China:Der Überwachungsstaat ist ein Symptom der Angst des Regimes

Demokratische Freiheiten passten nicht zu China, meint die Führung in Peking am 70. Jahrestag der Volksrepublik - und unterdrückt die eigenen Bürger sowie einige historische Wahrheiten.

Kommentar von Lea Deuber, Hongkong

Die Hongkonger Proteste ruinieren der chinesischen Regierung diese Woche ihre Geburtstagsfeier. Bei einer Parade zum Nationalfeiertag will Peking der Welt seine Macht demonstrieren. Dass die Bürger Hongkongs zur gleichen Zeit gegen das Regime auf die Straße gehen, ist für Peking ein Gesichtsverlust. Dort eskalieren am Dienstag die Proteste und erzeugen Bilder, die Peking nicht gefallen dürften. Ein Demonstrant wurde Medienberichten zufolge von der Polizei mit scharfer Munition angeschossen. 70 Jahre nachdem Mao Zedong die Volksrepublik ausrief, offenbart sich in den Protesten das grundsätzliche Dilemma der Kommunistischen Partei mit ihrem absoluten Machtanspruch im Land.

Die Staatsmedien diffamieren die Proteste als einen Erfolg des Westens und seines "modernen Kolonialismus". Die Bevölkerung der chinesischen Sonderverwaltungszone habe sich kaufen, bestechen und verführen lassen. Dass Peking das behauptet, kann nicht überraschen. In China verknüpft die Partei seit ihrer Machtübernahme vor 70 Jahren die Zukunft des Landes untrennbar mit ihrer eigenen Herrschaft. Ihren ungeteilten Machtanspruch bezeichnet sie als einen chinesischen Sonderweg. Die Menschenrechte seien nicht universell, und die Demokratie sei ein rein westliches Modell. Die Erzählung ist nicht besonders originär. Sie ist gebräuchliches Handwerkszeug für Regime, die unabhängig vom kulturellen Hintergrund eine Erklärung brauchen, warum sie Bürgern freiheitliche Grundrechte vorenthalten.

Wer in China geboren wurde, muss die KP unterstützen

Gefährlicher ist die Stärkung des Han-chinesischen Ethno-Nationalismus unter Präsident Xi Jinping. Dieser sagt, die Partei ist ein Glück für China. Wer also in China geboren wurde oder von dort stammt, muss die KP unterstützen, wenn er das Wohl Chinas im Sinn hat. Das macht jeden Dissidenten, der gegen das Regime demonstriert, zu einem Verräter des Volkes. Chinas Staatsmedien nennen die Hongkonger bereits "Volksverräter". Sie sind nicht für die KP, also sind sie gegen das chinesische Volk. Das beschränkt sich längst nicht nur auf den Konflikt in Hongkong.

Dieses Jahr jährt sich nicht allein der Gründungstag der Volksrepublik unter Herrschaft der Partei zum 70. Mal. Vor 100 Jahren gingen die Menschen während der 4.-Mai-Bewegung für Demokratie und Wissenschaft auf die Straßen. Vor 30 Jahren demonstrierten Studenten und Arbeiter im ganzen Land für politische Reformen. Das sind Bewegungen, die in China heute aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht sind. In Pekings Geschichtsschreibung wurde das chinesische Volk im 19. Jahrhundert von ausländischen Mächten gedemütigt und erst 1949 durch Mao Zedong und die Partei befreit. Wahr ist etwas anderes. Die Zeit der Republikgründung Anfang des 20. Jahrhunderts war eine Ära der Offenheit. In Europa war China zu dieser Zeit in vielen Bereichen Vorbild - zum Beispiel bei den Menschenrechten.

Peking hat Angst, dass Bewegungen wie in Hongkong die Menschen an diese Tradition erinnern könnten. Die Aggressionen gegenüber Taiwan haben den gleichen Ursprung. Die Demokratie vor ihrer Haustür stellt jeden Tag von Neuem die Erzählung infrage, dass für China die Ein-Parteien-Herrschaft eine Art normaler Zustand ist. Und die ungeteilte Macht der Partei der beste Weg für das Land.

Der Wunsch nach politscher Mitbestimmung wird wachsen

70 Jahre nach der Gründung haben sich Millionen Menschen im Land aus wirtschaftlicher Not befreit und leben in Wohlstand. Je reicher das Land wird, desto drängender wird der Wunsch nach politischer Mitbestimmung. Für die KP wird das eines Tages schicksalsentscheidend. Die Frage ist nicht, ob, sondern wann. Die Partei weiß das. Der Überwachungsstaat, die Unterdrückung der Zivilgesellschaft und Medien sind Symptome ihrer Angst.

Die Partei setzt seit dem Amtsantritt von Präsident Xi Jinping deshalb auch noch auf eine zweite Strategie. Um Kritik von außen zu schwächen, spricht die Partei von einem ausländischen Widerstand gegen Chinas Aufstieg. Damit hat sie nicht nur unrecht. Der wachsende Einfluss Chinas löst in anderen Ländern Unruhe aus. Der Handelsstreit mit den USA verstärkt den Eindruck in China. Vor allem die Ausfälle des US-Präsidenten Donald Trump in Richtung China spielen der Partei in die Hände: Wir sind wieder wer, die Partei hat es ermöglicht und das Ausland gönnt es euch nicht. Das ist eine gefährliche Erzählung, die in den kommenden Jahren die Beziehungen mit China erschweren wird.

70 Jahre nach Gründung der Volksrepublik muss man sich im Ausland deshalb klarmachen: China ist nicht die Partei, und die Chinesen sind nicht das Regime. Gleichzeitig darf Deutschland die Entwicklung des Nationalismus und der wachsenden Ressentiments im Land nicht unterschätzen. Je stärker der Druck auf die Partei wächst, desto unberechenbarer wird das Land als Partner. Darauf muss sich auch Deutschland einstellen.

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