China:Das Kreuz der Bischöfe

Lesezeit: 5 Min.

Papst Franziskus bemüht sich, die Lage der Katholiken in China zu verbessern. Eine Einigung mit Peking scheint zum Greifen nah zu sein, doch Kritiker befürchten Zugeständnisse an das Regime.

Von Andrea Bachstein und Kai Strittmatter, Peking/München

Millionen von Gläubigen, denen sie nicht Hirte sein durften: Der Gedanke an China trieb alle Päpste der vergangenen sechs Jahrzehnte um. Keiner aber bemühte sich so sehr um eine Annäherung an Peking wie der jetzige, Franziskus. Jeden Morgen betet er in seiner Privatkapelle für die Katholiken in China. Für die Gläubigen, welche die Kommunistische Partei fernhält von Franziskus' Kirche. Einmal war der Papst dem Land schon ganz nah, hoch am Himmel über der Volksrepublik. Den Mitreisenden in der Papstmaschine sagte er, wenn er dürfe, dann wolle er China am liebsten "schon morgen" besuchen. Peking hatte dem Flugzeug den Luftraum geöffnet für die Pastoralreise nach Südkorea im August 2014. Ein Zeichen des guten Willens.

Sie sprechen miteinander, verhandeln, seit Jahren schon: der Vatikan und die Kommunistische Partei. Mehrmals hieß es, der lang ersehnte Durchbruch stehe bevor. Kurz vor Ostern gab es nun wieder Gerüchte und Prophezeiungen. Eine Übereinkunft wäre ein historischer Moment. Der Vatikan sagt, ein Abkommen mit Peking würde die seit sechs Jahrzehnten gespaltene Kirche wieder einen und dem Papst Zugang gewähren zu den Gläubigen im bevölkerungsreichsten Land der Welt. Der Vatikan ringt dabei aber nicht nur mit Pekings Kommunisten - die lautstärksten Gegner eines solchen Abkommens sitzen in den eigenen Reihen. Zu Wort gemeldet hat sich auch wieder der kämpferische Kardinal Joseph Zen, der einstige Bischof Hongkongs, der gute Kontakte zur Untergrundkirche hat. Der heute 86-Jährige befürchtet den "Ausverkauf" der Kirche, spricht von einem "selbstmörderischen Abkommen." Er traut der KP nicht über den Weg.

Papsttreue Bischöfe mussten in vergangenen Jahrzehnten Repressalien erdulden

Kommt die Übereinkunft diesmal? Die Kritiker um Joseph Zen schienen es zumindest eine Zeitlang zu befürchten. Und in der Pekinger Parteipresse hatte einer der Bischöfe der von Peking geschaffenen Staatskirche davon gesprochen, die Verhandlungen befänden sich in der "abschließenden Phase". Das war allerdings bevor Bischof Guo Xijin, ein Bischof der romtreuen Untergrundkirche, von den Behörden kurz vor Ostern aus seiner Gemeinde entführt und auf eine Reise gezwungen worden war. Das war auch vor der Pressekonferenz diese Woche, bei der die staatliche Religionsbehörde in Peking ihr neues Weißbuch zur Religion vorstellte - und bei der sie erneut auf der alten Haltung Pekings beharrte: Niemals werde man die Einmischung des Auslands in die religiösen Angelegenheiten des Landes zulassen. Chen Zongrong, ein hoher Beamter der Behörde, sprach dabei den bemerkenswerten Satz: "Ich glaube, es gibt keine einzige Religion in der menschlichen Gesellschaft, die über dem Staat steht."

Wenn es in diesem Punkt allerdings nicht zu einem Entgegenkommen Pekings kommt, dann wird es auch nie ein Abkommen geben. Offiziell sind in China nur Staatskirchen erlaubt. Es gibt auch eine protestantische, eine islamische, eine buddhistische und eine taoistische Staatskirche. Für die Katholiken aber ist das ein ungleich größeres Problem als für alle anderen, weil sich die katholische Kirche als einzige eine weltweite Hierarchie gegeben hat. Gläubige Katholiken müssen dem Papst in Rom treu sein, egal wo auf der Welt. In China aber ist das offiziell verboten. Die letzten Vertreter des Vatikans mussten 1951 Peking verlassen. Bis heute ist der Kirchenstaat eines der letzten Länder, die keine diplomatischen Beziehungen mit China haben, sondern mit Taiwan.

Palmsonntagsprozession in der Provinz Hebei. Sechs Millionen Katholiken sind in der von Peking kontrollierten Staatskirche organisiert. (Foto: Damir Sagolj/Reuters)

Die katholische Staatskirche in China wurde 1957 gegründet und heißt Katholisch-Patriotische Vereinigung. Peking gibt die Zahl der darin organisierten Katholiken mit sechs Millionen an. Für diese staatstreuen Katholiken ist offiziell die höchste Autorität auf Erden nicht der Papst, sondern der Generalsekretär der KP Chinas. Neben der Staatskirche allerdings gab es immer schon Millionen von Katholiken, die dem Papst die Treue hielten. Möglicherweise sind es mindestens so viele wie in der Staatskirche. Sie leben ihren Glauben in dem, was man "Untergrundkirche" nennt, feiern ihre Messen oft in Hauskirchen. Die papsttreuen Priester und Bischöfe mussten in den vergangenen Jahrzehnten Repressalien erdulden, nicht wenige landeten im Gefängnis.

