China:Kommunisten müssen wieder "Genosse" sagen

China: Beschwört die alten Zeiten: Staatschef Xi Jinping will offenbar die Klassenunterschiede in China verschleiern.

Beschwört die alten Zeiten: Staatschef Xi Jinping will offenbar die Klassenunterschiede in China verschleiern.

(Foto: AFP)

Chinas KP unter Führung von Staatspräsident Xi will Anreden wie "Herr" und "Frau" wieder durch "Genosse" ersetzen. Doch die vermeintlich egalitäre Anrede aus der Mao-Ära verwenden längst auch andere Gruppen.

Von Kai Strittmatter, Peking

Die Führer der Kommunistischen Partei Chinas sind nicht die ersten, die Worten eine magische Qualität zuschreiben. Die die Sprache beschwören, um die widerspenstige Welt nach ihrem Bilde zu formen. Die Dinge seien "in Unordnung" geraten, hieß es in einer Erklärung der KP vergangene Woche, nun müsse man sie "zurechtrücken". Und zwar so: Die Parteimitglieder der KP Chinas, und zwar alle 88 Millionen, sollen sich von nun an wieder mit "Genosse" anreden. Nein, sie "müssen". Um "demokratische und gleiche" Beziehungen untereinander zu garantieren. So verlangt es das Dokument mit dem Titel "Normen des politischen Lebens innerhalb der Partei unter den jetzigen Umständen".

Nun sind die Umstände in China allerdings dergestalt, dass die alten kommunistischen Ideale schon vor Jahrzehnten das Zeitliche gesegnet haben und Kaderkapitalismus, Wirtschaftsboom und Korruption eine der ungleichesten Gesellschaften der Welt geschaffen haben. Eine Entwicklung, die die KP nicht unberührt gelassen hat: Die New York Times errechnete einmal, dass allein die 18 reichsten Abgeordneten in Pekings Volkskongress und Konsultativkonferenz mehr Vermögen haben als alle 535 Abgeordneten des US-Kongresses zusammen.

Die Anrede "Genosse" galt im damals sich öffnenden China schon vor 20 Jahren nur mehr als antiquierte Rarität, mit letzten Rückzugsgebieten in den obersten Parteirängen und in Kreisen alter Revolutionäre. An seine Stelle getreten sind vor langer Zeit die einst als bourgeois verpönten "Herr" und "Frau", aber auch jovial-unterwürfige Anreden wie "großer Bruder" oder "Boss".

Die Volksrepublik hat mit dem China von Mao nichts mehr zu tun

Letztere hatten die Parteiführer in der Provinz Guangdong schon vor zwei Jahren als "vulgär" auf den Index gesetzt, wohl auch deshalb, weil dieselben Anreden in den Kreisen der Triaden, also der chinesischen Mafia, gang und gäbe sind. Die Lust auf Titel ist im hierarchischen Apparat von Partei und Staatsunternehmen so groß, dass die Antikorruptionsjäger der Partei schon gegen die Praxis wetterten, den Zusatz "Vize-" in der Anrede von etwa Vize-Abteilungsleitern einfach wegzulassen. Das sei nichts anderes als "Bestechung mit Worten".

Die Wiederbelebung des "Genossen" kommt zu einer Zeit, da Parteichef Xi Jinping die vermeintlich simplen, reinen und egalitären Zeiten der frühen Volksrepublik beschwört. Die Propaganda versucht wohl, mit dem nostalgischen "Genossen" die Vielfalt, aber auch die Klassenunterschiede und Hierarchien zuzukleistern.

Ob's funktioniert? Man darf das bezweifeln. Das China von heute hat mit dem China Maos praktisch nichts mehr gemein. Und noch etwas: Der "Genosse" hat längst eine Wiedergeburt erlebt - und zwar in der Welt der Homosexuellen. Das chinesische Wort für Genosse, "Tongzhi", ist seit vielen Jahren schon die gebräuchliche Selbstbezeichnung von Chinas Schwulen und Lesben. 1988 sang der taiwanische Rockpoet Luo Dayou das Lied von der "Genossin Geliebte".

Wenig später verschaffte der Hongkonger Autor und Filmemacher Edward Lam dem "Tongzhi" in seiner neuen Bedeutung weitere Verbreitung, kurz darauf begannen sich auch die Homosexuellen auf dem Festland so zu nennen, erst ironisch, aber bald schon mit größter Selbstverständlichkeit. Die Hongkonger South China Morning Post mahnte denn auch, die Wiedereinführung der "veralteten Anrede" in der Partei könne "Verwirrung stiften".

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