Rentenreform:Warum die Menschen in China länger arbeiten sollen

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Weil die Chinesen immer älter werden, wurden ihre Renten immer niedriger. Nun hat der Staat das Rentensystem erstmals reformiert. (Foto: Kristian Buus/mauritius images / Alamy Stock P)

Peking erhöht erstmals das Renteneintrittsalter – eine überfällige Reform, die Chinas alternde Gesellschaft entlasten soll. Doch die tiefe soziale Ungleichheit dürfte noch wachsen.

Von Lea Sahay, Peking

Die Reform ließ sich wohl nicht länger aufschieben: Als Reaktion auf die dramatische Bevölkerungsentwicklung hat China von diesem Jahr an eine Erhöhung des Renteneintrittsalters beschlossen. Im Vergleich zu anderen Ländern erscheinen die Bedingungen auf den ersten Blick immer noch paradiesisch. Für chinesische Männer soll die Rentenzeit nicht mehr mit 60 Jahren beginnen, sondern mit 63, eine schrittweise Erhöhung in den kommenden 15 Jahren. Für Frauen, die bisher je nach Berufsgruppe unterschiedliche Renteneintrittsalter hatten, steigt die Grenze entweder von 50 auf 55 Jahre oder von 55 auf 58 Jahre. Doch auch in China stießen die Reformpläne auf Widerstand.

Jahrelang zögerten die Regierenden die unpopuläre Entscheidung hinaus – niemand möchte länger arbeiten als ursprünglich vereinbart. Doch im vergangenen September stimmte der Volkskongress schließlich für die Reform: In den Staatsmedien wurde der Schritt mit einer „neuen Lage der demografischen Entwicklung“ begründet. Dabei ist diese nur ein Teil einer Vielzahl gesellschaftlicher Herausforderungen, denen sich Peking in den kommenden Jahren stellen muss.

Schon heute gibt es 300 Millionen Rentner in China

Die Rentenregelung geht noch auf die Mao-Zeit zurück, als die meisten Chinesen in bitterer Armut und ohne angemessene medizinische Versorgung lebten. Aufgrund der damals niedrigeren Lebenserwartung erreichte die Mehrheit das Rentenalter nicht. Inzwischen hat sich die Lebenserwartung jedoch nahezu verdoppelt – von durchschnittlich 44 auf etwa 79 Jahre – und bringt die öffentlichen Kassen damit erheblich unter Druck.

Experten prognostizieren, dass bis 2050 über 500 Millionen Chinesen älter als 60 Jahre sein werden. Schon heute beziehen etwa 300 Millionen Menschen eine Rente. Bereits 2019 warnten Experten, dass die Rentenkassen der Stadtbewohner bis 2035 erschöpft sein könnten, falls Peking keinen Kurswechsel einleitet.

Wobei sich das chinesische Rentensystem stark von dem in Deutschland unterscheidet: Da die Rente oft nicht ausreicht, sind die meisten Chinesen auf die finanzielle Unterstützung durch ihre Kinder angewiesen. Meist haben nur die Stadtbewohner und staatliche Bedienstete genug eingezahlt, um eine Rente zu bekommen, von der man einigermaßen gut leben kann.

Der monatliche Mindestsatz reicht für etwa sieben Nudelsuppen

Viele Bauern und Arbeiter, von denen es noch immer Hunderte Millionen gibt, sind praktisch nicht abgesichert, da sie oder ihre Arbeitgeber nie Beiträge in eine Rentenversicherung eingezahlt haben. Oft erhalten sie nichts oder nur einen Mindestsatz, der im März 2024 von etwa 13 auf 15 Euro monatlich erhöht wurde – gerade genug, um etwa eine Woche lang jeden Tag eine Nudelsuppe zu kaufen. Viele arbeiten deshalb, bis sie körperlich völlig erschöpft sind. Auf Reisen durchs Land sieht man Tausende dieser älteren Menschen auf Baustellen und Feldern, ausgemergelt und ausgelaugt.

Und während die Alten immer älter werden, entscheiden sich zunehmend mehr junge Chinesen gegen Kinder: Obwohl die drakonische Ein-Kind-Politik bereits vor fast zehn Jahren aufgehoben wurde und inzwischen bis zu drei Kinder erlaubt sind, bekommen chinesische Frauen im Schnitt nur rund 1,1 Kinder. In Deutschland liegt die Geburtenrate derzeit bei 1,35.

Damit gehört China neben Japan und Südkorea zu den Ländern mit den weltweit niedrigsten Geburtenraten. Im Jahr 2022 verzeichnete China erstmals einen offiziellen Bevölkerungsrückgang, und ein Jahr später wurde es von Indien als bevölkerungsreichste Nation der Welt abgelöst. Eine direkte Folge des Geburtenrückgangs: Laut offiziellen Zahlen mussten 2023 rund 14 800 Kindergärten schließen, manche werden gar zu Altenheimen umgebaut.

Fast nirgends ist es so teuer, ein Kind großzuziehen

Die Partei spricht in Bezug auf die junge Generation von den „Jugendlichen der vier Neins“, da sie weder ausgehen noch heiraten noch Kinder bekommen oder eine Wohnung kaufen. Dabei haben viele junge Leute gar keine Wahl: Seit Corona kämpft China mit großen Wirtschaftsproblemen, viele Uniabsolventen finden keine Anstellung und müssen sich mit prekären Jobs durchschlagen. Gleichzeitig gehört China nach Südkorea zu den teuersten Ländern weltweit, um ein Kind großzuziehen. Wohnungen in der Nähe guter Schulen kosten monatlich Tausende Euros. Eltern müssen zudem oft Nachhilfelehrer bezahlen, damit ihre Kinder im Unterricht mithalten können. Dazu kommen Gesundheitskosten, Kleidung und Ähnliches.

Die Regierung hat das Problem inzwischen erkannt. Ende Oktober 2023 forderte Staats- und Parteichef Xi Jinping, „die Perspektiven junger Menschen zu Heirat, Kinderkriegen und Familie“ zu stärken. Die Maßnahmen zur Geburtenförderung sollen von staatlichen Frauenverbänden umgesetzt werden. Diese prägten vor ein paar Jahren den Begriff von den „übrig gebliebenen“ Frauen, die im Alter von 30 Jahren noch unverheiratet sind. Im Oktober 2024 veröffentlichte Peking erneut Richtlinien für Lokalregierungen, um eine „geburtenfreundliche soziale Atmosphäre“ zu fördern. Beispielsweise durch eine bessere medizinische Absicherung, längere Elternzeit, steuerliche Vorteile oder gar Boni für jede Geburt.

Doch der Erfolg lässt bisher auf sich warten, während das Drängeln der Partei in seiner Vehemenz zunimmt. Einige Krankenhäuser sollen mittlerweile Vasektomien ablehnen, eine Methode für Männer zur dauerhaften Verhütung. Ärzte fürchten die Wut der Behörden, wenn sie dabei helfen, Geburten zu verhindern. Und Berichten zufolge sollen Lokalbeamte sogar bei Frauen angerufen und sich nach deren letzter Periode erkundigt haben. In einem Fall bot der Beamte der Frau dann an, sie erneut zu kontaktieren, wenn „der richtige Zeitpunkt“ gekommen sei, um ein Baby zu empfangen.

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