China und Nordkorea:„Eng wie Lippen und Zähne“

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China braucht sein Land als Puffer: Nordkoreas Diktator Kim Jong-un besucht einen Stützpunkt für Langstreckenraketen an unbekanntem Ort. (Foto: AFP/KCNA VIA KNS )

Peking ist wichtigster Partner des Regimes in Pjöngjang. Das überlässt nun Russland 10 000 Soldaten und tut auch sonst nicht immer, was dem großen Nachbarn gefällt. Warum die Chinesen das nordkoreanische Treiben dennoch hinnehmen.

Von Lea Sahay, Peking

Als die Nummer drei der chinesischen Führung, Zhao Leji, im April nach Nordkorea reiste, sollte der Besuch der Auftakt eines historischen Jahres werden. Beide Seiten feierten den 75. Jahrestag der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen. Nur sechs Tage, nachdem Mao Zedong im Jahr 1949 die Gründung der Volksrepublik auf dem Platz des Himmlischen Friedens ausgerufen hatte, begann der formelle Austausch. Zwei Jahre später griff China, sehr zur Überraschung der Amerikaner, in den Koreakrieg ein und kam Kim Il-sung mit 400 000 Soldaten zur Hilfe.

Seitdem gelten die Beziehungen als „eng wie Lippen und Zähne“ sowie „in Blut getaucht“, wie die Propaganda beider Seiten verlauten lässt. Anlässlich des Jahrestages verkündete Staats- und Parteichef Xi Jinping im Oktober, die „Freundschaft“ habe den Test der Zeit überstanden und sei eine „wertvolle Ressource“ und von „großer Bedeutung“.

Doch tatsächlich sind die Beziehungen deutlich komplizierter als die Staatsführung in China zugeben will. Und die militärische Zusammenarbeit zwischen Russland und Nordkorea dürfte das Verhältnis weiter belasten. Laut US-Verteidigungsministerium sind etwa 10 000 nordkoreanische Soldaten nach Russland entsandt worden. Peking steht im Ukrainekrieg zwar fest an Moskaus Seite, dennoch könnte Nordkoreas direkte Verstrickung in den Ukrainekrieg langfristig das Mächtegleichgewicht in Nordostasien verändern. Es ist eine Entwicklung, die Peking als Bedrohung empfinden dürfte.

Kims Nuklearwaffen machen sein Land in Chinas Augen zum Faktor für Instabilität

Auch wenn China als wichtigster Verbündeter Nordkoreas gilt, waren die Beziehungen stets von Höhen und Tiefen geprägt. Bereits Staatsgründer Kim Il-sung verstand die Spannungen zwischen der Sowjetunion und China zu nutzen, um seine eigene Position zu stärken. Peking wiederum schockierte seinen Partner mit der Annäherung an die USA im Jahr 1972 und, 20 Jahre später, mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Südkorea.

Größter Konfliktpunkt zwischen beiden Staaten ist heute Pjöngjangs Kernwaffenprogramm. Eric Ballbach von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt: „China sieht in einem nuklear bewaffneten Nordkorea einen Instabilitätsfaktor für die Region.“ Deshalb habe China in der Vergangenheit auch UN-Sanktionen mitgetragen, die den Handel mit Nordkorea einschränkten.

Trotzdem fungiert Peking weiter als Schutzmacht und wirtschaftliche Lebensader für Nordkorea. Denn noch größer als die Angst vor Kims Nuklearwaffen ist Pekings Furcht vor einem instabilen Nordkorea. Experte Ballbach sagt: „Dieses könnte Flüchtlingsströme bedeuten oder eine etwaige Wiedervereinigung Koreas unter südkoreanischer Flagge, die amerikanische Truppen bis an die eigene Außengrenze heranrücken ließe.“

Seit 2019 verfolgt Nordkorea einen anderen Kurs, es geht nicht mehr um Verhandlungen

Spannungen zwischen Peking und Pjöngjang werden immer wieder durch Provokationen von nordkoreanischer Seite deutlich: Wiederholt hat das Land Atomwaffen- und Raketentests während politisch wichtiger Ereignisse in China angesetzt. Etwa im Mai 2017, kurz bevor die Seidenstraßen-Konferenz in Peking stattfand, Xi Jinpings Lieblingsprojekt. Zudem hat Kim Jong-un mehrere seiner politischen Kontrahenten ermorden lassen, die in Pekings Gunst standen. Darunter 2017 seinen Halbbruder Kim Jong-nam, der angeblich unter Pekings Schutz in der chinesischen Sonderverwaltungszone Macau lebte.

Der Besuch von Chinas Toppolitiker Zhao Leji im April erfolgte auch vor dem Hintergrund eines grundlegenden Kurswechsel Pjöngjangs. Anstatt auf Verhandlungen, etwa zur Abmilderung der Sanktionen, setzt das Land zur Absicherung seit 2019 auf militärische Modernisierung und engere Beziehungen zu China und Russland. Anfang 2024 gab Kim Jong-un das Ziel auf, eine friedliche Wiedervereinigung Koreas zu erreichen und erklärte Südkorea zum „unverrückbaren Hauptfeind“.

Peking kommentiert nicht, dass nordkoreanische Soldaten für Putin kämpfen sollen

Die militärische Bedeutung einer Entsendung von nordkoreanischen Truppen in die Ukraine ist laut Experte Eric Ballbach noch schwer abzuschätzen, dafür sei bisher zu wenig bekannt. Trotzdem dürfte sich Nordkorea von Russland einen „hohen Preis“ bezahlen lassen. „Wenn diese Unterstützung beispielsweise strategische Waffen beinhaltet, ist die Frage, ob für China damit eine rote Linie überschritten wird.“ Wirtschaftliche Unterstützung durch Russland könnte Pekings Einfluss indes schwächen.

Offiziell hat Peking den Einsatz nordkoreanischer Truppen bisher nicht kommentiert. Die Staatsmedien konzentrieren sich bisher auf einen anderen vermeintlichen Feind: die USA. Demnach sollen Russland und Nordkorea durch Washingtons Einmischung zu ihrer militärischen Allianz gezwungen worden sein, um sich selbst zu verteidigen.

Peking fühlt sich durch die verstärkte Kooperation zwischen Südkorea, den USA und Japan bedroht. Chinas größte Furcht ist eine Art „asiatische Nato“, mit der Washington versucht, Chinas Einfluss im indopazifischen Raum einzudämmen. Ironischerweise könnte das gefährliche Manöver Pjöngjangs, Truppen nach Europa zu entsenden, amerikanische Allianzen in der Region noch verstärken – und Chinas Verdacht gegen die USA damit scheinbar bestätigen.

Die Rivalität mit Washington dürfte auch verhindern, dass Peking seinen Einfluss auf Russland oder Nordkorea nutzt, um den Einsatz zu stoppen. Selbst wenn China die Entwicklung nicht gutheißt, dürfte das Gegenteil passieren: Je stärker Washington seine Kooperationen in der Region ausbaut, desto wichtiger dürfte für Peking Nordkorea als Pufferzone werden – und damit seine Stabilität.

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