Zensur in China: Wen Jiabao:Stilkritik von der Staatssicherheit

"Filmstar Wen Jiabao": Chinas Polizei versucht, die Veröffentlichung eines kritischen Buchs über den Premier zu unterbinden. Die Beamten beschweren sich auch bei Autor Yu Jie, weil sie seine Texte nicht verstehen.

Henrik Bork, Peking

Chinas Filmstar Wen Jiabao ist ein Buch, das in China nie erscheinen wird. So viel ist schon klar. Der Autor Yu Jie schreibt noch daran, doch die Staatssicherheit hat ihn vorsichtshalber schon mal befragt. "Können Sie uns Ihr neues Buch kurz vorstellen?", fragte der Beamte. "Im Wesentlichen ist es eine Kritik an Premier Wen Jiabao. Mein Schwerpunkt ist, dass er sehr wenig für politische Reformen getan und damit eine historische Chance verpasst hat", antwortete Yu Jie.

Zensur in China: Wen Jiabao: "Chinas Filmstar Wen Jiabao" heißt das Buch, das der Regimekritiker Yu Jie geschrieben hat. Er hofft, dass er es in Hongkong veröffentlichen kann.

"Chinas Filmstar Wen Jiabao" heißt das Buch, das der Regimekritiker Yu Jie geschrieben hat. Er hofft, dass er es in Hongkong veröffentlichen kann.

(Foto: Henrik Bork)

Das Verhör, das am Montag vergangener Woche auf der Pekinger Polizeistation Dougezhuang stattfand, dauerte viereinhalb Stunden. Es gipfelte in einer massiven Drohung. "Sie haben gesagt, falls ich das Buch wirklich drucken lassen sollte, könnte es mir so ergehen wie Liu Xiaobo", sagte der Autor hinterher. Liu verbüßt gerade eine Haftstrafe von elf Jahren, wegen seines Eintretens für Demokratie in China. Yu Jie und Liu hatten einst gemeinsam das unabhängige chinesische PEN-Zentrum gegründet.

Der 36-jährige Yu Jie, ein Magister der Literatur der berühmten Peking-Universität, ist ein schmächtiger Brillenträger. Er stottert leicht. Seine Feder aber ist sehr spitz. Schon der Arbeitstitel für sein Buch ist reine Ironie. Filmstar Wen Jiabao (Yingdi Wen Jiabao) spielt auf die Fernsehauftritte des chinesischen Premiers an, in denen dieser immer freundlich lächelt. Wen Jiabao sei jedoch ein Autokrat, "nicht unähnlich den Kanzlern in der chinesischen Kaiserzeit", sagt Yu. "Viele im Ausland haben ein recht positives Bild von Wen Jiabao", sagt der schmächtige Intellektuelle. "Ich halte das für völlig falsch."

Dass so ein Buch jemals in China erscheint, war von vorneherein ausgeschlossen. Yu Jie, der gerade die letzten Seiten seines Manuskriptes redigiert, hofft jedoch, einen Verleger in Hongkong zu finden. In der Sonderverwaltungszone gibt es noch immer ein höheres Maß an Publikationsfreiheit als in China.

Die Regierung aber möchte das Buch überhaupt nicht gedruckt sehen. Aus ihrer Sicht verletzt Yu Jie darin ein ungeschriebenes Gesetz. Obwohl im heutigen China eine etwas frechere Presse zugelassen wird, hier und da sogar ein mutiges Buch erscheint, ist direkte Kritik an hochrangigen Kadern der Kommunistischen Partei noch immer ein Tabu. "Wen Jiabao ist kein normaler Bürger", hat es der Beamte der Staatssicherheit im Gespräch mit Yu Jie formuliert. Kritik an Wen "gefährde die Sicherheit der Nation".

Tatsächlich gefährdet das Buch wohl vor allem das sorgsam aufgebaute Image des Premiers als volksnaher, wohlwollender Herrscher. Der oft in die Kameras lächelnde Wen Jiabao sei in Wahrheit ein "kaltherziger Mann", sagt Yu Jie. In seinem Buch erinnert er daran, wie Wen den Eltern der beim Erdbeben in Sichuan getöteten Kinder eine Untersuchung der unsicher gebauten Schulen versprochen hatte. "Aber seit dem Beben sind schon zwei Jahre vergangen, ohne dass ein einziger korrupter Beamter oder Bauherr zur Verantwortung gezogen wurde", sagt Yu. Angeblich will er auch beschreiben, wie sich Familienangehörige von Wen Jiabao dank ihrer politischen Kontakte wirtschaftlich bereichern.

Die Unterdrückung politisch Andersdenkender habe unter Wen Jiabao zugenommen, sagt Yu. Unter der Führung des ehemaligen Parteichefs Jiang Zemin sei wenigstens ab und zu ein chinesischer Regimekritiker freigelassen und ins Ausland abgeschoben worden, sagt er. "Doch seit Hu Jintao und Wen Jiabao an der Macht sind, wird nur noch verhaftet", sagt Yu. Dies habe auch mit der Haltung des Westens zu tun. "Früher hat sich der Menschenrechtsbeauftragte der US-Regierung regelmäßig mit mir getroffen", sagt der Schriftsteller. "Aber seit Barack Obama im Weißen Haus ist, hat das aufgehört."

Das Gespräch zwischen dem Schriftsteller und dem Beamten der Staatssicherheit hatte - obwohl alles andere als harmlos - auch einen gewissen Unterhaltungswert. "Eines Tages wird es auch in China so etwas wie eine Gauck-Behörde geben", sagte Yu. "Soll das heißen, ich soll jetzt besser nett zu dir sein?", fragte der Beamte namens Zhu zurück. Dabei lachte er. Vor ihm lag ein Stapel von Aufsätzen, die Yu auf ausländischen Webseiten veröffentlicht hatte. Der Beamte zwang den Autor, sie mit einem roten Fingerabdruck als seine Werke zu autorisieren. Für den geplanten Schauprozess?

Die Staatssicherheit hatte aber auch Stilkritik vorzutragen. "Deine Artikel sind zu lang", sagte Zhu. "Ich brauche ewig, um sie zu lesen, und ich habe immer noch nicht deinen zentralen Gedanken verstanden." Der Beamte solle sich besser einen anderen Beruf suchen, gab Yu Jie beleidigt zurück. Als er hörte, dass die in Hongkong geplante Ausgabe des Wen-Buches nur rund 3000 Exemplare haben könnte, zeigte sich der Beamte erstaunt. "So wenig?", fragt er spöttisch. "Mit eurer Hilfe und der ausländischen Presse werden es vielleicht ein paar mehr", antwortete Yu Jie.

Der Schriftsteller hat schon seit 1998 Publikationsverbot. Damals erschien sein kritischer Essay-Band Feuer und Eis. Er ist auch ein gläubiger Protestant. 2006 war er gemeinsam mit anderen Angehörigen chinesischer Untergrundkirchen von George W. Bush im Weißen Haus empfangen worden. Sollte ihn die damals erworbene Popularität bislang vor einer Verhaftung bewahrt haben, so ist das in Zukunft keinesfalls sicher. Trotzdem will sich Yu Jie nicht einschüchtern lassen. "Ich werde meinen Plan, das Buch in Hongkong zu veröffentlichen, nicht ändern."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: