Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Johnson riskiert Konflikt mit Peking

Großbritannien kündigt Auslieferungsverträge mit Hongkong auf - wegen Pekings Umgang mit der Ex-Kronkolonie. Doch auch weitere Themen wie das 5G-Netz sorgen für Streit.

Von Alexander Mühlauer, London

Es ist eine Entscheidung, die den Streit zwischen China und Großbritannien weiter auf die Spitze treibt. Am Montag kündigte der britische Außenminister Dominic Raab an, die Auslieferungsvereinbarungen mit Hongkong sofort und auf unbestimmte Zeit auszusetzen.

Als Grund nannte er das umstrittene Sicherheitsgesetz. Die britische Regierung sieht darin einen Versuch Pekings, die Freiheitsrechte in der Sonderverwaltungszone massiv einzuschränken. "Wir werden für unsere Werte einstehen und China an seine internationalen Verpflichtungen erinnern", sagte Raab.

Ein bereits für China geltendes Waffenembargo will London nun auf Hongkong ausweiten. Trotz des Konflikts mit Peking beteuerte Raab, dass die Beziehungen zu China nicht vollständig über Bord geworfen werden sollten. Ähnlich äußerte sich auch der britische Premierminister Boris Johnson. Zwar solle mit der Volksrepublik "hart" ins Gericht gegangen werden, aber es gehe auch um Balance; er werde jedenfalls nicht "zu jemandem werden, der automatisch gegen China ist", erklärte er. Das Vereinigte Königreich folgt mit der Hongkong-Entscheidung seinen Verbündeten in der Geheimdienst-Allianz Five Eyes. Die USA, Kanada und Australien haben ähnliche Auslieferungsvereinbarungen mit der Sonderverwaltungszone bereits ausgesetzt. Raab kritisierte nicht nur das Sicherheitsgesetz, sondern erhob auch weitere schwere Vorwürfe gegenüber China. Der britische Außenminister beschuldigte die Regierung in Peking, im Umgang mit muslimischen Uiguren "grobe, ungeheuerliche Menschenrechtsverletzungen" begangen zu haben. Hunderttausende von ihnen sollen sich in Internierungslagern in der Region Xinjiang befinden.

Augenzeugen berichteten von Folter und Vergewaltigungen. Die von der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten "China Cables" untermauerten die Anschuldigungen gegen die chinesische Regierung. Kritiker der Volksrepublik sprechen von einem der wohl größten Menschenrechtsverstöße dieser Zeit.

Erst am Sonntag wurde der chinesische Botschafter in London, Liu Xiaoming, im britischen Fernsehen mit Drohnenaufnahmen konfrontiert, die laut westlichen Geheimdiensten kniende Uiguren mit kahl rasierten Köpfen vor Zügen in Xinjiang zeigen. "Ich weiß nicht, woher Sie dieses Videoband haben", entgegnete Liu dem BBC-Journalisten Andrew Marr. Und fügte hinzu, dass manchmal Gefangene verlegt würden, wie in jedem anderen Land. Berichte über ein Sterilisationsprogramm für Uiguren wies der Botschafter zurück; er erklärte aber: "Ich kann einzelne Fälle nicht ausschließen."

Ansonsten nutzte Liu seinen Fernsehauftritt für harte Kritik an der Regierung in London. Er bezeichnete Johnsons Ankündigung, etwa drei Millionen Hongkongern ein Bleiberecht in Großbritannien in Aussicht zu stellen, als "grobe Einmischung" in die Angelegenheiten der Volksrepublik.

Im Streit über das Sicherheitsgesetz warnte er vor Sanktionen: "Wenn die britische Regierung soweit geht, Sanktionen gegen chinesische Bürger zu verhängen, dann wird China sicher konsequent darauf antworten." Der Botschafter erinnerte an die Auseinandersetzung mit Washington: "Man hat gesehen, was in den USA geschehen ist. Sie haben chinesische Beamte mit Sanktionen belegt, wir ihre Senatoren, ihre Beamten."

Streitpunkt 5G

Ein Ende des Streits ist nicht in Sicht. So sorgt auch die Entscheidung der britischen Regierung, den chinesischen Konzern Huawei vom Aufbau des 5G-Mobilfunknetzes auszuschließen, weiter für Spannungen.

London hatte Huawei vor einer Woche untersagt, vom Jahresende an weitere Ausrüstung im Königreich zu verbauen. Bereits bestehende Komponenten sollen bis 2027 verschwinden. Johnson beugte sich damit dem Druck von etwa 60 chinakritischen Abgeordneten seiner Konservativen Partei. Auch die USA hatten Großbritannien zum Ausschluss von Huawei gedrängt. Washington wirft dem Konzern Spionage vor, was dieser entschieden von sich weist.

An diesem Dienstag wird US-Außenminister Mike Pompeo zu einem Besuch in London erwartet.

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SZ vom 21.07.2020/odg
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