Internet:China will seine Bürger durchleuchten

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Plattformen wie Wechat bieten bereits Testversionen für den Log-in per Online-ID an (Foto: dpa)

In China sollen bald alle Internetnutzer eine digitale Identifikationsnummer bekommen. Die Menschen sind an Überwachung gewöhnt, doch das geht vielen zu weit.

Von Lea Sahay, Peking

Chinesen sind an eine digitale Überwachung gewöhnt, wie es sie sonst nirgends auf der Welt gibt: Wer sich im Internet bewegt, muss sich bei Onlinediensten mit seiner Handynummer registrieren. Sim-Karten lassen sich nur noch mit Ausweis und Gesichtsscan kaufen. Kritische Beiträge werden von Zehntausenden Zensoren gelöscht und sämtliche Nachrichten auf Messengerdiensten überwacht. Nach kritischen Kommentaren steht die Polizei vor der Tür. Und nun könnte die Kontrolle sogar noch ausgeweitet werden.

Bisher liegt die Verantwortung für die Verifizierung bei Firmen und Plattformen. Für die Behörden ist es nur schwer ersichtlich, auf welchen Plattformen ein Nutzer aktiv ist. Das soll sich jetzt ändern: Gemäß einem Gesetzentwurf sollen sich Nutzer in Zukunft mit einer eindeutigen Identifikationsnummer auf allen Plattformen registrieren. Diese ist laut Entwurf zunächst freiwillig, wobei unklar ist, ob das auch so bleibt.

Mithilfe der Nummer ließen sich alle digitalen Spuren eines Nutzers sofort abrufen, inklusive des Verlaufs in Suchmaschinen. Obwohl das Gesetz noch nicht beschlossen ist, bieten Plattformen wie Wechat bereits Testversionen für den Log-in per Online-ID an.

Ziel ist laut Ministerium für Staatssicherheit nicht die Überwachung, sondern der Schutz der Bürger. In den Staatsmedien werben die Behörden für die Nummer, Nutzer könnten sich damit verifizieren, ohne unnötige Daten an die Onlinedienste weiterzugeben.

Weil die Neuregelung scheinbar mehr Sicherheit verspricht, wird der Vorstoß auch von einigen Chinesen unterstützt. Viele Apps in China sind wahre Datenkraken, sie greifen mehr Informationen ab als nötig. Legal ist das schon heute nicht: In den vergangenen Jahren haben Aufsichtsbehörden mehr als hundert Firmen wegen übermäßigem Sammeln von Daten mit Strafen belegt.

Bis Ende August ist die Öffentlichkeit aufgerufen, Kommentare zu dem Gesetzesentwurf einzureichen. Wer es in den vergangenen Tagen versuchte, kam allerdings nicht weit. So verschwand der Beitrag von Juristin Lao Dongyan auf der Debattenplattform Weibo. Die Professorin von der Tsinghua-Universität verglich die Online-ID mit der „Gesundheitsapp“, die in China während Corona zum Alltag gehörte. Damals mussten sich die Menschen zur Kontaktverfolgung überall registrieren. Egal, ob in einem Restaurant, Bahnhof, Stadtpark oder dem eigenen Wohnblock. In mindestens einem Fall nutzten Lokalbehörden die App, um Bürger an Protesten zu hindern. Lao erklärte, beide Anwendungen teilten dieselbe „Philosophie der Kontrolle“. Ihr Account wurde daraufhin eingefroren, 90 Tage kann sie nun nichts mehr posten.

Ähnlich erging es einem halben Dutzend anderen Experten. Ihr Kollege Huang Yusheng mahnte, eine Nation, die versuche, ihre Bürger in „gläserne Schachfiguren“ zu verwandeln, würde nie eine lebendige und kreative Nation werden. Sein Account wurde dauerhaft gesperrt. Online werden zahlreiche Suchbegriffe zu dem Thema inzwischen zensiert, darunter der Begriff „Online-Identifikationsnummer“ selbst.

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