Wenn von China die Rede ist, erzählt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gerne eine Geschichte aus seiner Zeit als luxemburgischer Ministerpräsident. Auf einer Pressekonferenz mit seinem chinesischen Kollegen habe er diesem erläutert, dass China und Luxemburg zusammen ein Drittel der Menschheit stellten. Ob sich das genau so zugetragen hat, spielt keine Rolle. Es steckt eine einfache Wahrheit in der Anekdote, die nicht nur die ganz kleinen Länder in Europa beherzigen sollten. Aus chinesischer Sicht sind das ja sowieso alle.
Diese Tatsache verlieh dem China-Osteuropa-Gipfel vom Montag die tiefere Bedeutung. Ministerpräsident Li Keqiang hatte Vertreter aus elf östlichen EU-Staaten und fünf Ländern des Balkans in Ungarn um sich versammelt. Da mag in offiziellen Dokumenten zur China-Politik der Europäischen Union noch so lange davon die Rede sein, dass man mit einer "starken, klaren und vereinten Stimme" zu Peking sprechen sollte. Der rote Teppich, den Ministerpräsident Viktor Orbán dem Chinesen ausgerollt hatte, drückte etwas anderes aus.
China weiß um Schwachstellen und Bruchlinien in Europa. Seit fünf Jahren arbeitet Peking beharrlich daran, sie zu nutzen. Das 2012 geschaffene 16+1-Format mit mittel- und osteuropäischen Ländern öffnet den Chinesen ein Tor in die EU - es ist ein Weg, der nicht über Brüssel führt.
Dahinter steckt, dass die wirtschaftliche und zum Teil auch politische Macht, welche die EU als Block für sich in Anspruch nimmt, von der globalen Konkurrenz - und nicht nur den Chinesen - häufig als störend empfunden wird. Im 16+1-Klub kehren sich die Verhältnisse um. In der Mitte steht China, es lädt 16 Zwerge ein. Es beweist seine Gunst - und erhält lukrative Aufträge.
Mit Investitionen erkauft Peking sich Einfluss
Das Vorgehen Chinas im Osten unterscheidet sich dabei nicht prinzipiell von dem in Asien, Afrika oder Lateinamerika. Es lockt mit komfortabel finanzierten Projekten wie einer hochmodernen Bahnstrecke von Belgrad nach Budapest. Damit baut Peking nicht nur Überkapazitäten seiner Industrie im Mutterland ab, es schafft auch neue Abhängigkeiten. Je größer die Bedeutung chinesischer Investitionen für klamme einzelne Staaten wird, desto schwerer wird es ihnen fallen, Wünsche abzuschlagen.
Es hat nicht erst des jüngsten Parteitages in Peking bedurft, um zu ermessen, wie sehr die Regierung durch wirtschaftliche Expansion ihren globalen Machtanspruch stillen will. Die "Neue Seidenstraße", mit der Peking seinen Handel bis über Europa hinaus beleben will, soll eine Billion Dollar kosten. Schon jetzt erleben die EU-Außenminister, dass manche Kollegen gehemmt wirken, wenn es darum geht, Kritik an China zu üben. Weil die EU in der Außenpolitik dem Prinzip der Einstimmigkeit gehorcht, genügt Druck auf ein einziges Land, um Einfluss geltend zu machen. Im Hafen von Piräus, den China kontrolliert, werden Waren umgeschlagen. Warum nicht auch politische Wünsche?
Das ist eher ein Problem Brüssels als Pekings. China nutzt lediglich die Möglichkeiten, die es hat, um seinen Einfluss auszuweiten. Es ist die EU, die erkennen muss, wie sehr innere Brüche und Widersprüche sie nach außen hin schwächen. Auffällig ist dabei, wie anfällig gerade die Vertreter abgeschotteter Gesellschaften - wie Viktor Orbán in Ungarn und Miloš Zeman in Tschechien - für die Lockrufe aus Fernost sind. Sie glauben, dort nicht nur Geldgeber zu finden, sondern auch Verbündete im Kampf gegen die liberale Demokratie.
In der Auseinandersetzung mit China geht es um nicht weniger als Europas Selbstbehauptung. Die EU ist größter Importeur chinesischer Waren. Die Europäer haben Größe. Allerdings nur, wenn sie zusammenstehen.