Deutsch-chinesisches Treffen:Offener Schlagabtausch

Eigentlich wollte der chinesische Außenminister Wang Yi die Beziehung zu Europa bei seinem Besuch verbessern. Die Pressekonferenz mit Heiko Maas gerät zur Lehrstunde im Grundkonflikt zwischen China und Europa.

Von Julia Bergmann und Daniel Brössler, Berlin

Es ist nicht klar, ob Heiko Maas und seine Leute einfach nur auf alles vorbereitet sein wollten, auch auf Regen. Der deutsche Außenminister hat seinen chinesischen Kollegen Wang Yi in die Villa Borsig eingeladen, zu deren Vorzügen nicht nur ein schöner Blick auf den Tegeler See gehört, sondern auch ihre Eignung als hübsche Kulisse. Pressekonferenzen hält Maas hier gerne im Freien ab. Das nimmt Schärfen zumindest optisch die Spitze. Nicht so diesmal. Mit Wang tritt Maas in einem nüchternen Seminarraum vor die Presse, in dem normalerweise Nachwuchsdiplomaten unterrichtet werden. Auf dem Stundenplan: Offener Schlagabtausch.

Den Anfang macht Maas mit einer Klarstellung. "Mir war es heute wichtig zu vermitteln, dass wir in Europa uns ein gutes Verhältnis zu China wünschen - auf Augenhöhe, in gegenseitigem Respekt", sagt er. Die Zukunft Europas werde "eine souveränere und eine selbstbewusstere" sein. "Wir werden uns für unsere Werte auch außerhalb der Außengrenzen der Europäischen Union einsetzen - und zwar in alle Richtungen", fügt er hinzu. Drohungen gegen dieses Engagement werde man "nicht mehr akzeptieren." Es sei doch, sagt dazu Wang, der in Berlin eine Europa-Reise beendet, "völlig normal", nicht immer einer Meinung zu sein, nur "Einmischung in innere Angelegenheiten", die dulde China nicht.

So gerät die Pressekonferenz zur Lehrstunde im Grundkonflikt zwischen China und Europa. "Wir werden es nicht zulassen, dass wir zum Spielball einer Großmächte-Konkurrenz zwischen den USA, Russland und China werden", versichert Maas und verhehlt seinen Ärger nicht über Drohungen, die Wang gegen den tschechischen Senatspräsidenten Miloš Vystrčil ausgestoßen hatte, der sich in dieser Woche mit einer großen Delegation in Taiwan aufhält. Der Tscheche werde für sein "kurzsichtiges Verhalten" einen "hohen Preis" zahlen müssen, hatte Wang gesagt. Er habe am Vorabend seinen tschechischen Kollegen Tomáš Petříček angerufen, berichtet Maas. Die Europäer handelten in der Außenpolitik "im Schulterschluss".

"Freiheit für Hongkong, Freiheit für Uiguren, Freiheit für Tibeter", brüllen die Demonstranten

Wang sieht trotzdem keinen Anlass, etwas zurückzunehmen. Die Reise des Tschechen sei ein "öffentlicher Affront" gegen die Ein-China-Politik. Man habe Vystrčil klarmachen müssen, dass er die "rote Linie" überschritten habe. Dabei war Wang zu seiner ersten Auslandsreise nach Beginn der weltweiten Ausbreitung von Covid-19 eigentlich aufgebrochen, um die Beziehungen zu Europa zu verbessern. Auch in Berlin spricht er von "Zusammenhalt und Zusammenarbeit", von der gemeinsamen Verantwortung im Kampf gegen die Pandemie und zur Ankurbelung der Weltwirtschaft. China begrüße, dass Europa "strategisch selbstbewusster" werde und verbinde große Erwartungen mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

Wo immer Wang allerdings in Europa hinkommt, erwartet ihn das, was sich die chinesische Führung in der Heimat verbittet. Während Maas ihn in der Villa Borsig empfängt, stehen vor dem Auswärtigen Amt etwa hundert Demonstranten, die den grauen Behördenwänden ihre Wut entgegenbrüllen. Sie fordern: "Freiheit für Hongkong, Freiheit für Uiguren, Freiheit für Tibeter."

Als die Sprechchöre verebben, greift der Hongkonger Demokratieaktivist Nathan Law zum Mikrofon. Er appelliert an Maas, sich klar gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen in China zu positionieren. Bisher sei Deutschland zu still gewesen. "Die Bullies dieser Welt profitieren vom Schweigen der Guten", sagt er. Solange westliche Demokratien zugunsten wirtschaftlicher Beziehungen schweigen, werde sich das nicht ändern.

Es ist ein Widerspruch, den Maas nicht gelten lassen will. "Eine Abkopplung im Verhältnis der Europäischen Union zu China ist nicht in unserem Interesse. Das ist in niemandes Interesse, sowohl politisch als auch wirtschaftlich", betont er. Allerdings müssten europäische Unternehmen in China die gleichen Wettbewerbsbedingungen eingeräumt werden wie umgekehrt.

In jedem Fall aber gebe es "viele Gründe für eine bessere Zusammenarbeit". Beim Klimaschutz etwa werde man ohne China "keine nachhaltigen Ergebnisse" erzielen können. Natürlich habe man aber auch über Menschenrechte gesprochen, über Hongkong und die besorgniserregende Lage der Uiguren. Nächste Woche werde der deutsch-chinesische Menschenrechtsdialog wieder aufgenommen.

Als dann Wang mit der Kritik an der chinesischen Politik konfrontiert wird, nimmt er sich für seine Antwort Zeit. 18 Minuten lang preist er die "historische Glanzleistung" der Modernisierung Chinas, warnt davor, 1,4 Milliarden Chinesen zu verleumden, spricht von der Notwendigkeit, das "Chaos" in Hongkong zu beenden und schwärmt vom guten Leben der Uiguren in der Provinz Xinjiang. Die Lager seien eine Maßnahme zur "Entradikalisierung".

Derweil strecken vor dem Auswärtigen Amt Demonstranten Fotos in die Höhe. Sie zeigen Väter, Brüder, Mütter. "China, wo ist meine Oma?!", fragt ein Junge, vielleicht zehn Jahre alt. Auch Abdulla Tohsi Arish vermisst Familienangehörige, die in China in Haft sitzen. "Ihr einziges Verbrechen", sagt sie, "war es, Uiguren zu sein."

Zur SZ-Startseite
China: Truppen bei einer Parade in Peking 2019

MeinungEU und China
:Lied der Lüge

Bei seinem Treffen mit Maas wird Chinas Außenminister Wang sein Land als Helfer in der Not besingen. Doch bei den Lockrufen Pekings ist Misstrauen angebracht.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: