Null-Covid-Strategie:Des Volkes Zorn

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Der geschlossenen Huanan-Markt im Januar 2020. (Foto: HECTOR RETAMAL/AFP)

Es ist nicht das erste Mal, dass die Menschen in China gegen den Covid-Kurs der Führung aufbegehren. Was diesmal anders ist als bei früheren Protesten.

Von Kai Strittmatter, München

Chinas Bürger protestieren. Es ist nicht das erste Mal, dass ihre Covid-Politik der Kommunistischen Partei (KP) Chinas einen Ausbruch des Volkszorns beschert. Tatsächlich begann die Covid-Pandemie für Chinas Herrscher mit einem kollektiven Aufruhr: Anfang 2020 nämlich, als den Bürgern Chinas dämmerte, dass die Vertuschung und Verschleierung des neuen Virus durch die Behörden von Wuhan der Ausbreitung der Seuche erst Vorschub geleistet hatte. Dass also am Anfang der Pandemie ein kapitales Systemversagen der KP Chinas stand.

Auslöser des Aufruhrs damals war der Tod des Arztes Li Wenliang, der als einer der ersten vor dem neuen Virus gewarnt hatte und der daraufhin von den lokalen Behörden eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht wurde. Die KP hatte immer einen Deal mit dem Volk: Ihr fügt euch unserer Diktatur, und wir liefern euch dafür Wohlstand, Schutz und Sicherheit. Es ist Chinas ungeschriebener Gesellschaftsvertrag. Nun schien die Partei den Vertrag gebrochen zu haben. Für die KP war es der Horror: Einen solchen Ausbruch des Volkszornes hatte sie seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Allerdings fand der Protest Anfang 2020 komplett online statt - aus Angst vor dem Virus traute sich keiner auf die Straße. Der Hashtag "Wir wollen Redefreiheit" aber verbreitete sich millionenfach.

Die Zentralregierung reagierte auf Widerstand mit Zensur und Repression

Die Zentralregierung reagierte zuerst mit Zensur und Repression. Sie sperrte Videoblogger ein, die das Sterben in und vor den überfüllten Krankenhäusern gezeigt hatten. Dann aber verkündete sie einen "Volkskrieg" gegen das Virus - und verhängte Ende Januar 2020 den ersten von vielen Lockdowns: Innerhalb weniger Tage steckte sie 60 Millionen Bewohner der Provinz Hubei für 76 lange Tage in Quarantäne und verbot Hunderten Millionen Chinesen das Reisen.

Die Kraftanstrengung der Gesundheitsbehörden wurde nur übertroffen von der der Propagandabehörden, die dem Virus erst den "totalen Krieg" erklärten, um bald darauf den totalen Triumph zu verkünden. Eine Anstrengung, die erleichtert wurde durch die Bilder vom Corona-Durcheinander in Europa, vor allem aber vom Systemversagen der USA unter Donald Trump. Chinas Staatsfernsehen zeigte allabendlich Bilder von Chaos und Tod im Westen. Bald holte die KP auch den verstorbenen Whistleblower Li Wenliang in ihre Reihen, erklärte ihn posthum zum "Märtyrer". Und die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua schrieb, Chinas Corona-Politik zeige "lebhaft die Überlegenheit des chinesischen Systems".

Die Propaganda verfing - dem anfänglichen Versagen nämlich folgte ein zwar hart erkaufter, aber durchaus erstaunlicher Erfolg. Strikte Lockdown-Maßnahmen, durchgesetzt von den reaktivierten Graswurzelkadern der KP in jeder Nachbarschaft, gingen Hand in Hand mit bald allgegenwärtigen Massentests und digitaler Kontrolle durch eine Gesundheitsapp, die weit mehr ins Leben der Bürger eingreift als ähnliche Apps etwa in Europa. Das Ergebnis: Der 1,4 Milliarden-Einwohner-Staat China zählt offiziell bis heute nur wenig mehr als 5200 Tote. Und zwei ganze Jahre lang ermöglichte dieses Zero-Covid-System vielen Chinesen ein fast normales Leben innerhalb der Grenzen ihres nach außen hin abgeschotteten Landes: Die Chinesen konnten ausgehen, feiern und im eigenen Land reisen, während im Westen die Covid-Politik von Welle zu Welle stolperte und die Todeszahlen anschwollen.

Das alles änderte sich mit dem Aufkommen der Omikron-Variante, im Krankheitsverlauf in einer weitgehenden durchgeimpften Gesellschaft weit milder als das Delta-Virus, gleichzeitig aber auch weit ansteckender. Das Virus also hatte sich geändert, die Politik der KP nicht. Plötzlich waren die Lockdowns zurück mit aller Macht, in Wuhan, in Xi'an, in Lanzhou, in Guangzhou und erstmals, von einem weltweit gehörten Aufschrei der Bürger begleitet, im Frühjahr in Shanghai. Schon da ahnte man: Die Menschen waren nicht mehr bereit, die teilweise inhumanen Maßnahmen der Behörden zu dulden. Zumal sie ihnen nun in keinem Verhältnis mehr zu stehen schienen zu der Bedrohung.

Und, fatal für die Propaganda: Mit einem Mal genießt die Welt eine neue Freiheit, während Chinas Bürger eingesperrt sind. Shanghaier erzählen, die Bilder von der Weltmeisterschaft in Katar hätten großen Eindruck auf sie gemacht, die Bilder von Menschen, die in Massen zusammenkommen, ohne eine Maske zu tragen. Chinas Staatsfernsehen hat schon reagiert. Aus dem TV-Feed der Fußballspiele werden in China nun offenbar die Nahaufnahmen der maskenlosen Zuschauer herausgeschnitten.

Viele Bürger haben genug von den Massentests und der Brutalität der Behörden

Viele Bürger aber haben genug. Von den Massentests, für die sie mehrmals die Woche oft stundenlang anstehen müssen. Vom Verlust ihres Jobs, ihres Lebensunterhaltes. Von der Brutalität, mit der die Maßnahmen bisweilen umgesetzt werden. Chinas soziale Medien sind voll von Geschichten von Menschen, die hungern mussten in ihren Apartments. Von Kindern, die starben, weil sie nicht ins Krankenhaus gebracht werden durften. Jüngst machten Bilder die Runde von einer jungen Frau, die auf dem Boden kniete, die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Ihr Verbrechen: Sie hatte sich Take-away-Essen holen wollen, ohne zuerst eine Maske aufzusetzen.

Mehrmals waren den Bürgern zuletzt "Anpassungen" der strikten Politik versprochen worden, und jedes Mal wurden sie aufs Neue enttäuscht. Wenn die KP nun Lockerungen plant, so zeigt sie es noch nicht. Am Montag verkündete die Regierung neue Rekordzahlen: mehr als 40 000 Infektionen an einem Tag. Das Parteiblatt Volkszeitung schwor am Montag, man werde an der Null-Covid-Politik "unbeirrt festhalten".

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