Volkskongress:Chinas Regierung säubert in allen Nischen

The 12th National People's Congress (NPC)

Einheitlich: Hostessen posieren vor der Großen Halle des Volkes, in der der Nationale Volkskongress stattfindet.

(Foto: dpa)
  • Der Nationale Volkskongress in China, der als Scheinparlament die Pläne der Regierung abnickt, beginnt in einem Klima gesellschaftlicher Repression.
  • Parteichef Xi Jinping ist dabei, viele der mühsam errungenen gesellschaftlichen Spielräume zu beseitigen und strengere Regeln zu erlassen, etwa zu dem, was in Fernsehserien gezeigt werden darf.
  • Ein Kampagne gegen westliche Werte innerhalb der Partei deutet darauf hin, dass es ihr an Einigkeit fehlt.

Von Kai Strittmatter, Peking

Reform und Öffnung, das war einmal. Deng Xiaopings Slogan gilt so nicht mehr. Drei Jahrzehnte gab die Öffnungspolitik China die Richtung vor, sie schuf nach dem Chaos der Mao-Herrschaft ein China, das die Welt zu sich einlud und sich von Jahr zu Jahr mehr mit ihr vernetzte. Jetzt, nach mehr als drei Jahren Führung durch Xi Jinping, ist der Trend ein anderer: China macht dicht. Politisch. Gesellschaftlich. Ideologisch.

Am Samstag kommt in Peking der Nationale Volkskongress zusammen, Chinas Scheinparlament. Einmal im Jahr tut sich da ein Fenster auf, man erhascht einen Blick darauf, welche Wirtschaftspolitik die KP dem Lande zugedacht hat, wie es seine Armee ausstatten möchte, welche neuen Initiativen sie plant, etwa gegen den Smog oder gegen die explodierende soziale Ungleichheit. Debattiert wird kaum, das Parlament nickt ab. Das ist nichts Neues, Chinas Parlamentarier tanzten schon immer nach der Pfeife der Partei. Neu in Xi Jinpings China ist, dass die Führung offenbar auch im Rest der Gesellschaft nur mehr Jasager dulden möchte.

Ein Café am Pekinger Glockenturm. Am Tisch Dozenten Pekinger Hochschulen. "Die Furcht ist zurückgekehrt", sagt einer, der für die Tsinghua-Universität arbeitet, Pekings Eliteadresse. "Alle ducken sich weg. Keiner sagt mehr, was er denkt." Die anderen nicken. Einer, Dozent an einer Lehrerweiterbildungsanstalt, beschreibt das bedrückende Klima an seiner Schule, seit der Bildungsminister im vorletzten Jahr gelobte, die "westlichen Werte" zu vertreiben. Er erzählt von einer Rede des Direktors vor ein paar Wochen: "Er mahnte uns: 'Passt genau auf, was ihr sagt, und zwar zu jedem Zeitpunkt. Wir leben in einem Hightech-Zeitalter. Wir hören und sehen alles.'" Die Runde lacht kurz auf, wissend und erschrocken.

Der Parteichef verteilt Mao-Texte über Führungsstil

Die Repression wächst. Die Spielräume, die sich Chinas Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten mühsam errungen hatte - Xi Jinping lässt sie systematisch beseitigen. Nach seinem Machtantritt Ende 2012 hatte sich Parteichef Xi zuerst die Blogger vorgeknöpft. Dann die Rechtsanwälte. Die Feministinnen. Überhaupt die Zivilgesellschaft. Das Rezept war stets das gleiche: Einschüchterung, Festnahmen, erzwungene Geständnisse im Staatssender CCTV, der zum neuen Pranger geworden ist.

Allein die vergangenen zehn Tage boten ein erstaunliches Schauspiel der Macht. Zuerst waren die Journalisten dran. Xi Jinping besuchte Volkszeitung und CCTV und verkündete, sämtliche Redaktionen im Land hätten von nun an "den Familiennamen 'Partei' zu tragen". Die so geknebelte Presse jubelte hernach, endlich nehme die KP neben den "Gewehren" auch wieder die "Stifte" fest in die Hand, genau so, wie Mao Zedong es immer gefordert hatte.

Überhaupt Mao: Schon vor ein paar Monaten hatte Xi den Mitgliedern seiner Partei jede "unangemessene Diskussion" politischer Themen verboten - nun ging er noch einen Schritt weiter und ließ an alle Kader im Land zum Studium einen Text von Mao Zedong über den korrekten Führungsstil verteilen. Von Mao lernen, das hatte es seit Ende der Kulturrevolution 1976 nicht mehr gegeben.

Im Fernsehen verboten: Homosexualität, Rauchen, "ungewöhnliche" Kleidung

Die Partei belässt es nicht bei der großen politischen Linie. Sie widmet sich zunehmend wieder dem Mikromanagement; kein Eck, keine Nische soll ungesäubert und unkontrolliert bleiben. In dieser Woche etwa verkündeten die Zensurbehörden neue Regeln für Chinas Fernsehen. In Zukunft also dürfen diese Dinge in Fernsehserien nicht mehr auftauchen: außereheliche Affären, Liebe unter Jugendlichen, Homosexualität, allzu "ungewöhnliche" Kleidung, Aberglauben, Zauberei, Wiedergeburt und historische Szenen, welche "die Gefühle des chinesischen Volkes verletzen". Außerdem dürfen die Charaktere nicht mehr rauchen, trinken oder sich prügeln.

