistan-Effekt

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Chinesische Soldaten bei einer Parade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik im Jahr 2019. (Foto: Naochiko Hatta/AP)

Peking nutzt den desaströsen Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan, um Taipeh weiter zu verunsichern. Kann sich die Insel noch auf die USA verlassen?

Von Lea Sahay, Peking

Washington als Verbrecher gegen die Menschenrechte, als herzloser Besatzer, Chaosstifter und Pinocchio mit langer Nase: Genüsslich berichten die chinesischen Staatsmedien in diesen Tagen über den katastrophalen Abzug der US- und Nato-Truppen aus Afghanistan. Gerne auch mit hämischen Karikaturen. Als klar wurde, wie ernst die Lage in Kabul ist, veröffentlichte die ultra-nationale Global Times noch eine weitere Zeichnung. Darauf die taiwanische Präsidentin Tsai Ing-wen, die von einem Weißkopfseeadler, Wappentier der USA, die Richtung gewiesen bekommt. Die Präsidentin läuft, ohne es zu bemerken, auf ein tiefes Loch zu.

Der Abzug, so heißt es in dem Kommentar zur Karikatur, habe in Asien viele schockiert. Doch am stärksten sei Taiwan vom Schutz Washingtons abhängig, dementsprechend groß sei nun angeblich die Angst in Taipeh. Schnell griffen auch andere chinesische Medien diese These auf. Afghanistan sei der letzte Beleg für das Ende des amerikanischen Führungsanspruchs in der Welt. Verbündete und Partner wie Taiwan werden sich zukünftig nicht mehr auf das Land verlassen können, so die einhellige Meinung der Kommentatoren. "Ob das ein Omen für Taiwan ist?", fragte die Global Times.

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Wenige Tage später hielt die chinesische Volksarmee Militärübungen in unmittelbarer Nähe zu Taiwan hab. Als Antwort auf externe Einmischung und Provokationen durch Unabhängigkeitskräfte, erklärte die Armee. Ein Portal der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua verkündete, Peking erhöhe weiter seine Kampfbereitschaft. In den vergangenen drei Monaten hätten die Streitkräfte knapp 40 Übungen in der Region durchgeführt - auch um ausländische Streitkräfte abzuschrecken.

Die Lage in Afghanistan und die Verpflichtungen gegenüber Taiwan sind, und das dürften chinesische Kommentatoren im besten Fall selbst wissen, kaum miteinander zu vergleichen, die meisten vermeintlichen Analogien wirken hanebüchen. Die USA und Taiwan pflegen seit dem Bürgerkrieg enge Beziehungen, die im Taiwan Relations Act von 1979 geregelt sind. Die Unterstützung der Insel ist in Washington parteiübergreifend unumstritten. In den vergangenen Jahren haben die USA diese weiter verstärkt. Dennoch ist die Bedrohung für den kleinen Inselstaat 160 Kilometer vor der Küste Chinas heute größer denn je. Und das hat auch mit Afghanistan zu tun.

Unter Xi Jinping hat sich der Ton geändert

Taiwan und China sind seit Ende des chinesischen Bürgerkriegs voneinander getrennt. 1949 setzten sich die Kommunisten gegen die rivalisierenden Nationalisten durch und riefen auf dem Festland die Volksrepublik China aus. Die unterlegenen Gegner flohen nach Taiwan und bildeten dort eine eigene Regierung. In den vergangenen mehr als 70 Jahren waren die Beziehungen immer wieder von Krisen und Konflikten geprägt, eine direkte kriegerische Konfrontation hat es aber nie gegeben. Eine militärische Einnahme der Insel war die längste Zeit eher Fantasie als konkretes Szenario. Das ändert sich.

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Bis vor einigen Jahren propagierte Peking noch eine friedliche Wiedervereinigung, als ein mögliches Vorbild sollte die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong dienen. Beide Staaten pflegten verhältnismäßig gute Beziehungen, der wirtschaftliche Austausch war eng. Doch unter Staats- und Parteichef Xi Jinping hat sich der Ton geändert.

Chinas Präsident Xi Jinping hat ein klares Ziel ausgegeben: 2017 sagte er, die Wiedervereinigung sei eine "unumstößliche Voraussetzung", um den Wiederaufstieg des Landes zu einer Weltmacht zu vollenden. Zwei Jahre später drohte er Taiwan offen. Die Lage dürfte nicht von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Eine Wiedervereinigung müsse her, mit "allen erforderlichen Mitteln". Auch wenn manche Beobachter darauf verweisen, dass Xi nie einen genauen Zeitpunkt genannt hat - er wirkt ungeduldiger als seine Vorgänger.

Die Folgen sind für die Taiwaner jeden Tag spürbar. Permanent dringen chinesische Kampfflieger in den taiwanischen Luftraum ein. Begleitet werden die militärischen Drohgebärden von Cyberattacken, Desinformationskampagnen und Wahleinmischung, wie sie die Demokratie nie zuvor erlebt hat. Die Nachrichtenagentur Reuters dokumentierte im Februar, wie Armeen von Baggerschiffen Stück für Stück den Sand um die taiwanischen Matsu-Inseln abtragen. Aus der Umarmungstaktik ist der Versuch geworden, die Taiwaner mit allen Mitteln zu erschöpfen. Längst sprechen Experten von einem Konflikt an der Grenze zu einem Krieg.

Die Machtverhältnisse haben sich verschoben

Dazu hat Peking seine Bemühungen verstärkt, das Land diplomatisch zu isolieren. In den letzten 25 Jahren hat China mehr als ein Dutzend Länder dazu gebracht, ihre offiziellen Beziehungen zu Taipeh zu kappen. Übrig sind nur noch 15 Staaten, die Taiwan anerkennen. Auch die Bundesrepublik riskiert ihre Geschäftsbeziehungen zu Peking nicht, um die Demokratie zu unterstützen. In der Pandemie bedeutete das, dass Taiwan trotz der großen Not nicht an den Mitgliederversammlungen der Weltgesundheitsorganisation teilnehmen kann - nicht einmal als Beisitzer.

Mit dem Rückzug der Amerikaner aus Afghanistan hat das alles wenig zu tun. Pekings Reaktion zeigt jedoch eine Gefahr. Lange Zeit dürfte niemand in Chinas Hauptstadt ernsthaft erwartet haben, einen militärischen Konflikt mit Taiwan zu gewinnen. Doch die Machtverhältnisse in der Region haben sich verschoben. Viele chinesische Kommentatoren scheinen in diesen Tagen davon überzeugt zu sein, dass ein Eingreifen der USA keinesfalls mehr sicher erscheint. Bisher waren die Drohungen gegen Taiwan ein billiges Instrument, die Bevölkerung hinter sich zu versammeln. Die größte Gefahr für den Frieden in der Region dürfte sein, dass Peking anfängt, seinen eigenen Worten zu glauben.

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