Internationale Beziehungen:Warum Europa die Rivalität mit China braucht

Internationale Beziehungen: Chinas Präsident Xi in Frankreich

Chinas Präsident Xi in Frankreich

(Foto: AP)

Zwischen Chinas Präsident Xi und dem Westen bahnen sich Konflikte an - es ist entscheidend, diese auszutragen. Denn es geht für Europa nicht nur um Aufträge, es geht um konkurrierende Menschenbilder.

Kommentar von Stefan Kornelius

Einer der populärsten und ältesten Romane Chinas trägt den Titel "Die Drei Reiche". Er spielt vor etwa 1800 Jahren, enthält aber Botschaften und Lehren für alle Zeiten. Präsident Xi Jinping empfiehlt die Lektüre dieses Buches, das sich in historischen Episoden mit der Macht und ihrem Zerfall, mit der Einheit des Reichs und der moralisch richtigen Führung auseinandersetzt. Es geht um Gerechtigkeit und Treue, um Freundschaft und Wahrhaftigkeit. Und um Tianxia, wörtlich "Alles, was unter den Himmel passt", das Reich, die Welt, den Kosmos.

Exakt darum geht es auch, wenn Xi Jinping heute vom "großen Wiederaufblühen der chinesischen Nation" spricht, wenn er immer und immer wieder den "chinesischen Traum" beschwört, der eins werden soll mit dem Traum der ganzen Welt. Welchen Anspruch formuliert der Präsident da eigentlich? Was will dieses China in der Welt anstellen? Was passt alles unter den Himmel Xis?

Während Xis Präsidentschaft, exakt zum 19. Parteitag im Oktober 2017, hat sich die Wahrnehmung des Landes nachhaltig gedreht. Es war die Verlängerung der Amtsperiode Xis auf unbestimmt Zeit und die Proklamation eines globalen Führungsanspruchs, die den autoritären Charakter des Staates und seiner politischen Spitze in aller Schärfe erkennen ließen.

Seitdem wächst das Misstrauen gegenüber Peking. Standen einst die Unterschriftenzeremonien für neue Milliardenaufträge sinnbildlich für ein naives Dagobert-Duck-China, so ist inzwischen die Stimmung ins andere Extrem gekippt: hin zur Sinophobie, zur offenen Aggressivität. Dazwischen lagen Kuka und die Seidenstraße, das Südchinesische Meer und Taiwan, undurchschaubares Investitionsgehabe, Ideenklau und unfaire Wettbewerbsbedingungen. Aber auch dies: ein geradezu atemberaubendes Wirtschaftswachstum, von dem vor allem die deutsche Exportwirtschaft und mithin jeder Steuerzahler und jeder Arbeitnehmer profitiert haben.

China, so viel ist inzwischen jedem Mittelständler klar geworden, wirkt weit über die Auftragsbücher hinaus. Dieses Land provoziert politisch und gesellschaftlich, es steht für ein anderes Wirtschafts- und Lebensmodell. Das Menschenbild der Europäischen Union und ihre Vorstellung einer regelbasierten Zusammenarbeit liberaler Demokratien stehen dazu in Konkurrenz. Tatsächlich handelt es sich um eine handfeste Rivalität, die von nun an immer stärker zu spüren sein wird.

Eine Kampfansage - für europäische Verhältnisse

Eine Strategie für den Umgang hat die Europäische Union vor einer Woche vorgelegt. Schon der Vorgang an sich ist außergewöhnlich. Die EU hält sich in außenpolitischen Grundsatzaussagen in der Regel zurück - meistens aus Mangel an Geschlossenheit. Nun aber heißt es über China, das Land sei "ein ökonomischer Wettbewerber auf der Suche nach technologischer Führung und ein systemischer Rivale, der alternative Regierungsmodelle befördert". Das ist für europäische Verhältnisse eine Kampfansage.

In Fragen des Wettbewerbs und der technologischen Rivalität wurden schnell Regeln gefunden. Sie müssen nun zügig angewandt werden. Hier bewegt sich die EU bemerkenswert zielstrebig. Es geht um Reziprozität - quasi die positive Wendung von "was du nicht willst, was man dir tut ..." Gleiche Regeln für alle, gleiche Transparenz und gleich viel Staat. Hier hat die EU zu lange aus schierer Gier Bedingungen akzeptiert, die nun gefährlich werden, jetzt wo China nach der technologischen Vormacht etwa bei künstlicher Intelligenz oder Robotik greift und einen Wissenstransfer vorbereitet, der Europa gefährlich werden kann.

Die wahre Rivalität aber ergibt sich aus den konkurrierenden Menschenbildern, aus der Rolle des autoritären Einparteienstaates mit globalen Ambitionen. Wie viel Individualität erträgt dieser Staat, wie viel freie Rede, wie viel Widerspruch? Wie wird Europa reagieren, wenn die Krise um Taiwan militärisch eskaliert? Welche Hebel gibt es, die Lagerpolitik gegenüber muslimischen Volksgruppen nicht nur zu kritisieren, sondern auch auf eine Änderung zu dringen? Kann eine freiheitliche Demokratie akzeptieren, dass eine ganze Gesellschaft per Sozialpunkte-System normiert und kontrolliert wird? Und vor allem: Wie kann Europa seine Demokratie so attraktiv halten, dass eine Infizierung mit dem Virus der Autokratie verhindert werden kann?

Die Beziehung der EU und vor allem Deutschlands zu China steckt voller Konflikte. Mit diesem Land wird es keine Harmonie geben können. Die Schönwetter-Besuche der Vergangenheit zugunsten von mehr Wachstum und Wirtschaft haben sich jedenfalls überlebt. An diesem Dienstag treffen sich Emmanuel Macron, Angela Merkel und Jean-Claude Juncker mit Xi Jinping. Dies ist der richtige Zeitpunkt und das richtige Format, um von Europas Erfahrungen mit Macht, Zerfall und Einheit zu berichten. Und klarzumachen, dass der Himmel über der Welt nicht nur einem gehört.

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