Und doch verschwammen zuletzt die Grenzen zwischen den beiden Kirchen: Auch in staatstreuen Gotteshäusern konnte man Papstbilder sehen. Gleichzeitig duldeten die Behörden die Messen der Untergrundkirche. Und beide Seiten begannen sich an eine stillschweigende Übereinkunft zu halten: Man versuchte meist, Bischöfe auszusuchen, die für die jeweils andere Seite akzeptabel sind. Das ist auch der Knackpunkt bei den Verhandlungen: die Auswahl der Bischöfe. Wer wird dabei das letzte Wort haben? Was geschieht mit den Bischöfen Pekings, die Rom nicht gutheißt? Und was geschieht mit den Bischöfen der Untergrundkirche, die jede Zusammenarbeit mit der Partei verweigern und die dabei Verhaftung und Misshandlung riskieren? Der vor Ostern kurzzeitig verschwundene papsttreue Bischof Guo soll Teil des auszuhandelnden Deals gewesen sein: Falls es zu einer Einigung kommt, soll er offenbar zurücktreten und einem pekingtreuen Bischof Platz machen.

Für die Untergrundkirche sind das heikle Punkte. Viele dort fühlen sich ohnehin seit Jahren schon von Rom nicht wirklich verstanden und im Stich gelassen. Wenn der Vatikan der KP zu weit entgegenkommt, könnten einige in China das als Verrat empfinden. In einem offenen Brief, den fast 1200 katholische Wissenschaftler, Anwälte und Menschenrechtler aus Hongkong, Großbritannien und den USA unterzeichneten, äußern sich die Kritiker "tief schockiert und enttäuscht" über eine mögliche Einigung zwischen dem Vatikan und Peking und die dann wohl bevorstehende Anerkennung von sieben pekingtreuen Bischöfen durch den Papst. Dem Corriere della Sera steckte ein anonymer Kritiker den Satz, mit China könne man sich nur schlecht einigen, weil "die Chinesen immer ein Messer im Ärmel haben, und jedes Mal, wenn wir Katholiken ihre Arme ergreifen, bluten wir."

Papst Franziskus ist offenbar zutiefst davon überzeugt, dass Dialog und Begegnung Veränderung schaffen. In einem Interview vor zwei Jahren mit der Asia Times sprach er in lobenden Worten von der Kultur und Weisheit Chinas, dessen Aufstieg man nicht fürchten müsse. Die chinesische Führung ihrerseits revanchierte sich mit symbolträchtigen Geschenken. So überbrachte eine Delegation aus Peking dem Papst die Abreibung einer kaiserlichen Stele aus dem neunten Jahrhundert, auf der die Nestorianer erwähnt sind und die als erstes christliches Zeugnis in China gilt.

Die ersten Katholiken dort waren jesuitische Missionare Ende des 16. Jahrhunderts, sie gehörten also demselben Orden an wie Franziskus. Kritiker wie Kardinal Zen geben sich große Mühe, zu versichern, ihre Kritik gelte nicht dem Papst, sondern den Einflüsterern um ihn herum, die "besessen" seien von einem Kompromiss mit dem mächtigen Peking, ohne das Wesen der Kommunistischen Partei wirklich zu verstehen.

Als Musterbeispiel für diese "Ostpolitiker" (Kardinal Zen) gilt ihnen Kurienbischof Marcelo Sanchez Sorondo, der für den Papst in China Fäden knüpft. Der Chef der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften bezog in den vergangenen Wochen kräftig Prügel. "Die Chinesen setzen die Soziallehre der Kirche am besten um", hatte der Kirchenmann in einem Interview gesagt: "Es gibt keine Ghettos, keine Drogen." Dafür aber gebe es in China ein "positives Nationalbewusstsein". Die kircheninternen Kritiker sehen sich angesichts solch schönfärberischer Äußerungen bestätigt in ihrem Verdacht, dass im Lager der Kompromisssucher nicht wenig Ignoranz herrscht. Kardinal Zen legte zuletzt noch einmal in einem Radiointerview nach: Ein nicht perfektes Abkommen könne er akzeptieren, sagte er, "aber nicht ein böses, nicht eines, dass die Prinzipien unserer Kirche auf den Kopf stellt".

Generell ist das Klima in China in den letzten Jahren repressiver geworden. Die Partei schließt Freiräume und strebt wieder nach Kontrolle über auch den letzten Winkel der Gesellschaft. Auch die staatliche Religionsbehörde wird demnächst von der Einheitsfront der KP geschluckt werden. Und in dieser Woche verbannten die Behörden den Verkauf von Bibeln von sämtlichen Online-Plattformen. Der Online-Bibel-Verkauf war zwar offiziell auch vorher nicht erlaubt gewesen, jahrelang aber wurde er geduldet. "Egal ob Osten, Westen, Süden, Norden oder das Zentrum - die Partei herrscht über alles", hatte Xi Jinping beim Parteitag im Oktober gesagt. Es wäre eine Überraschung, würde sie für die Bischöfe des Vatikan eine Ausnahme machen.

© SZ vom 07.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: