Geständnisse im chinesischen Fernsehen:Wie ein Thriller im Abendprogramm

An internal court video shows British investigator Humphrey arriving at a courtroom after a lunch break, during his trial at Shanghai No.1 Intermediate People's Court

Öffentlich vorgeführt: Peter Humphrey vor Gericht in Shanghai im August 2014.

(Foto: Carlos Barria/Reuters)
  • Polizisten zwingen den Briten in China inhaftierten Peter Humphrey 2013 zu Geständnissen im Fernsehen. Sie werden über chinesische Kanäle auch im Ausland ausgestrahlt.
  • Humphrey wurde auf Druck des Vereinigten Königreichs 2015 vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen.
  • Nun klagt der Brite in London gegen die Ausstrahlung der Geständnisse.
  • Er leidet bis heute unter einem Trauma.

Von Lea Deuber, London

Es ist der 24. August 2013, ein Samstag, als sie ihn aus seiner Zelle holen. In Gefangenschaft sitzt der britische Geschäftsmann Peter Humphrey seit mehreren Wochen, im berüchtigten Shanghaier Gefängnis im Osten der Stadt, auf 15 Quadratmetern mit zwölf weiteren Häftlingen. Seine Frau sitzt in einer Zelle zwei Stockwerke darüber.

Der Polizist, der an diesem Morgen in die Zelle des Briten tritt, sagt: "Unsere Chefs wollen, dass du die Medien triffst." So erzählt es Humphrey im Rückblick. Wenn er mit den Journalisten rede, verspricht ihm damals der Beamte, könne sich das positiv auf seinen Prozess auswirken. Der zu dem Zeitpunkt 57-Jährige ist skeptisch, erklärt sich aber zu einem Gespräch bereit. Dass er weder gefilmt noch fotografiert werden will, schreibt er noch auf ein Stück Papier und übergibt es den Polizisten.

Die Beamten fixieren Humphrey in einem Käfig auf einen Tigerstuhl, wie die eisernen Foltergestelle in China genannt werden. Die Fesseln schnüren so fest in Arme und Beine, dass Humphreys Gliedmaßen taub werden. Völlig erschöpft und unter Drogen gesetzt, muss er vor laufender Kamera aussagen.

Die Aufnahmen sind nicht Teil seines Gerichtsverfahrens. Sie laufen später im chinesischen Abendprogramm wie ein Thriller. Nur dass Humphrey kein Schauspieler ist, sondern ein Angeklagter ohne Anklageschrift.

Fünf Jahre später dient das zusammengeschnittene Material als Beweismittel für die britische Medienaufsicht Office of Communications (Ofcom) in London. Dort hat der britische Staatsbürger im November eine Beschwerde eingereicht. Sein Vorwurf: Sein erzwungenes Geständnis strahlte das Staatsfernsehen nicht nur in China aus, sondern über seine Kanäle weltweit - auch in Großbritannien. Das widerspricht dem britischen Medienkodex, argumentiert Humphrey.

Bestätigt Ofcom die Beschwerde, könnte der chinesische Staatssender CCTV in dem Land seine Lizenz verlieren und Präzedenzfall für Verfahren in anderen Ländern werden. Auch in Schweden, Kanada, Frankreich und den USA sind solche Aufnahmen ausgestrahlt worden. Weitere Klagen sind in der Vorbereitung.

Die Entscheidung hätte weltweit Signalwirkung. Erst im Dezember haben CCTV und dessen internationaler Sender CGTN ihre Europazentrale in London eröffnet. Mindestens 350 Journalisten sollen von dort berichten - doppelt so viele wie in Washington und Nairobi.

Pekings Sicht auf die Welt: ausgestrahlt in 60 Sprachen, in 170 Ländern

Präsident Xi Jinping erklärte im Oktober 2017, der Sender solle die "Herzen und Köpfe im Ausland gewinnen". Dies sei "essenziell für den großen Wiederaufstieg des chinesischen Volkes". Sechs Milliarden Dollar stellt der Staat bis 2020 für die internationale Propaganda-Offensive bereit. In Zukunft sollen CCTV, China Radio International und das Chinese National Radio zu dem Mediengiganten Voice of China verschmelzen.

Ziel ist: "Die Herrschaft der KP über die Medien und die öffentliche Meinung" zu festigen, wie es in offiziellen Papieren heißt. Dazu übernehmen die Staatssender Medienhäuser weltweit oder kooperieren mit Medien, um dort Artikel der Staatspresse unterzubringen. Getreu dem chinesischen Sprichwort: Leih ein Boot, um das Meer zu überqueren. Pekings Sicht auf die Welt: ausgestrahlt in 60 Sprachen, in 170 Ländern, 24 Stunden am Tag.

2013 wird Peter Humphrey ein Teil dieser Geschichte. Viele Jahre berieten der Brite und seine Frau Yu Yingzeng internationale Konzerne in China, um unternehmensinterne Korruptions- und Betrugsvorwürfe zu untersuchen. Über 700 Fälle bearbeitet er mit seiner Firma ChinaWhys, die er mit Sitz in Shanghai in den 1990er-Jahren gegründet hatte. Im April des gleichen Jahres engagiert ihn das britische Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline (GSK). Es sollte sein letzter Auftrag sein.

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