China:Gründerfieber

100 Jahre nach den Studentenprotesten ist die Volksrepublik noch immer kein gefestigter Staat.

Von Stefan Kornelius

China erlebt ein Jahr voller Gedenktage: 40 Jahre wirtschaftliche Öffnung unter Deng Xiaoping, 50 Jahre gewaltsame Tibet-Herrschaft, 100 Jahre Maiproteste der Studenten, 30 Jahre Tian'anmen-Aufstand und schließlich, am 1. Oktober, der 70. Gründungstag der Volksrepublik. Das sind ein paar historische Daten zu viel, um daraus ein kohärentes Geschichtsbild im Sinne der Partei zu malen. Die Daten zeichnen also vor allem nach, welch eruptiven, auch gewaltsamen Weg China in den vergangenen 100 Jahren gegangen ist - und warum die herrschende KP recht hat, wenn sie als größte Bedrohung ihrer Macht die Geschlossenheit des Landes ansieht.

Die Volksrepublik ist alles andere als ein gefestigter Staat, was die Erinnerung an die Studentenproteste vor 100 Jahren zeigt. Angetrieben wurden diese Demonstrationen vom Wunsch nach Freiheit, nach geistiger Entfaltung, nach einer eigenen politischen Ordnung und, auch dies: nach der Befreiung vom Joch der Kolonialmächte. China wollte sich damals selbst finden.

Auch wenn die Staatsführung diesen Prozess für abgeschlossen hält und die Proteste von 1919 als ersten Schritt auf dem Weg hin zum modernen China interpretiert: Eine unvoreingenommene Betrachtung der eigenen Geschichte sollte sie lehren, dass die Volksrepublik auch nach 70 Jahren ein unfertiger Staat ist. Erst wenn Herrscher keine Angst vor der eigenen Geschichte haben müssen, dürfen sie sich ihrer Macht sicher sein

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