Klima:"Durchbruch in der internationalen Klimadiplomatie"

Luftverschmutzung in China

Kein Nebel, sondern Smog wabert hier um die Hochhäuser in der Stadt Nantong in der ostchinesischen Provinz Jiangsu.

(Foto: Xu Jingbo/dpa)

Für Umweltschützer kommt es wie eine Sensation daher: China will "vor 2060" klimaneutral sein. Doch ohne einen Umbau der Volkswirtschaft wird das nicht gelingen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Christoph Giesen, Peking

Das Drehbuch war fertig, alles hätte laufen können wie ein Schweizer Uhrwerk. Mitte November sollten die Staaten zur nächsten großen Klimakonferenz in Glasgow zusammenkommen, diesmal mit einem heiklen Auftrag: Weil die vielen nationalen Klimaziele nicht ausreichen, um die Erderwärmung auch nur halbwegs in den Griff zu bekommen, sollten die Staaten nachlegen.

Mitte September sollte deshalb ein entscheidendes Vortreffen stattfinden, der EU-China-Gipfel in Leipzig. Gemeinsam wollten Europa und China hier ein Bekenntnis zum Klimaschutz abgeben, eine gute Woche vor Beginn der UN-Generalversammlung. Wenn Peking und Brüssel voranschreiten, so das Kalkül, muss ein großer Teil der Welt folgen. Ein Virus tauchte in diesem Drehbuch noch nicht auf.

Dieses Virus hat die Glasgower Konferenz vereitelt und den Gipfel von Leipzig ins Internet verbannt, aber das Uhrwerk läuft trotzdem. Erst hat die EU vorige Woche ihr neues Klimaziel abgegeben, ursprünglich fein abgestimmt auf Leipzig. Dann hat Chinas Staatschef Xi Jinping nachgelegt - bei seiner Rede vor den Vereinten Nationen. Die Menschheit, so forderte er vor der Generalversammlung, brauche eine "grüne Revolution". Sie müsse sich "schneller bewegen", um einen Green way of life zu schaffen. Und dafür wolle China seine Klimaziele aufstocken. Nicht nur sollten die Emissionen noch "vor" 2030 ihren Gipfel erreichen, sagte Xi am Dienstag - eine kleine Ergänzung des bisherigen Ziels. "Vor 2060" wolle sein Land auch klimaneutral sein. Und das war neu.

Was anderswo wie eine Sensation daherkommt, ist in China nur eine Randnotiz

Für den Plan, die bisherigen Klimaziele nun nachzubessern, sei das schon einmal eine gute Nachricht, sagt Susanne Dröge, die bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin die Klimadiplomatie verfolgt. "Das schafft eine kritische Masse." Schließlich könne die EU nicht als Einzige Druck für mehr Klimaschutz machen. Nicht von ungefähr lädt UN-Generalsekretär António Guterres nun für den 12. Dezember zu einer Art informellem Klimagipfel: Es ist der Versuch, mit der neuen Dynamik aus Peking und Brüssel weitere Zusagen von Staaten einzusammeln - so, wie es ursprünglich in Glasgow hätte passieren sollen. Der 12. Dezember ist der fünfte Jahrestag des Pariser Abkommens.

Umweltschützer etwa bei Germanwatch sprechen schon von einem "Durchbruch in der internationalen Klimadiplomatie". Doch was im Rest der Welt wie eine Sensation daherkommt, ist in China nur eine Randnotiz. Die Staatspresse berichtete zwar groß und auf den Titelseiten über die Rede von Xi bei den Vereinten Nationen, doch statt um Klimaschutz geht es darin um Chinas heroischen Kampf gegen das Coronavirus und natürlich die Rivalität mit den Vereinigten Staaten.

Schließlich gab Xi sein Klimaversprechen nur wenige Minuten, nachdem Donald Trump gesprochen hatte. Der US-Präsident hielt eine gallige Wahlkampfrede, Xi wirkte dagegen beinahe umsichtig, der Zeitpunkt war exakt gewählt: Hier der Klimaleugner Trump und dort der Visionär Xi, der sich vorgenommen hat, das Weltklima zu retten.

China ist mittlerweile der größte Verursacher klimaschädlicher Emissionen. Und sollten die bis irgendwann vor 2030 noch steigen, wird der Weg zur Klimaneutralität umso härter. Klar ist: Ohne einen Umbau der Volkswirtschaft wird es nicht gelingen.

Noch immer baut China eifrig Kohlekraftwerke an der "neuen Seidenstraße"

Da sind die vielen Staatsunternehmen: Kokereien, Aluminiumhütten und Stahlwerke. Die meisten davon haben gewaltige Überkapazitäten. Bislang hat die Regierung nicht gewagt, diese Fabriken zu schließen. 58 Prozent des Primärenergieverbrauchs werden in China noch immer aus Kohle gewonnen - und bis Mitte des Jahres waren mehr neue Kohlekraftwerke genehmigt worden als in den zwei Jahren zuvor. Auch exportiert werden sie eifrig. Im Zuge der "neuen Seidenstraße" finanzieren chinesische Banken den Bau von Kohlekraftwerken im Ausland, die dann von chinesischen Bautrupps errichtet werden.

Immerhin der elende Smog, der weite Teile des Landes einhüllt, lichtet sich allmählich, weil bessere Filtertechnik vorgeschrieben ist und nun auch tatsächlich verbaut wird. In Peking sieht man inzwischen immer häufiger einen blauen Himmel.

Ob Xis Worten letztlich auch Taten folgen werden, wird man vielleicht schon in wenigen Wochen beurteilen können. Noch in diesem Herbst tritt das Zentralkomitee in Peking zum fünften Plenum zusammen, um über den nächsten Fünf-Jahresplan zu entschieden. Wie ernst die chinesische Führung den Klimaschutz wirklich nimmt, wird man in diesem Dokument nachlesen können.

Schließlich werfe Xis Bekenntnis nun ziemlich viele Fragen auf, sagt auch Li Shuo, Politikberater bei Greenpeace in Peking. Eine Frage laute etwa, um wie viel schneller als gedacht die Treibhausgas-Emissionen wirklich ihren Gipfel erreichen - und wie das zum Ausbau der Kohlekraft passt. "Das sind schwierige Fragen, die eine bessere Antwort von China verlangen", sagt Li Shuo. Nichtsdestotrotz helfe die Zusage, ein schwieriges Jahr für die Umwelt ins Positive zu drehen - "als der Beginn einer neu belebten Runde globaler Anstrengungen für das Klima".

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Luisa Neubauer, 25, kommt aus Hamburg, wo sie 2014 Abitur machte. Danach arbeitete sie in Tansania für ein Hilfsprojekt und in England auf einem Biobauernhof. Im Sommer 2020 hat sie in Göttingen ihren Bachelor in Geografie abgelegt. Sie ist Mitglied der Grünen und Aktivistin an der Front von Fridays for Future. Aus der Bewegung eine Partei zu machen, lehnt sie ab.

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