Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs:Wie Chinas Kommunisten die Geschichte umschreiben

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Wenn es um die eigenen Verbrechen geht, verordnet Peking seinem Volk eine Amnesie. Die japanfeindliche Propaganda zieht dagegen alle Register - nicht immer mit Erfolg.

Von Kai Strittmatter

Das ist sein Tag. Staats- und Parteichef Xi Jinping gibt gerne den zupackenden Führer, aber er zeigte sich in dieser Rolle weder nach der Explosionskatastrophe von Tianjin noch während des spektakulären Absturzes der Börse im Juli und August. Am Donnerstag steht er jedoch wieder im Mittelpunkt, da marschieren, rollen und fliegen sie für ihn über den Platz des Himmlischen Friedens, das Herz des Reiches: 12 000 Soldaten, 200 Kampfflieger, Chinas neueste Panzer, eine ganze Reihe bislang nie gezeigter Raketen. Und 1000 Musiker mit einem Klassiker: "Die Truppen der Volksbefreiungsarmee gehorchen loyal der Partei."

An Xis Seite steht Russlands Wladimir Putin, dazu die Präsidenten von Ägypten und Venezuela und aus dem Sudan Präsident Omar Hassan al-Baschir, der vom Internationalen Strafgerichtshof als Kriegsverbrecher gesucht wird. Fehlen aus dem Who is Who der internationalen Autokratie wird Nordkoreas Kim Jong Un, wahrscheinlich, weil die Präsidentin Südkoreas angereist ist, im Gefolge, so berichtet es die Volkszeitung, die größte Wirtschaftsdelegation aller Zeiten. Aus Europa sind vor allem Politiker im Ruhestand da, Gerhard Schröder zum Beispiel und Tony Blair.

Nicht dabei sein kann ebenfalls das chinesische Volk. Pekings Innenstadt ist seit Mittwoch abgeriegelt, Anwohner der Paradestrecke bekamen die Anweisung, die Fenster zu schließen und "im Interesse der eigenen Sicherheit" (Aushänge warnen vor Scharfschützen) "nicht hinauszuschauen". Das heißt nicht, dass keiner an Chinas Bürger gedacht hätte. Im Gegenteil. Die Stärke Xi Jinpings, die Macht der Partei, das alles soll die Parade natürlich auch der Welt draußen demonstrieren, aber das eigentliche Zielpublikum ist schon das eigene Volk. Das bekommt gerade wieder einmal, multimedial, auf allen Kanälen, eine Geschichtsstunde erteilt. "Wer die Vergangenheit beherrscht, der beherrscht die Zukunft." Chinas KP hat George Orwells Satz verinnerlicht.

Dem eigenen Volk befiehlt die Partei immer wieder die kollektive Amnesie

"Die Geschichte zu vergessen, ist Verrat", sagte Parteichef Xi gerade wieder einmal. Das ist interessant, weil seine KP das Ausradieren und Umschreiben der Geschichte zu einem zentralen Mechanismus ihrer Herrschaft gemacht hat. Der anklagende Satz von Xi zielt natürlich auf die Japaner. Dem eigenen Volk befiehlt die Partei hingegen immer wieder die kollektive Amnesie: Nicht die 40 Millionen Toten des Großen Sprungs, das blutige Chaos der Kulturrevolution oder die Toten vom Tiananmen-Platz 1989 haben die Chinesen zu empören, sondern die Greuel der Japaner, deren Besatzungstruppen von 1937 bis 1945 in China wüteten. Deshalb muss die Propaganda die Erinnerung daran so frisch halten wie möglich, was erstaunlich gut funktioniert.

