China und Indien:Auf bessere Nachbarschaft im Himalaja

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Die Konflikte an der Demarkationslinie zwischen Indien und China sollen enden: Rekruten der indischen Grenztruppe in Kaschmir nach einer Parade. (Foto: TAUSEEF MUSTAFA/AFP)

Peking und Delhi wollen endlich ihre Grenzstreitigkeiten in der Kaschmir-Region entschärfen. Die beiderseitigen Interessen gehen aber weit über diesen Konflikt hinaus.

Von Lea Sahay, Peking

Indien und China haben sich auf ein Abkommen zur Entschärfung ihres Grenzstreits geeinigt. Laut Angaben der Regierung in Delhi wurden Regeln festgelegt für Militärpatrouillen beider Seiten entlang der gemeinsamen Grenze im Himalaja. Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar sprach von einer „positiven Entwicklung“ und einer „Grundlage für Frieden und Ruhe in den Grenzregionen“. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums bestätigte die Einigung am Dienstag und erklärte, mit Indien an ihrer Umsetzung arbeiten zu wollen.

Die Bekanntgabe erfolgte einen Tag vor Beginn des Gipfeltreffens der Brics-Staaten in Russland. Das Abkommen könnte ein Treffen zwischen dem indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping erleichtern. Zuletzt haben sich beide am Rande des Brics-Treffens in Südafrika 2023 gesehen, offizielle bilaterale Gespräche fanden ein Jahr zuvor statt.

Hintergrund des Grenzdeals waren heftige Zusammenstöße im Jahr 2020. Mit bloßen Fäusten und Knüppeln hatten chinesische und indische Soldaten entlang der Demarkationslinie aufeinander eingeprügelt. Damals waren mindestens 20 indische Soldaten getötet worden, die Zahl der Opfer auf chinesischer Seite ist nicht bekannt. Es war der tödlichste Zwischenfall in der Kaschmir-Region seit Jahrzehnten und löste eine schwere Krise zwischen beiden Staaten aus.

An 18 Stellen haben beide Länder konkurrierende Gebietsansprüche

Der unklare Verlauf der rund 3440 Kilometer langen Grenze ist ein ewiges Streitthema zwischen den zwei Atommächten: Die britischen Kolonialherren hatten nach ihrem Abzug 1947 keine klare Grenze hinterlassen, in den 1990er-Jahren etablierte man die gegenwärtige aktuelle Kontrolllinie (Line of Actual Control). Jedoch erheben beide Seiten an etwa 18 Stellen konkurrierende Gebietsansprüche, darunter in Regionen, die vor einigen Jahren noch nicht umstritten waren. Beide versuchen ihre Ansprüche mit dem Bau von Infrastruktur zu festigen.

Nach Angaben des Außenministeriums in Delhi soll das neue Abkommen zu einer „Entflechtung“ der Truppen in der Region führen, die seit dem Zusammenstoß auf je etwa 100 000 Soldaten angewachsen sind. Indien hatte nach den Zusammenstößen auch Investitionen chinesischer Unternehmen erschwert, Hunderte Apps aus China verboten und Visa-Genehmigungen beschränkt. Und das, obwohl China seit Jahren ein wichtiger Handelspartner ist.

Bereits in den vergangenen Monaten hatte sich eine mögliche Entspannung angedeutet, im April hatte Ministerpräsident Narendra Modi von „Fortschritten“ in den Verhandlungen zum Grenzkonflikt gesprochen und die Beziehungen zu China als „bedeutsam“ bezeichnet. Auch China hielt sich zurück, etwa als Modi Taiwans Präsident Lai Ching-te zu seiner Wahl gratulierte.

Etwas Annäherung im komplizierten Verhältnis ihrer Länder: Chinas Staatschef Xi Jinping und Indiens Premier Narendra Modi. (Foto: Manish Swarup/AP)

Beide Seiten setzen also vorerst auf Deeskalation. Gründe dafür gibt es mehrere. Indien sieht sich momentan mit einer Großzahl geopolitischer Unsicherheiten konfrontiert. Dazu zählen die Nachwehen der Corona-Pandemie, der amerikanische Rückzug aus Afghanistan und Krisen wie im Roten Meer, wo die Huthi-Rebellen und Piraten den freien Handel gefährden. Indien hat wie andere Staaten seine Marine in die Region entsandt.

Peking versucht sich an einer Charmeoffensive

Vom Ukraine-Krieg profitiert Indien zwar insofern, als es zum größten Abnehmer von russischem Öl aufgestiegen ist. Gleichzeitig bezieht das Land viele seiner Waffen aus Russland. Dass China seit Kriegsbeginn zu Moskaus wichtigstem Verbündeten geworden ist, verkompliziert den Militärkonflikt mit Peking.

Derweil eskaliert die Lage im Nahen Osten und bindet Kräfte Washingtons. Die USA unterstützen Indien als Gegengewicht zu China in Asien. Unklar ist jedoch, wie sich das Verhältnis nach den US-Wahlen entwickeln könnte, sollte Donald Trump im November gewinnen. Dessen China-Politik war zwar konfrontativ, und damit im Sinne Indiens, gleichzeitig hat sich Trump auch immer wieder lobend über Staatschef Xi Jinping geäußert. Zudem ist Indiens Wirtschaft weiter auf Importe aus China angewiesen, andere Märkte sind aufgrund höherer Preise für viele indische Firmen keine Alternative.

Chinas Kompromissbereitschaft passt indes zu einem neuen Ton aus Peking. Von Australien über Japan bis Großbritannien und den EU-Staaten hat sich das Regime zuletzt um die Besserung seiner Beziehungen mit einer ganzen Reihe von Staaten bemüht. Nach drei Jahren Isolationspolitik während der Pandemie versucht China weiter, zerstörtes Vertrauen wiederherzustellen. Viele Beobachter sprechen von einer chinesischen „Charmeoffensive“, die auch Deutschland zu spüren bekommt.

China versucht anscheinend vor der US-Wahl schwelende Konflikte zu beschwichtigen und keine neuen Fronten zu eröffnen. Beide Präsidentschaftskandidaten versprechen einen harten Kurs gegenüber Peking, gleichzeitig wächst die Skepsis in vielen westlichen Ländern gegenüber Chinas Billig-Exporten. Die neuen Handelsbarrieren drohen Chinas schwächelnde Wirtschaft weiter zu belasten. Auch die jüngst angekündigten Konjunkturmaßnahmen konnten den Abwärtstrend bisher nicht stoppen.

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