Von Journalisten und Kulturschaffenden verlangt Xi Jiping generell "positive Energie". Von der Art, wie sie die Sängerin Hu Xiaoming an den Tag legt vielleicht, die sich in ihrem Internethit den perfekten Ehemann so vorstellt wie Xi Dada, also "Onkel Xi": "Wenn du heiratest, dann heirate so einen wie Onkel Xi", trällert sie. "einen Mann wie ein Held, der nie nachgibt / der stets nach vorne drängt, egal wie sehr die Welt sich wandelt . . ."

Xis Ziel: die Zementierung der Herrschaft der Partei für die nächsten Jahrzehnte

Andere sehen Xi eher mit großen Schritten auf dem Weg zurück in die Vergangenheit. Sie deuten auf die von ihm betriebene moralische und ideologische Restauration, die mal Karl Marx und mal Konfuzius als Vorbild preist, und dabei derb nationalistische Züge trägt, aber auch auf den zunehmend bizarren Führerkult, vieles Dinge, die China seit Mao nicht mehr gesehen hat.

Xi ist kein Maoist; dessen Idealisierung des permanenten Chaos ist ihm fremd, dennoch bezieht sich Xi erstaunlich oft auf Mao, lobt dessen Verdienste, borgt sich von ihm Instrumente wie dessen "Massenlinie" und Selbstkritik-Sitzungen. Die Kritik an Maos Verbrechen hat er zum Tabu erklärt. Xis erklärtes Ziel ist die Rettung der Kommunistischen Partei, die Zementierung ihrer Herrschaft für die nächsten Jahrzehnte. Partei- und Staatsgründer Mao ist ihm dazu der Übervater, die große Identifikationsfigur. Auf den Reformer Deng Xiaoping hingegen bezieht er sich kaum.

Anders als seine Vorgänger Hu Jintao und Jiang Zemin verdankt Xi Jinping seine Macht nicht Deng Xiaoping - Xi wurde zum Herrscher erkoren von eben jener Parteiaristokratie, deren Angehöriger er selber ist: Xis Vater hatte mit Mao gemeinsam China erobert.

Die Führung startet eine innerparteiliche Indoktrinierungskampagne

Deng Xiaopings Erbe scheint ihm eher suspekt zu sein. "Deng hat ihm viele Probleme hinterlassen - und eines davon war die Öffnung Chinas zur Welt", glaubt der Historiker Roderick MacFarquhar aus Harvard. Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, universale Werte - alles Dinge, die in China seit den 1980ern nicht wenige Anhänger fanden. Auch in der KP. Vielsagend diese Woche ein Bericht der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua über eine innerparteiliche Indoktrinierungskampagne, welche die Parteiführung soeben losgetreten hat. "Ziel sind vor allem jene Parteimitglieder, die schwanken in ihrem Glauben an den Kommunismus chinesischer Prägung", hieß es im Bericht. "Außerdem all jene, die westliche Werte vertreten und die Parteiregeln verletzen". Von ihnen scheint es eine Menge zu geben.

Xi leitete erstaunlich geschickt eine Konzentration der Macht auf seine Person ein. Jüngster Streich der Propaganda war es, Xi zum "Kern" der Parteiführung zu erklären, der absolute Loyalität verlange, wohl endgültig der Abschied vom Modell der kollektiven Führung, das Deng nach Maos Exzessen eingeführt hatte.

Die Frage ist, wie viel der Politik Xis tatsächlich Ausdruck neuer Stärke ist. Als sich unlängst die "Freundschaftsvereinigung der Kinder Yan'ans" zu ihrer Jahresversammlung traf - ein Club der roten Prinzen, die sich aus Angst um ihre Partei treu um Xi Jinping scharen -, da warnte der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge die Gründerin Hu Muying vor einem "langen Krieg", welcher der Partei bevorstehe, und davor, dass schon "ein Funke einen Steppenbrand auslösen" könne. Das klingt nach großer Nervosität.

Die Furcht ist längst in die Reihen der KP eingesickert

Klar ist, dass die KP nicht bloß in der Gesellschaft an Vertrauen verloren hat, sondern dass es auch an der innerparteilichen Einigkeit hapert: Die Furcht ist längst in die Reihen der Partei eingesickert. Durch seine Antikorruptionskampagne - in Wirklichkeit mindestens so sehr eine Säuberung des Apparats von rivalisierenden Netzwerken - hat sich Xi viele Feinde gemacht.

Ein Indiz dafür ist der bemerkenswerte Schwenk, den die Zentrale Disziplinarkommission der Partei soeben vollzieht. In den vergangenen drei Jahren waren das die Korruptionsjäger Xi Jinpings, jetzt wollen sie die Gedankenpolizei sein: In Zukunft, kündigte die Kommission an, werde sie sich wieder mehr der Jagd nach ideologischen Abweichlern widmen. Jede Behörde, jede Parteizelle, jede Schule und Hochschule solle von ihren Inspektoren auf die "politische Disziplin" abgeklopft werden. "Wir haben herausgefunden, dass politische Disziplinlosigkeit weit mehr Schaden anrichtet als Korruption", sagte im Januar Luo Dongchuan, ein hoher Funktionär der Kommission. Kritiker Xis werden bald noch weniger zu lachen haben.

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