Es waren nicht die Kommunisten, die damals die Japaner besiegten und den Zweiten Weltkrieg in China entschieden. Das waren vielmehr die Truppen der Russen, der USA und die der Nationalisten Chiang Kai-sheks, dessen Kuomintang KMT China regierte. Die Freischärler der KP, da sind sich die meisten Historiker einig, rieben sich mehr an der KMT als an den Japanern. Pekings Propaganda unterliefen nun solch abenteuerliche Fehlleistungen, dass sie sich dem beißenden Spott der Netzgemeinde aussetzte: So stellte das Filmplakat eines neuen Kinostreifens über die Konferenz von Kairo im Jahre 1943 Mao Zedong an die Seite von Churchill und Roosevelt. Dabei war nicht Mao in Kairo, sondern sein Rivale Chiang Kai-shek.

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Die Propaganda ist also nicht immer clever. Bemerkenswert erfolgreich allerdings schürt sie einen von Ressentiments getragenen Nationalismus und einen latenten Hass auf Japan. Dabei spielen ihr die halbherzigen Entschuldigungen japanischer Regierungschefs und das unselige Treiben von Japans Ultranationalisten in die Hände. Gleichzeitig zogen Pekings Geschichtsumschreiber aber schon immer alle Register. Sie verschwiegen ihrem Volk Japans Nachkriegs-Pazifismus ebenso wie die beachtlichen Summen an japanischer Entwicklungshilfe und Investitionen, die Chinas neuen Wohlstand in den letzten drei Jahrzehnten mit ermöglichten.

Die Militärparade nun sei gegen Japan gerichtet? "Unsinn!", schrieb die Volkszeitung. Die Parade stehe ganz im Zeichen des "Friedens" und der "Zukunft". Gleichzeitig werden in Chinas Kinos die Japaner allerdings in drei großen Propagandaschinken besiegt, und es laufen auf allen TV-Kanälen antijapanische Kriegsserien, in denen wieder einmal Legionen grausamer Japaner unschuldige Chinesen martern, vergewaltigen und vierteilen, bevor heroische Kommunisten die Barbarei beenden. Der Staatssender CCTV hat ein Webportal über den antijapanischen Krieg zusammengestellt, darauf lassen sich nicht weniger als 161 Propagandafilme und 50 Fernsehserien abrufen. Ein großes Restaurant in Peking hängte letzte Woche ein Plakat aus, auf dem es "für Chinesen 50 Prozent Discount" versprach und "für Japaner gebrochene Knochen".

Schon die Schulkinder üben sich im "antijapanischen Kampf"

All das fällt in China auch deshalb auf fruchtbaren Boden, weil die ewige Empörung über die Japaner eine Kost ist, mit der Chinas Kinder schon im Kindergarten gefüttert werden. Der Parade wegen wird diesmal der Schulanfang in Peking verschoben, auf den 7. September. Die zentrale Propagandabehörde erklärte nun, der erste Schultag im ganzen Land solle dem "antijapanischen Kampf" gewidmet werden. Leitspruch soll sein: "Vergesst nie die nationale Schande, verwirklicht den chinesischen Traum." Der "Aktionsplan" für den Schulanfang sieht vor, dass die Schüler beim Fahnenappell "Kriegs- und Heldengeschichten" erzählen sollen. Das Singen patriotischer Kriegslieder und Besuche auf Märtyrerfriedhöfen stehen ebenfalls auf dem Lehrplan. Im Internet können Schülerinnen zusammen mit der Boyband The Fighting Boys die Nationalhymne singen ("Gemeinsam voran ins feindliche Kanonenfeuer").

Dabei hat sich der Furor deutlich abgekühlt im Vergleich zum Sommer 2012, als ein antijapanischer Mob durch Chinas Straßen zog. Chinas Städter nutzen die patriotischen Feiertage nun zum Reisen - und viele reisen nach Japan. Im Juli besuchten 500 000 Chinesen das Nachbarland, mehr als doppelt so viele wie im letzten Jahr. Die meisten zum Shopping. Ganz oben auf der Einkaufsliste stehen Hautcremes, Reiskocher und der letzte Schrei: elektronisch aufgerüstete Toilettensitze. Im Frühjahr schon riefen in China beleidigte Konsumpatrioten zum Boykott der Hightech-Gesäßwärmer vom Feind auf. Vergebens.

© SZ vom 03.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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