China:Guos Geheimnisse

Wie eine erfolgreiche TV-Serie in China mit der Realität kollidiert.

Von Kai Strittmatter

Mehr als fünf Milliarden Mal wurden ihre Folgen allein online schon angeschaut - die TV-Serie "Im Namen des Volkes" ist der Hit der Saison in China. 55 einstündige Sendungen lang geht es um Macht und um Verbrechen in der fiktiven Provinz Handong. Im Mittelpunkt steht die Korruption, die wie ein Krebsgeschwür das System bedroht. Die Zuschauer lieben die Serie, weil sie für das sonst recht hölzern daherkommende chinesische Fernsehen ungewöhnlich spannend und realistisch ist. Propaganda ist es trotzdem: Held ist der mutige lokale Staatsanwalt, heimliche Heldin ist die Antikorruptionskampagne von Parteichef Xi Jinping.

Die Serie wird schon Chinas "House of Cards" genannt, produziert wurde sie für umgerechnet mehr als 17 Millionen US-Dollar von Chinas Oberster Staatsanwaltschaft. In einigen Städten verdonnerte die Parteiführung ihre Kader zum gemeinsamen Anschauen inklusive Verfassens eines Pflicht-Essays über gelernte Lektionen. Die Serie führt die Liste der TV-Sendungen an, die der KP-Propaganda zufolge "den Erfolg des 19. Parteikongresses herbeiführen". Für China wird dieser Kongress im Herbst das wichtigste politische Datum der vergangenen fünf Jahre. Parteichef Xi Jinping will seine Macht dort ausbauen. Allerdings hat Xi nun ein kleines Problem: Mit einem Mal spielt das chinesische "House of Cards" nicht mehr nur auf den Bildschirmen, sondern es entfaltet sich gleichzeitig in einer komplett anderen Version in der Wirklichkeit. Und diesmal haben Xis Leute das Drehbuch nicht geschrieben.

Held oder Bösewicht des Spektakels in der realen Welt ist, je nach Standpunkt, Guo Wengui, ein schillernder Milliardär, der mit Immobilien in Peking reich wurde und der sich schon 2014 in die USA abgesetzt hatte. Dort wohnt er in einem Penthouse über dem Central Park und ist zudem das einzige chinesische Mitglied von Donald Trumps Mar-a-Lago-Club. Guo hat sich nun zu einem Schritt entschieden, der für China bislang einzigartig ist: Er wäscht öffentlich die schmutzige Wäsche der Elite in Peking, in Interviews mit US-Medien.

"Eine Atombombe der Korruptionsenthüllungen" versprach Guo und nannte schon eine Reihe von Namen angeblich korrupter Beamter und deren Familienmitglieder - darunter Familien, die Alliierte von Parteichef Xi sind. Die Anschuldigungen sind bislang nicht bewiesen, und dennoch sind sie ein ziemliches PR-Desaster für Xi, da sie den weit verbreiteten Verdacht unterfüttern, dass auch Xis Antikorruptionskampagne die moralische Fäulnis in der Partei nicht wirklich stoppen kann.

Letzte Woche nun holte der Apparat zum Gegenschlag aus: Artikel in der Parteipresse zeichneten Guo Wengui selbst als hochkorrupt. Auf Youtube tauchte ein Video auf, in dem der inhaftierte frühere Vizeminister der Staatssicherheit, Ma Jian, allerlei schmutzige Deals beschrieb, die er und der flüchtige Milliardär Guo angeblich zusammen ausgeheckt hätten. Und dann erging über Interpol eine "rote Ausschreibung". Auf Ersuchen Chinas wird Guo Wengui nun international gesucht. Interpol-Chef ist seit einem halben Jahr übrigens ein Chinese: Meng Hongwei, vor Kurzem noch Vizepolizeiminister Chinas.

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